Der Glaube des George W. Bush – ein Newsweek-Portrait

George W. Bush

Wenn der Herr des Weissen Hauses in Washington vor Morgengrauen aufgeht, liest er nicht Berichte der Nachrichtendienste. George W. Bush liest Oswald Chambers' klassisches Andachtsbuch ‚Mein Äusserstes für sein Höchstes'. Damit beginnt die aktuelle Coverstory des Nachrichtenmagazins Newsweek unter dem Titel "Bush and God". Sie reiht sich ein in eine Fülle von Einschätzungen der Religiosität des US-Präsidenten. Der Journalist Howard Fineman verzichtet in seinem als ‚Biographie des Glaubens' charakterisierten Artikel auf die gängigen Klischees und Schlagworte und zeichnet ein religiöses Profil des amerikanischen Präsidenten, das die einen Leser wohltuend sachlich, andere zu wenig kritisch finden dürften.

Für Fineman, einen langjährigen Beobachter der US-Politszene, ist klar: "Dieser Präsident - diese Präsidentschaft - ist wie keine andere in der modernen Zeit entschieden ‚auf Glauben gegründet'; sie ist ein Unternehmen, das begründet, gestützt und geleitet wird durch Vertrauen in die zeitliche und geistliche Kraft Gottes." Zwar spiele Geld eine grosse Rolle, und natürlich auch militärische Macht. "Aber die Administration Bush ist der Idee verpflichtet, dass es eine Antwort auf gesellschaftliche Probleme im Inland wie auf Terrorismus im Ausland gibt: jedem Menschen überall die Freiheit zu geben, Gott auch zu finden".


Bush und seine Wähler

Die Strategen, die die Präsidentenwahl von 2004 vorbereiten, wissen, dass Bushs stärkster Rückhalt in der Wählerschaft bibelgläubige Christen sind, schreibt Fineman. So fördere der Präsident soziale und ethische Initiativen, um dieses Wählersegment hinter sich zu scharen (etwa ein generelles Klonverbot, oder Bundesgelder für christliche Sozialprogramme, auch ein grosses Hilfsprogramm gegen AIDS in Afrika). Doch Bushs persönlicher Glaube unterscheide sich von den ‚Born-again'-Lippenbekenntnissen diverser Vorgänger im Weissen Haus.

Mitarbeiter haben den Eindruck, der "ruhige, aber brennende Glaube" Bushs gebe ihm Tatkraft, ohne jedoch seine Politik zu diktieren. Laut dem Handelssekretär Don Evans, einem vertrauten Freund, gibt der Glaube dem Präsidenten nicht nur Selbstvertrauen, sondern "das Verlangen, anderen zu dienen, und ein feines Gespür für das, was gut und was böse ist".

Im Reich des Öls grossgeworden

Fineman zeichnet den religiösen Werdegang von George W. Bush nach. 1946 an der Ostküste in eine Familie geboren, die der traditionellen Episkopal-Kirche angehörte, wuchs George ab 1948 im ölreichen Westen von Texas auf. Die Familie schloss sich einer Gemeinde der Presbyterianer-Kirche an, die der Mutter Barbara Bush vertraut war: Der Vater sammelte Geld für den Baufonds und gab Sonntagschule, Georgie ging brav mit zur Kirche, ohne ein besonderes geistliches Interesse zu entwickeln.

Die Eltern schickten den Sohn in Elite-Schulen an die Ostküste. In Houston war George W. als Partygänger bekannt. Nachdem er 1977 Laura geheiratet hatte, besuchten sie ihre Methodistenkirche. Er machte Karriere, und abends, nach der Arbeit, trank er, trank oft bis tief die Nacht. 1982 kamen Zwillinge zur Welt. Der Alkohol belastete die Ehe zunehmend.

Da folgte Bush einer Einladung seines Freundes Don Evans, der mit einer seiner Primarschulkolleginnen verheiratet war. Evans war überfordert, geschäftlich durch einen Einbruch in der zuvor boomenden Ölindustrie, privat durch die Geburt einer schwer behinderten Tochter. Unter diesen Umständen entschloss er sich zu einem regelmässigen Bibelstudium in einer Kleingruppe. Mit ihm kam - George W. Bush.

‚Goodbye Jack Daniels, hello Jesus'

"Während zwei Jahren lasen Bush und Evans mit ihren Frauen die Werke des Arztes Lukas: die Apostelgeschichte und dann sein Evangelium." Jede Woche ein Kapitel; dem genauen Lesen, Vers für Vers, folgte eine Diskussion in der Gruppe. Laut Fineman sah Bush, "dem es wenig auf abstrakte Ideen, sondern auf die Menschen ankommt", bei Saulus, der zum Paulus wurde, dass eine totale Umkehr möglich war. Und "Bush wandte sich der Bibel zu, um seine Ehe und Familie zu retten".

