„Unüberlegte Barmherzigkeit“: Die Kirchen und die abgewiesenen Asylbewerber

Asyl
Lausanne

Bei negativen Asylentscheiden sollten Kirchenleute nicht bloss zu Ungehorsam aufrufen. Gemäss der Lausanner Rechtsprofessorin und liberalen Ex-Nationalrätin Suzette Sandoz sollten die Geistlichen„zuerst an das Prinzip der Loyalität gegenüber Behörden und Gesetzen in einem demokratischen Land erinnern und Bürger und Behörden erst dann zu zivilem Ungehorsam anhalten, wenn sich dies mit einem grundlegenden göttlichen Gebot rechtfertigen lässt“.

Verwirrung und Unordnung

In der NZZ am Sonntag vom 19. Juni schreibt Sandoz, die Geistlichen müssten zur Begründung für zivilen Ungehorsam aufzeigen können, „dass das angewandte Gesetz oder der gefällte Entscheid ein heiliges Gebot missachtet. Tun sie das nicht, dann sieht es so aus, als legitimierten sie jeglichen Ungehorsam im Namen eines angeblichen Ideals. Sie setzen ein falsches Zeichen und leisten der Unordnung, dem Egoismus, der Unsicherheit und Verwirrung Vorschub, ohne dass deswegen die Zahl der Gläubigen steigen würde.“

Ethisches Gesetz – unethische Entscheide?

Sandoz wirft den gegen die Ausschaffung der Ausländer engagierten Priestern und Pfarrern vor, sie stellten die Elemente des alten christlichen Dilemmas von Loyalität und Ungehorsam gegenüber Gesetz und Behörden nicht korrekt dar. Rekurse gegen Entscheide bräuchten Zeit. „Das auf zutiefst ethischen Motiven gründende Gesetz stellt die Grundlage für Entscheide dar, die den Anschein erwecken, als seien sie nicht mehr ethisch, bloss weil sie nach vielen Jahren gefällt werden… Die Wahl ist nicht einfach, denn das menschliche Leid weckt immer Mitgefühl. Aber wozu dient ein Verfahren mit Rekursmöglichkeit, wenn das - weil es Zeit braucht - letztlich dazu führt, dass der endgültig negative Entscheid nicht vollzogen werden kann?“

Die kirchlichen Verantwortlichen hätten das tiefe Dilemma zu erkennen, „mit dem die Bürger und die in einem Loyalitätskonflikt gefangenen Behörden konfrontiert sind, statt die mit dem Vollzug der Wegweisungsentscheide betrauten Behörden anzuprangern - wie es manche tun - und das Loblied auf eine unüberlegte Barmherzigkeit zu singen.“

Quelle: Livenet / NZZ am Sonntag

Datum: 28.06.2005
Autor: Peter Schmid

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