Asylgesetz: «Unsere Befürchtungen bewahrheiten sich»

Man beobachtet eine viel zu strenge Anwendung dieser Reisepapierregelung
Jürg Schertenleib
Karin Keller-Sutter

Seit Anfang Jahr sind die ersten Verschärfungen des revidierten Asylgesetzes in Kraft. Nach den ersten Monaten werden ihre Auswirkungen langsam erkennbar.

Im September 2006 hiess das Schweizer Stimmvolk die Revision des Asylgesetzes mit fast siebzig Prozent Ja-Stimmen gut. Aus Sicht von Bundesrat und Parlament waren verschärfende Massnahmen nötig geworden, um «die bestehenden Probleme bei der Wegweisung» zu lösen und den «Missbrauch im Asylwesen» zu bekämpfen. Dagegen hatte etwa der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) vor einer «weiteren Verschärfung der Asylpraxis des Bundes» und der weiteren Begrenzung «des Zugangs zur Schweiz als Asylland für Hilfesuchende» gewarnt.

Höhere Hürde für Asylgesuch

Seit dem 1.Januar 2007 ist nun der erste Teil des revidierten Asylgesetzes in Kraft. Mit welchen Folgen? In den ersten drei Monaten des Jahres 2007 wurden erstinstanzlich 2450 Asylgesuche beurteilt – das sind rund 750 weniger als in derselben Zeitspanne ein Jahr zuvor. Trotz des Rückgangs hat die Zahl der Nichteintretensentscheide (NEE) auf Asylgesuche von 607 auf 752 zugenommen. Im Klartext: Während 2006 noch «bloss» auf knapp jedes fünfte beurteilte Gesuch nicht eingetreten wurde, war es heuer bereits fast jedes dritte. Das sagt die neuste Quartalsstatistik des Bundesamts für Migration. Die Hürde, eine inhaltliche Prüfung des Asylgesuchs durch die Behörden zu erreichen, ist also wesentlich höher geworden.

Der Grund: Seit Anfang Jahr wird – so siehts das revidierte Asylgesetz vor – auf Asylgesuche nicht mehr eingetreten, wenn die gesuchstellende Person nicht innert 48 Stunden einen Pass oder eine Identitätskarte vorlegen kann. Dies ist umso härter, als GesuchstellerInnen bereits seit April 2004 nur noch fünf Arbeitstage Zeit haben, gegen einen Nichteintretensentscheid Rekurs einzulegen und Rechtsberatungsstellen, die bei der Formulierung eines Rekurses helfen könnten, zu den Empfangsstellen keinen Zugang haben.

«Wir beobachten eine viel zu strenge Anwendung dieser Reisepapierregelung», sagt Jürg Schertenleib von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH). Das Argument zum Beispiel, die Schlepper hätten die Papiere an sich genommen, werde nicht akzeptiert. Das Versprechen des Bundesrats im Abstimmungskampf, bei Hinweisen auf Verfolgung würde auch ohne Papiere auf den Fall eingetreten, werde vom Bundesamt grundsätzlich nicht gehalten. So sind der SFH selbst Nichteintretensentscheide für tamilische Bürgerkriegsflüchtlinge bekannt.

Angst vor der Nothilfe-Lawine

2006 wurde auf die Asylgesuche von 1834 Personen nicht eingetreten. Wer einen NEE bekommt, gilt als illegal anwesend und hat das Land innert vierundzwanzig Stunden zu verlassen. Zur Ausreise aufgefordert wurden letztes Jahr weitere 647 Personen, auf deren Asylgesuch zwar eingetreten wurde, die aber einen abschlägigen Entscheid erhielten. Die Aufforderung zur Ausreise erhielten etliche von ihnen nach einem teils jahrelangen Verfahren: Viele hatten das Durchgangszentrum längst verlassen und in einer Gemeinde Fuss gefasst. Auch sie, deren Asylgesuch abgelehnt worden ist – zwischen 2004 und 2006 insgesamt immerhin 9058 Personen –, sollen härter angepackt werden, wenn sie das Land nicht schnell genug freiwillig verlassen.

Die entsprechende Verschärfung ist mit der Asylgesetzrevision ebenfalls angenommen worden und tritt Anfang 2008 in Kraft: Ab dann werden sie – wie bisher schon die nicht abgereisten Personen mit NEE – aus der Sozialhilfe ausgeschlossen und erhalten auf Gesuch hin nur noch Nothilfe. Das heisst, sie bekommen – nach kantonalem Ermessen in unterschiedlichem Umfang – ausschliesslich noch Sachleistungen zum unmittelbaren Überleben: eine bescheidene Unterkunft sowie Nahrungsmittel bzw. Einkaufsbons für die Migros. Für Schwangere, Familien mit kleinen Kindern oder Kranke sind keine Ausnahmen vorgeschrieben.

