Nächster

Der Ausdruck bedeutet im Alten Testament: Blutsverwandter, Freund, Volkszugehöriger

Dieser Ausdruck stammt aus dem Alten Testament. Im Hebräischen steht dafür ein Wort, dessen Grundbedeutung ist: nahe Verbundener, Freund, Mitmensch.

Das ganze Alte Testament nimmt die Bande des Blutes besonders wichtig: die Familie, die Sippe, das Volk gelten als geheiligte Verbände. Unter dem Nächsten versteht das Alte Testament einen im engeren oder weiteren Sinn Blutsverwandten, manchmal auch einen persönlich befreundeten oder sonst nahestehenden Menschen.

Ausdrücklich gegenübergestellt wird dem Nächsten der Fremdling, der Volksfremde, so namentlich in dem Kapitel, das das Gebot der Nächstenliebe enthält (3. Mose 19). Freilich in der Weise, dass auch dem Fremdling alle Achtung und Liebe zu erweisen ist (3. Mose 19,33.34).

Zur Zeit Jesu waren die theologisch und kirchlich führenden Kreise im Vergleich zum mosaischen Gesetz sehr viel engbrüstiger geworden. Ihnen galt als Nächster eigentlich nur noch der religiöse Parteigänger.

Jesus sieht über die Blutsverwandtschaft hinaus die tiefe ursprüngliche Verwandtschaft aller Menschen

Jesus erkennt die Bindungen des Blutes, der Familie, Verwandtschaft und des Volkes an und achtet sie mit grosser Treue. Die zu seinem Volk gehören, sind ihm im einfachsten Sinn des Wortes die Nächsten, denen er zu helfen hat (Matth. 15,24). Solange ihm kein anderer Wirkungskreis gewiesen ist, sind ihm im selben Sinn seine Eltern die Nächsten, denen er dient und seine besten Kräfte widmet.

Von vornherein aber lassen die Worte Jesu auch einen Gesichtskreis erkennen, der weit über diese Bindungen hinausgeht. Eine tiefe ursprüngliche Zusammengehörigkeit verbindet nach seiner Lehre alle Menschen untereinander. Sie sind alle göttlichen Geschlechts.

An dieser Zusammengehörigkeit kann weder durch bestehende religiöse Gegensätze noch durch einen herrschenden nationalen Hass etwas geändert werden (Matth. 5,44-48; Joh. 10,16; Luk. 10,33-37); sie ist einfach durch die Schöpfung gegeben und ist von den Jüngern unweigerlich zu bejahen.

Wo sie durch höhere Führung einem Feind des Volkes, einem religiösen Gegner begegnen, sollen sie auch in ihm den Nahverbundenen, göttlich Verwandten, ja den in diesem Augenblick Nächsten sehen: jetzt ist er ihnen gewiesen, dass sie ihm alle Liebe und Treue erweisen sollen. Sie sind berufen zu einer Herde unter einem Hirten durch die Liebe des Sohnes.

Die entscheidende Antwort auf die Frage: Wer ist mein Nächster? ergibt sich aus der göttlichen Führung

Entscheidend in der Frage: Wer ist mein Nächster? ist nicht nur die gemeinsame Herkunft aller Menschen, sondern auch die besondere Weisung oder Führung, die der einzelne erfährt. Jeder muss Klarheit darüber haben, welche Menschen in jedem Moment seines Lebens ihm besonders gewiesen oder gegeben sind, dass er ihnen nahetrete und ihnen diene.

Jesus erzieht seine Jünger nicht zu Allerweltsmenschen, die auf Grund von allgemeinen Prinzipien oder Vorsätzen wahllos allen Mitmenschen dienen, so dass sie sich etwa bemühen sollten, jedem das gleiche Durchschnittsmass an Kraft und Zeit zu widmen. Er selbst, Christus, hat die bei weitem meiste Zeit und Kraft seinen zwölf Jüngern geweiht, weil sie ihm in einzigartiger Weise gegeben (anvertraut, zur Aufgabe gestellt) waren (Joh. 17,6.9.12.24). Dieser Kreis der Jünger ist ihm so gegeben als Gegenstand dauernder Fürsorge.

Andere Menschen sind ihm in bestimmten Augenblicken gegeben, damit er ihnen jetzt helfen soll. Dann ist in solch einem Moment so ein einzelner Mensch ihm der Nächste, ja der einzige, der eben für ihn existiert, derart, dass alle anderen Menschen und Aufgaben jetzt gänzlich ausgeschaltet sind.

Dann macht es auch keinen Unterschied, ob dieser Mensch ein berühmter jüdischer Theologe (Joh. 3) oder eine samaritische Frau von fragwürdigem Ruf ist (Joh. 4).

Im Neuen Testament ist »der Nächste« nicht ein allgemeiner Begriff, sondern eine konkrete Person. Die Nächsten, denen wir zu dienen haben, sind nicht Millionen, sondern jeweils immer die wenigen oder einzelnen, die uns dauernd oder für einen bestimmten Dienst gegeben sind.

Datum: 10.12.2009
Autor: Ralf Luther
Quelle: Neutestamentliches Wörterbuch

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