Gemeindearbeit mit Flüchtlingen

Praktische Tipps eines Insiders

Wie kann man unbefangen auf Menschen fremder Kulturen zugehen und Möglichkeiten schaffen, um mit ihnen über Gott zu sprechen? Robert Strong von OM Niederlande hat selbst viele Jahre im Nahen Osten gelebt, kennt die arabische Kultur gut und ist sicher, dass es viel einfacher ist, den Kontakt zu Flüchtlingen herzustellen, als viele Christen denken. Evangelical Focus: Erzählen Sie uns davon, wie in Ihrer Gemeinde die Arbeit mit Flüchtlingen begonnen hat.
Robert Strong

Robert Strong: Im Dezember 2015 bemerkten meine Frau und ich, dass viele Flüchtlinge, die ausserhalb unserer Stadt in einem Flüchtlingsheim wohnen, jeden Dienstag bei Lidl einkaufen gehen. Unsere Gemeinde ist gerade mal 200 Meter von dem Geschäft entfernt und so fragten wir uns: «Was können wir tun?» Die Kirche ist dienstags leer, die Flüchtlinge sind überall, Lidl weiss nicht, was es mit ihnen tun soll, weil sie einfach rumhängen, auf Taxis warten, ihre Fahrräder vorbereiten, um dann wieder zurück zum Heim zu fahren, das etwa 10 Kilometer entfernt liegt. Es regnet, es ist kalt…

Also schlugen wir unserer Gemeindeleitung vor: Warum öffnen wir nicht unsere Gemeinde, bieten ihnen Tee und Kaffee an, setzen uns mit ihnen hin, hören ihnen zu, spielen Spiele, geben ihnen einen Ort zum Ausruhen, an dem sie die Toilette nutzen können, bevor sie zurück ins Heim fahren… Die Leitung stimmte zu und Anfang Januar, als wir begannen, kamen am ersten Tag direkt 30 Besucher. Die Leute liebten es! Und seither kommen sie jeden Dienstag, viele von ihnen kommen wieder und das Schöne ist, dass nicht nur wir das machen, sondern dass sich die ganze Kirche eingebracht hat. Leute, die vorher das Gefühl hatten, nicht bereit zu sein für Strassenevangelisation, kommen und machen Kaffee, spielen in unserer Kirche Schach mit den Flüchtlingen und geniessen einfach die Zeit. Sie schenken ihnen Aufmerksamkeit und bauen Beziehungen zu ihnen auf – Schritt Nummer 1, um diesen Menschen Gottes Liebe weiterzugeben. Das ermutigt uns sehr, denn mit einem Mal wird die Gemeinde lebendig und bekommt eine Leidenschaft dafür, Flüchtlinge zu erreichen. Es war nicht schwer, es ging einfach darum, die Tür zu öffnen und «Herzlich willkommen» zu sagen.

Was sind die ersten Schritte, um den Kontakt zu den Flüchtlingen in der eigenen Region aufzubauen?
Das erste ist, mit einem Fremden zu sprechen. Ich habe mit vielen von ihnen gesprochen und viele sagen: «Die Holländer sprechen nicht mit uns, sie starren uns nur an!» Diese Leute wollen Gespräche führen, es sind echte Menschen mit echten Nöten, und sie verspüren ebenso den Wunsch, geliebt und akzeptiert zu werden. Man kann sie beispielsweise in ihrer Sprache grüssen, wenn man ein oder zwei Worte auf Arabisch oder Farsi lernt – es ist ein grosser Schritt, wenn man ihnen auf ihrer Sprache sagt: «Hallo, herzlich willkommen in den Niederlanden» oder «Herzlich willkommen in der Schweiz». Das knüpft die erste Beziehung zu einem Flüchtling. Ein paar Worte auf seiner Sprache zu lernen, hilft enorm.

Und dann auf sie zugehen. Für sie ist das ganz normal, nur für uns aus dem Westen ist es das nicht. Ich sitze im Bus und niemand spricht mit dem anderen. Aber in östlichen Ländern ist es völlig normal, miteinander zu reden. Treten Sie deshalb aus ihrer Komfortzone und grüssen Sie die Leute, das ist ein ganz einfacher Start. Und wenn Sie eine Einrichtung oder ein Gebäude haben, öffnen Sie es. Bieten Sie Kaffee und Tee an, spielen Sie Spiele. Viele Leute unserer Gemeinde sprechen weder Englisch noch Arabisch, aber sie verbringen eine tolle Zeit mit den Flüchtlingen, weil sie ihnen Holländisch beibringen. Und ein Spiel spielen, das kann jeder!

Wie können wir Menschen mit muslimischem Hintergrund die Gute Nachricht von Jesus weitergeben?
Für Flüchtlinge mit muslimischem Hintergrund ist es ganz normal, über Religion zu sprechen. Gott ist für sie eine Realität – was für viele Leute aus dem Westen nicht zutrifft. Deshalb ist es wirklich einfach, mit ihnen über den Glauben zu sprechen. Es ist auch einfach, sie zu fragen: «Kann ich für Sie beten?» Diese Frage wird schnell zum Türöffner, denn viele sind glücklich, wenn man für sie betet.

Bei unserem kleinen Projekt kommen die Leute bereits in das Gemeindegebäude. Eines Tages fragte jemand: «Dieses Kreuz, das sieht man immer bei den Christen. Könnt ihr mir mehr darüber erzählen?», und schon gab es eine gute Gesprächsmöglichkeit. Wir bieten ihnen zudem kostenlose Literatur an, und es besteht für sie die Möglichkeit, zum Gottesdienst zu kommen, Gemeindeglieder holen sie sonntags vom Flüchtlingsheim ab. Es gibt also viele kleine Dinge, die man tun kann, aber es geht vor allem darum, offen zu sein und zuzuhören – und keine Angst davor zu haben, ein Gespräch über Gott zu führen, denn für viele Muslime ist das völlig normal.

Das Interview wurde vom christlichen Internetportal «Evangelical Focus» geführt.

Das komplette Interview (Englisch):

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Datum: 30.04.2016
Autor: Rebekka Schmidt
Quelle: Livenet / Evangelical Focus

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