Diese Verschärfung wirft ihren Schatten voraus. Die Menschenrechtsaktivistin Afra Weidmann berichtet, dass im Kanton Zürich zurzeit Briefe an betroffene Personen verschickt würden, in denen die Behörden zuerst die Peitsche zeigen und dann ein Zuckerbrot anbieten: Die angeschriebenen Personen würden darauf aufmerksam gemacht, dass sie ab 1.Januar 2008 bloss noch Anrecht auf Nothilfe haben werden – dass sie aber ein Reisegeld bekommen, falls sie sich bis Ende Oktober 2007 für ein «Rückkehrhilfeprogramm» anmelden.

Ein plausibles Kalkül wohl auch für andere Kantone: Einerseits belastet die Nothilfe die Kantone mehr als die vom Bund stärker mitgetragene Sozialhilfe, andererseits ist eine Rückkehrhilfe billiger als Nothilfe auf unbestimmte Zeit.

Beugehaft wird angewendet

Schliesslich ist das Asylgesetz mit der Begründung verschärft worden, dass das Vollzugsproblem bei den Rückführungen von abgewiesenen Asylsuchenden gelöst werden müsse. Die bisherige «Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft» wurde deshalb ergänzt um eine «Durchsetzungshaft» – ein anderes Wort für Beugehaft nach dem Prinzip: Ich sperre dich so lange ein, bis du das Land freiwillig verlässt. Eine der Propagandistinnen dieser Verschärfung, die St.Galler Justizdirektorin Karin Keller-Sutter, sagte es vor der Abstimmung so: «Diese Haft bezweckt einzig, die zur Ausreise verpflichteten Personen dazu zu bewegen, ihrer Mitwirkungspflicht nachzukommen.»

Diese Durchsetzungshaft wird seit dem 1.Januar 2007 angewandt. Zuständig sind die Kantone. Anrecht auf eine Rechtsvertretung haben die Inhaftierten meist erst nach einer dreimonatigen Haftdauer. Auf eine Umfrage von Radio DRS zur aktuellen Praxis haben Anfang April einundzwanzig Kantone geantwortet. Resultat: Seit Anfang Jahr sind insgesamt vierzig Personen in Durchsetzungshaft gesetzt worden, zwölf im Kanton St.Gallen, je sieben in Zürich und Luzern, bisher keine im Kanton Bern («Rendez-vous am Mittag» vom 13.April).

Vorläufiges Fazit: Die Durchsetzungshaft wird angewendet, die Praxis in den Kantonen ist sehr unterschiedlich, die Inhaftierten haben in den ersten drei Monaten keinen Rechtsschutz. «Unter dem Blickwinkel der Menschenrechte ist die Durchsetzungshaft problematisch», sagt Jürg Schertenleib von der Flüchtlingshilfe. Die SFH will deshalb einen geeigneten Fall bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.

Effizienter? Menschlicher?

Eine abschliessende Einschätzung der Auswirkungen des revidierten Asylgesetzes ist noch nicht möglich; zu neu ist die jetzige Praxis, zu unvollständig die Information, zu gross die Rechtsungleichheit, die sich aus der kantonalen Vollzugshoheit ergibt. Trotz der schwierigen Datenlage ist Balthasar Glättli, Sekretär von Solidarité sans frontières und ein Kritiker der Verschärfungen, überzeugt: «Die bisherigen Indizien deuten klar darauf hin, dass sich unsere Befürchtungen bewahrheiten.»

Dass dieses Jahr tatsächlich mehr Ausschaffungen realisiert werden können als früher, wie dies Befürworter des revidierten Gesetzes in Aussicht stellten, ist möglich. Menschlicher ist die Asylpolitik deswegen aber bestimmt nicht geworden. Wahr ist aber auch: Diese Politik wird nicht einfach von Unmenschen und Bürokraten gemacht. Immerhin haben letztes Jahr neben den knapp zwanzig Prozent der GesuchstellerInnen, denen Asyl gewährt wurde, zusätzlich vierundfünzig Prozent von ihnen die vorläufige Aufnahme erhalten, weil ihre Schutzbedürftigkeit anerkannt wurde – obschon sie dem Buchstaben nach die Asylkriterien nicht erfüllten.

Flüchtlingstag 2007

Der diesjährige nationale Flüchtlingstag findet am Samstag, 16. Juni 2007, statt. Er steht unter dem Motto «Stopp Ausgrenzung». In Bern ruft Solidarité sans frontières zu einer Grossdemonstration auf unter dem Motto «Grundrecht für alle» (13.30 Uhr, Waisenhausplatz). Ab 15 Uhr steigt auf dem Bundesplatz das traditionelle Flüchtlingsfest. Der Synodalrat der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn bittet die Kirchgemeinden, das Flüchtlingsthema aufzugreifen. Am 20. Juni 2007, dem internationalen Flüchtlingstag, werden dann weltweit Monumente blau beleuchtet – im Kanton Bern viele Kirchen –, um auf das Schicksal der Flüchtlinge aufmerksam zu machen.

Datum: 25.05.2007
Autor: Fredi Lerch
Quelle: Sämann

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