Entfesselt

Als Bub war ich beeindruckt von den Entfesselungskünstlern, denen ich auf dem Jahrmarkt oder im Zirkus fasziniert zusah. Mit einem Kameraden versuchte ich daheim jeweils, es ihnen gleich zu tun. Was uns natürlich nie gelang.

Jahre später habe ich erfahren, dass ich mir selber innere Fesseln zugelegt hatte, von denen ich mich nicht allein lösen konnte: Ich war nie gut genug. Ich vermochte vor den anderen und vor mir selber nicht zu bestehen. Ich konnte tun und lassen, was ich wollte, es genügte nie. Gespräche mit hilfreichen und verstehenden Menschen ermöglichten mir, mich von dieser und anderen Fesseln soweit zu befreien, dass sie mein Leben nicht weiter bestimmten.

Vielfältige Erfahrungen überzeugten mich, dass wohl die meisten Menschen solche inneren Fesseln kennen, die ihr Leben mehr oder weniger bewusst beeinflussen und prägen: die Angst zu versagen zum Beispiel, das Gesicht zu verlieren, es nicht zu schaffen, hilflos und ohnmächtig zu sein, nicht dazu zu gehören, nicht gemocht zu werden …

Über alle hilfreichen Gespräche hinaus ist für mich die Botschaft Jesu von der vorbehaltlosen Liebe Gottes eine befreiende, eine entfesselnde Botschaft. Unter Milliarden von Menschen bin ich für Gott einmalig, einzigartig, unverwechselbar wichtig und wertvoll. So wie ich bin, bin ich von ihm gewollt, bin ich angenommen und geliebt.

Im Angesicht dieser bedingungslosen Liebe, die mich persönlich meint, vermag ich, innere Fesseln zu lösen und Ängste loszulassen. Ich darf so sein wie ich bin, auch mit meinem Versagen, meinen Unsicherheiten, Fehlern und Unzulänglichkeiten. Das alles gehört auch zu mir. Ich muss es nicht vor mir selber und anderen verbergen. Ich muss mich nicht ständig bemühen, anerkannt und gemocht zu werden. Denn ich bin immer schon geliebt.

Mit dieser entfesselnden Freiheit, vorbehaltlos geliebt zu sein, kann ich in jeder Begegnung mit anderen ich selber sein. Als eine/einer unter vielen bin ich wichtig und wertvoll, darf ich meiner von Gott geschenkten Einmaligkeit vertrauen.

Datum: 28.08.2008
Autor: Roman Angst
Quelle: Bahnhofkirche Zürich

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