„Du hast es mir reifen lassen!“

Wenn ich manchmal im Tram meine Ohren spitze, höre ich: „Das ist cool!“ Oder: „Kein Problem – das schaffe ich leicht!“ Aus solchen Aussagen sind gängige Leit-bilder zu spüren, wie jemand sein soll: ohne Probleme, fehlerlos, stark und erfolg-reich.

Wie viele getrauen sich unter solchem Erwartungsdruck nicht zu sagen, wenn etwas nicht gut läuft. Sie fürchten als Schwächling abgetan zu werden. Kummer, Angst und Klage werden versteckt. Wer aber nicht klagen kann, verdrängt den Kummer, frisst die Angst in sich hinein. Das schadet!

Dass ein anderer, heilsamer Umgang möglich ist, zeigen uns die Psalmenschreiber in der Bibel. Sie bringen das, was sie bedrückt, in Verbindung mit Gott. Sie breiten ihre Not vor Gott aus, ja sie schreien zu ihm und bitten um Hilfe. So tönt es etwa im Psalm 13: „Du, mein Gott, wie lange willst du mich denn noch vergessen? Wie lange sollen mich die Sorgen quälen, Tag für Tag der Kummer meine Seele schwer machen? Schau her! Gib Antwort!“

Das Aussprechen einer Not macht sie leichter. Wer wie der Psalmist seinen Kummer vor Gott ausbreitet, erfährt, dass ihm zugehört wird, dass er nicht allein ist. Die Schwere beginnt sich zu wandeln. Der eben zitierte Psalm endet mit dem hoffnungsvollen Satz: „Ich singe ein Lied für dich, denn du hast es mir reifen lassen!“

Das hört sich zuerst vielleicht seltsam an. Wir sind es gewöhnt, Kummer und Schmerzen als etwas Unproduktives und Negatives zu sehen, das uns lähmt und zurück wirft. Der Psalm jedoch weist auf eine verborgene Weisheit hin: Gott gibt uns Chancen zum Wachsen und Reifen!

Vielleicht habe auch ich in meinem Leben solche Erfahrungen gemacht. Nicht immer ist mir gelungen, was ich so gerne erreichen wollte. Dafür aber habe ich ganz andere Fähigkeiten in mir entdeckt, die ich nicht kannte. Da blühte viel Neues auf. Auch kann es sein, dass eine Beziehung, die Spass machte, zerbrochen ist. Aber ich gewann die Einsicht, dass Vertrauen und Liebe eine Beziehung tragen. Es reifte eine tiefere Lebenssicht heran.

So dürfen auch wir in den Psalm einstimmen:
„Ich singe ein Lied für dich, Gott,
denn du hast es mir reifen lassen.

Datum: 10.09.2008
Autor: Roman Angst
Quelle: Bahnhofkirche Zürich

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