Lust auf mehr

Politiker, die nach 20 Jahren noch nicht genug haben

Sie sitzen seit mehr als 20 Jahren im Parlament und denken selbst im fortgeschrittenen Alter nicht an einen Rücktritt: Zahlreiche Nationalräte haben Lust auf mehr. Auch prominente Christen denken nicht ans Aufhören. Ihre Dienste bleiben gefragt.
Im Bundeshaus sind auch Politiker im fortgeschrittenen Alter gefragt. (Foto: parlament.ch)
Werner Scherrer: Führt im Frühling zum 79. Mal eine Reisegruppe nach Israel.

Der amtsälteste Parlamentarier, Paul Rechsteiner (58, SP/SG), will nach 25 Jahren am 23. Oktober erneut für den Nationalrat kandidieren. Ständerat Maximilian Reimann (68, SVP/AG) kandidiert im Herbst für den Nationalrat. Ständerat Hans Rudolf Gysin (70, FDP/BL) und Nationalrat Eugen David (65, CVP/SG) lassen die Kandidatur offen. Das älteste Parlamentsmitglied, der Waadtländer Jacques Neirynck (79, CVP), will erneut kandidieren, während sich André Reymond (71, SVP/GE) und Edi Engelberger (70, FDP/NW) noch nicht definitiv entschieden haben.

Aktive christliche Senioren

Auch Senioren aus dem «frommen» Lager zählen sich mit 70 und mehr Jahren noch lange nicht zum alten Eisen. Im Gegenteil: Sie möchten in diesem Jahr weitere Projekte voranbringen. Und sie haben auch noch das eine oder andere Eisen im Feuer.

Zweiter Frühling

Werner Scherrer war während 51 Jahren glücklich verheiratet. Mit 79 hat der Witwer letztes Jahr noch einmal geheiratet. Erlebt er zurzeit einen zweiten Frühling? Scherrer lacht: «Ich fühle mich tatsächlich gut. Meine neue ‚Gehilfin’ empfinde ich als ein Gottesgeschenk.»

2005 übernahm Scherrer das Präsidium des Schweizerischen Bundes Aktiver Protestanten (SBAP). Eine Erfolgsstory sind die Hiob-Brockenstuben, wo er als Ehrenpräsident und Berater aktiv ist. Nach 20 Jahren aktiver Politik steht er der von ihm mitgegründeten EDU noch als Referent zur Verfügung. Die finanzielle und administrative Verantwortung von Pro Israel hat er abgegeben. Die Organisation der nationalen Pro-Israel-Tagung sowie der Reformationstagung des SBAP liegen nach wie vor in seinen Händen. Im Frühling führt er die 79. Reisegruppe nach Israel. Herausgefordert ist er auch als Chairman (Vorsitzender) der 20 Israel-freundlichen Organisationen in der Schweiz. Seitdem er die Konferenz für Evangelisation mitgegründet hat, war er jedes Jahr im «Ländli» dabei. Kraft findet er im täglichen Bibelstudium und Gebet, auch gemeinsam mit seiner Gattin Julia.

Standortbestimmung

Verena Näf leitete 20 Jahre lang ein Kinderheim. Als «Hausmutter» hat sie stellvertretende Mutterschaft gelebt. Dann war sie in einem VCH-Hotel in der Gästebegleitung aktiv und arbeitete Teilzeit als Nachtwache in einem Altersheim. Nach wie vor tritt Näf als Referentin bei den Frauenfrühstückstreffen auf. In ihrem ersten Vortrag sprach sie übers «Loslassen». Immer wieder hat sie festgestellt, wie wichtig loslassen (können) ist - für die Betreffenden, wie auch für ihr Umfeld.

Unterdessen ist Verena Näf 70 geworden. Sie hält weiter Vorträge, ist in der Seelsorge aktiv und pflegt Kontakte zu ehemaligen «Kindern», die heute zum Teil selber Familie haben. Jetzt beschäftigt sie sich persönlich mit dem Thema «Loslassen». «Das ist nicht etwas, das man einfach kann, wenns dann soweit ist. Meistens geht es um prozesshafte Wege, um eine neue, bewusste Auseinandersetzung.» Sie macht eine Standortbestimmung und fragt sich: «Was lasse ich los? Wo engagiere ich mich zukünftig?» Dabei will sie nicht bedürfnisorientiert entscheiden, denn solche Möglichkeiten gäbs viele! Ihr Anliegen: «Ich möchte in der Beziehung zu Jesus wachsen und aus dem Hören heraus aktiv werden.»

Im Sinne von «AHV»

Ernst Tanner, Gründer der Helimission in Trogen, empfängt die Anfrage des «idea»-Redaktors in seinen «Ferien» auf den Kanarischen Inseln. Er freut sich über den Anruf und erzählt von seinem Auftritt bei 4000 Jugendlichen am PraiseCamp. Hier hat er die Silvesterpredigt gehalten. Nach seiner Heimkehr am Sonntag stehen in dieser Woche weitere Vorträge an: Am Montag und Dienstag sprach Tanner im Berner Oberland, heute Mittwoch in Bülach. Letztes Jahr hielt er rund 100 Vorträge über die Helimission - «nach dem Prinzip AHV: Alte helfen vergebens!». Er weiss die Geschäftsführung bei Sohn Simon in guten Händen. Im Mai wird Tanner 84-jährig. «Es geht mir gesundheitlich gut. Das ist Gnade!» Wir beenden das Gespräch, damit der quirlige Senior rechtzeitig den Bus zum nächsten touristischen Highlight erreicht.

Alle machen sie Mut

Die aktive Lebensphase ist mit der Pensionierung nicht abgeschlossen. Ein Senior, der namentlich nicht erwähnt werden möchte, sagt: «Nach den intensiven Phasen versuche ich nun, für das Unerwartete verfügbar zu sein.» Er will mehr und mehr «einfach da sein», da sein für die Familie, die Gemeinde, sein Umfeld. Einfach «sein»? Natürlich! Denn: Er muss nicht mehr der nimmermüde, aktive Mensch sein, der zahllosen Projekten nachjagt. Er gehöre ja schon bald zur Spezies der Dinosaurier, meint er schmunzelnd. Er sei Gott dankbar, dass er in seiner aktuellen Lebensphase noch «Stunden auf Erden zählen» und einfach das machen dürfe, was ihm zufalle.

Mit den «anvertrauten Pfunden» verantwortlich umzugehen, bleibt lebenslang eine Herausforderung. Unsere Interviewpartner zeigen, dass sie gelingen kann.

Es bleibt spannend

Die befragte christliche Seniorin und die beiden Senioren zeigen auf, wie ein Leben auch im dritten Lebensabschnitt inhaltsreich gestaltet werden kann. Sie machen jüngeren Menschen Mut, entsprechende Weichenstellungen vorzunehmen. Wer alt ist, gehört nicht zum «alten Eisen». Er oder sie hat heute Gelegenheiten wie nie zuvor, selber noch das eine oder andere Eisen zu schmieden.

Datum: 24.01.2011
Autor: Thomas Feuz
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

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