„Gute Religion“: Mündigkeit, Frömmigkeit, Dialog, Bescheidenheit…

Frömmigkeit, Dialog, Bescheidenheit
Wolfgang Huber
Der Philosoph Immanuel Kant
Kardinal Karl Lehmann
Im Dialog Gott allein die Ehre

Der Debatte darüber, was Religion in Staat und Gesellschaft ausrichtet (und anrichten kann), gibt auch die liberale Neue Zürcher Zeitung Raum. Die NZZ lässt die distanzierte Generalfrage „Was ist eine gute Religion?“ von bekannten Kirchenmännern und Theologen beantworten – erst mal von drei Deutschen.

Der Berliner Bischof und EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber gehört selbst zu den prominenten Förderern der „Wiederkehr der Religion“ in die Öffentlichkeit. Er knüpft in seiner Antwort an die Aufklärung an; danach muss gute Religion „den Sinn für Mündigkeit wecken und den Geschmack von Freiheit in sich tragen“. So gehe es nicht an, den biblischen Schöpfungsglauben mit einer kreationistischen Weltanschauung zu verwechseln. Der Glaube an Gott dürfe auch nicht „zur Rechtfertigung von Gewalt gegen Menschen missbraucht“ werden.

Gott ist anders

Entscheidend ist laut Huber, dass Gläubige die Wirklichkeit Gottes von ihrem eigenen religiösen Handeln unterscheiden: „Diese Unterscheidung ist um beider willen nötig: um Gottes willen, weil ihm nur auf der Grundlage einer solchen Unterscheidung die Ehre gegeben wird; und um der Religion willen, weil sie nur so als das begriffen werden kann, was sie ist – nämlich eine menschliche Aktivität.“

Der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) proklamierte Aufklärung als den «Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit». Laut Wolfgang Huber „können und wollen wir hinter die Aufklärung nicht mehr zurück; jede gute Religion steht vor der Anforderung, sich den Anfragen der Aufklärung zu stellen“.

Frömmigkeit und Fanatismus – manchmal nahe beieinander

Angesichts gewaltbereiter Islamisten fordert Huber, dass Religionsgemeinschaften „sich von Hasspredigern trennen und Indoktrinationen, die sich gegen die freiheitliche, offene Gesellschaft richten, verhindern. Die Frömmigkeit des Glaubens an Gott und religiöser Fanatismus sind klar voneinander zu trennen; aber im wirklichen Leben liegen sie manchmal dicht beieinander. Doch der Prüfstein ist und bleibt die Frage, ob Menschen Gott die Ehre geben und eben deshalb die gleiche Würde aller Menschen achten.“ Gute Religion gebe es nur, wo Frömmigkeit und Achtung vor dem Andern zusammengingen.

Im Dialog Gott allein die Ehre geben

Der Mainzer Kardinal Karl Lehmann, Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz, äussert sich in der NZZ zum Dialog zwischen Religionen und betont: „Der Dialog darf nicht durch Machtansprüche welcher Art auch immer verzerrt werden.“ Es gehe dabei nicht bloss um die „abstrakte Gemeinsamkeit einiger religiöser Elemente, sondern auch darum, wie eine Religion als Ganzes von anderen verstanden wird und gesellschaftlich in Erscheinung tritt“.

Der Dialog könne nur gelingen, wenn in jeder Religion erkennbar bleibe, „dass sie ganz auf Gott als Grund und Ziel unseres Lebens bezogen ist. Ihm allein gebührt Ehre und Anbetung. Er darf nicht verwechselt werden mit der Absolutsetzung endlicher Dinge.“

Weltethos genügt nicht – es muss um Wahrheit gerungen werden

An der Frage nach der Wahrheit kommt man nicht vorbei. Lehmann hält einen interreligiösen Dialog, „der die religiöse Frage ausklammert und nur politisch und sozial relevante Themen in Angriff nimmt, für schädlich. Es wäre geradezu paradox, wenn der interreligiöse Dialog sich um alles kümmern würde, aber nicht um die Suche nach Wahrheit und die Erfüllung dieses Suchens im Glauben an Gott.“ Wenn dies gegeben sei, müssten sich die Religionen allerdings bemühen, Menschen im Tun des Guten und in der Konfliktlösung zu unterstützen.

Bescheidenheit oder Selbstvergöttlichung?

Der Münchner Theologieprofessor Friedrich Wilhelm Graf singt in seinem Beitrag das „Lob der Unterscheidungen“. Von der sozialwissenschaftlichen Aussenansicht von Religion (was bringt sie für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, für die Solidarität?) hebt er die Bemühungen der Theologen ab, das Selbstverständnis religiöser Menschen zu verstehen.

Dabei zeige sich, dass der Glaube an Gott sowohl zu zurückhaltender Selbsteinschätzung wie zu „egomanischer Selbstvergöttlichung führen und in unbedingten Herrschaftswillen oder fanatische Absolutsetzung der eigenen Gottes- und Weltsicht umschlagen“ könne.

Das Gottesbild prägt alles

Dies gilt laut Graf für alle Religionen (Buddhismus eingeschlossen). Sie unterscheiden sich allerdings darin, wie sie diese Gefährdungen wahrnehmen. „Gut ist eine Religion, wenn sie in ihren Symbolsprachen selbst die Ambivalenzen (Zweideutigkeiten; Red.) des Religiösen präsent hält, bearbeitet und so durch selbstbewusste Glaubenspraxis die Besinnung ihrer Anhänger fördert.“

Graf fragt, wie der eine Gott vorgestellt wird: „als allmächtig autoritärer Weltenherrscher, als eifersüchtig grausames Willkürsubjekt oder Seinsgeborgenheit bietender, liebevoller Vater? Wie offenbart er sich, und welche Art der Gottesverehrung klagt er ein?“ Aus dem Gottesbild ergeben sich für religiöse Menschen das Bild des richtigen Lebens und die gesamte Weltanschauung.

Mystiker sind gefährdet

Der Münchner Theologieprofessor verweist auf die Gefahr, sich selbst zu vergöttlichen. „Besonders gefährdet sind hier die Mystiker aller Religionsgemeinschaften, weil sie in den Visionen einer ‚ganzheitlichen Verschmelzung’ ihrer Seele mit Gott kaum noch die demütige Selbstunterscheidung von Gott leisten können. Der Mensch ist aber nicht Gott, und es tut ihm nicht gut, sich selbst zum Gott machen zu wollen...“

Für Graf versteht es sich von selbst, dass Fromme ihren Glauben als den richtigen sehen und bekennen. Aber: „gut ist Religion, wenn sie Arroganz verhindert und selbstbewusst freie Demut einübt“. – Die NZZ-Reihe wird fortgesetzt.

Quelle: Livenet / NZZ

Datum: 01.04.2006
Autor: Peter Schmid

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