Familienfragen

Wenn Familien an ihre Grenzen kommen

Wie wirkt sich die Beziehung der Eltern auf Kinder aus? Was erleben sie in Stresssituationen, bei einer Scheidung? Wie wird Vormundschaft gehandhabt? Diese Fragen kamen am dritten Forum für Familienfragen der Eidgenössischen Koordinationskommission für Familienfragen vom 26. Juni 2007 in Bern zur Sprache.
Wie wirkt sich die Beziehung der Eltern auf Kinder aus?
Prof. Marlis Buchmann, Leiterin des NFP 52 Projekts: „Eltern mit einer hohen gegenseitigen Wertschätzung schaffen ein Klima in der Familie, das stark durch emotionale Nähe geprägt ist."

Die Veranstalter sprachen etwas milde von "Übergängen". Gemeint waren insbesondere Scheidungen, Heimplatzierungen, Entmündigungen und Gewalt unter Kindern und Jugendlichen. Präsentiert wurden vor allem Ergebnisse von Studien im Rahmen des Nationalen Forschungsprojekts NFP 52.

Wertschätzung zwischen Vater und Mutter: Guter Boden fürs Kind

Die Zürcher Soziologin Prof. Marlis Buchmann, Leiterin des NFP 52 Projekts "Kontext und Kompetenz: Kinder- und Jugendsurvey Schweiz", erläuterte die Studien zur Entwicklung eines prosozialen Verhaltens von Kindern und Jugendlichen. Gemeint ist ein soziales Verhalten, das auf das Wohlergehen anderer ausgerichtet ist. Diese Kompetenz muss in der Familie erworben werden.

Das Team um Marlis Buchmann kam dabei zu folgenden Schlüssen: Entscheidend für die Entwicklung eines prosozialen Verhaltens sind sowohl die kognitive wie auch die emotionale Nähe zwischen Eltern und Kindern, wobei die emotionale Nähe noch wichtiger ist. Der zweite wichtige Faktor ist die affektive und kognitive Nähe zwischen den Eltern. Also "Eltern mit einer hohen gegenseitigen Wertschätzung schaffen ein Klima in der Familie, das stark durch emotionale Nähe geprägt ist und einen Kommunikation, die auf Verständigung ausgerichtet ist". "Ein Resultat, das bisher so deutlich in der Literatur nicht vorkommt!", betonte die Soziologin.

Kinder und Scheidung

Heidi Simoni, Leiterin des Marie Meierhofer-Instituts für das Kind, präsentierte als Co-Leiterin die Resultate des NFP 52-Projekts "Kinder und Scheidung - der Einfluss der Rechtspraxis auf familiale Übergänge." Sie malte ein düsteres Bild der konkreten Praxis bei der Umsetzung der vorgesehenen Befragung der Kinder bei Scheidungsprozessen. Obwohl Artikel 144 des ZGB und die UNO-Konvention für die Rechte des Kindes die Befragung der Kinder bei der Entscheidungsfindung über die elterliche Sorge vorsehen, würden nur 9 Prozent der Kinder unter 13 Jahren und 19 % der älteren Kinder bei Scheidungsprozessen über ihre Wünsche befragt. Die Richter seien zum Teil zuwenig für diese Arbeit qualifiziert, andere machten Zeitmangel geltend. Eine gut geführte Anhörung wirke sich jedoch für die Kinder entlastend aus, wie das Projekt klar gemacht habe. Sie fördere die Resilenz der Kinder, also die Fähigkeit, auch unter schwierigen Umständen gesund zu bleiben.

Wenig kinderfreundlich ist auch die Praxis der Heimplatzierungen in der Schweiz, wie Kurt Huwyler von der "Stiftung Zürcher Kinder- und Jugendheime" aufzeigte. Solche Platzierungen stellten hohe Anforderungen an Eltern, Behörden und Kinder. Kinder würden meistens zu wenig in den Entscheidungsprozess einbezogen, was etwa darauf zurückzuführen sei, dass es oft am optimalen Platz bzw. einer Auswahl fehle. Der Platzierungsprozess müsse verbessert werden, so Huwyler.

Vormund- und Beistandschaften

Als weiteres Problemfeld sehen die Forscher die Praxis bei der Verfügung von Vormund- und Beistandschaften. Sie sehe je nach Kanton und Landesteil sehr unterschiedlich aus. Es fehle hier faktisch an der nötigen Rechtsgleichheit, räumte Peter Voll, Professor an der Hochschule für Soziale Arbeit Luzern, ein. Auch die Aufhebung dieser Anordnungen werde sehr unterschiedlich praktiziert. Oft seien die zuständigen Verantwortlichen "auf der sichereren Seite", wenn sie eine Vormundschaft weiter laufen liessen. Ausserdem könnten sie sich damit zum Beispiel vor Überlastung durch neue Fälle schützen. Voll schlug vor, Behörden fachlich besser zu unterstützen. Entscheidungen könnten durch zwei unabhängige Sachbearbeiter gefällt werden. Vorschläge, die in den laufenden politischen Prozess einfliessen sollten.

Prof. Françoise Alsaker (Universität Bern) und Rahel Jünger (Universität Zürich) stellten die Ergebnisse zur Gewaltforschung unter Kindern und Jugendlichen vor und präsentierten das Programm PFAD (Programm zur Förderung Alternativer Denkstrategien), das sich im Praxistest in Zürich als wirksam erwiesen habe.

Sorgerecht für beide Eltern

Prof. Stephan Wolf, Mitglied der Leitungsgruppe NFP 52, stellte erstmals öffentlich die "politische Agenda" des NFP 52 vor, die aus fünf Punkten besteht. Es gehe dabei vor allem um Denkanstösse an die Politik, betonte der Ordinarius für Privatrecht an der Universität Bern.

Dazu gehört die Forderung, dass in Scheidungsfällen die elterliche Sorge von Gesetzes wegen beiden Elternteilen zustehen sollte und nur in klar begründeten Fällen einem Partner entzogen werden dürfe. Weiter verlangen die Forscher Massnahmen zur Gewaltprävention, die bessere Nutzung der familialen Ressourcen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wie sie zum Beispiel das Handbuch des Seco aufzeige. Weiter sei die Chancengleichheit der Kinder aus finanzschwachen und bildungsfernen Familien zu verbessern. Besonderes Gewicht legen die Forscher auch auf die "Vertiefung der Generationensolidarität", sowohl gegenüber kranken alten Menschen wie der alten Menschen gegenüber den jungen Familien und ihren Kindern. Dabei sei auch dem Erbrecht Beachtung zu schenken. Das Erbe komme heute oft nicht denjenigen Nachkommen zugute, die es eigentlich brauchten.

Datum: 29.06.2007
Autor: Fritz Imhof
Quelle: SSF

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