Das intensive Bibelstudium in einer nicht kirchengebundenen Gruppe (Community Bible Study, 1975 von Frauen in der Region Washington lanciert) war laut Fineman in mehrfacher Hinsicht ein "Wendepunkt für den künftigen Präsidenten": Zum ersten Mal war er, der säkulare Eliteschulen absolviert hatte, wirklich gepackt von einem Buch. Zudem fand der Langstreckenläufer "im Bibelstudium eine entsprechende mentale und geistliche Disziplin". So gewann er die Kraft, nach seinem 40. Geburtstag 1986 mit dem Alkohol zu brechen. Fineman zitiert die Worte eines Freundes: "Es war ‚goodbye Jack Daniels, hello Jesus'".

Erfolg bei konservativen Christen als Schlüssel zur Karriere

Mit dieser persönlichen Wandlung fiel eine politische Entwicklung zusammen, die Bush für seine politische Laufbahn ausnutzte. 1985 hatten Südstaatler das Ruder bei den Republikanern übernommen. Wertkonservative evangelische Christen wurden politisch aktiv. 1987 zog George W. Bush nach Washington, um in der Präsidentschaftskampagne seines Vaters mitzuarbeiten.

Er fungierte als Verbindungsmann zur religiösen Rechten, die anzusprechen sein Vater Mühe bekundete - und hatte Erfolg: "Er sah rasch, dass er die fromme Sprache beherrschte und Christen auch persönlich überzeugte" (im Original: "He quickly saw that he could talk the talk as well as walk the walk").

Bush und Karl Rove, der heute als sein Berater im Weissen Haus wirkt, bauten nach Fineman gemeinsam ihre Polit-Karriere auf diese neue Grundlage: "Glaube und Ambition wurden eins". Als Bewerber für das Gouverneursamt in Texas scheute sich Bush nicht, Rat von Pastoren anzunehmen; besonders Leiter neuer Mega-Kirchen hatten Zugang zu ihm.

Diesem Milieu entspricht auch der im Wahlkampf von 2000 erfolgreiche Slogan, der Bush bis heute begleitet, das Motto vom ‚Konservativismus mit Herz' (compassionate conservatism). Fineman bemerkt, dass die daraus fliessenden Initiativen im Sozialbereich, etwa im Strafvollzug, in mancher Hinsicht abzuleiten sind aus seiner persönlichen Erfahrung mit dem Bibelstudium: "Die Übung im Glauben kann Leben retten".

Überzeugend vom eigenen Glauben gesprochen

Während seine Konkurrenten im Präsidentschaftswahlkampf wertkonservative Christen mit Stellungnahmen zur Homosexualität oder zur Abtreibung an sich zu binden suchten, sprach Bush über seinen Glauben. Sein Mitbewerber Gary Bauer nannte dies ‚identity politics': "Die Leute glaubten ihm und glaubten an ihn". Als Redenschreiber stellte Bush Michael Gerson an, einen Absolventen des Wheaton College bei Chicago, einer führenden evangelikalen Schule. Und als John McCain die Primärwahlen in New Hampshire gewann, war sich Bush Junior auf Anraten seiner Wahlkampfstrategen nicht zu gut, die ‚ultrafundamentalistische' und scharf antikatholische Bob Jones University in South Carolina zu besuchen.

Laut Fineman wurde George W. Bush nicht durch den Glauben zu einer entscheidungsfreudigen Person. "Er ist es immer gewesen. Seine Zugehörigkeit zur Bush-Familie lässt ihn eine Verpflichtung zum Dienen wie auch eine Ermächtigung zum Führen spüren." Dabei schätze es der Chef des Weissen Hauses zu hören, dass Leute für ihn beten.

Im Angesicht des Bösen

In den letzten Wochen mischt sich nach Meinung des früheren Redenschreibers David Frum eine Nuance frommer Schicksalsgläubigkeit in die gewohnten religiösen Äusserungen des Präsidenten, nach dem Motto: "Du tust, was du kannst, und gehst davon aus, dass alles in Gottes Hand ist. Wenn du darauf vertraust, dass es einen Gott gibt, der die Welt regiert, dann tust du deinen Bestes, und es wird gut herauskommen." - Diese fatalistisch angehauchte Zuversicht komme manchen als engstirnig und arrogant vor, schreibt Fineman.

Am 11. September 2001 wurden die USA ins Mark getroffen. Die Worte, die Bush an diesem Tag zur Katastrophe fand, die Sprache von Gut und Böse, entsprang seinen religiösen Überzeugungen. Von Beginn weg belegte er die Attentäter mit dem biblischen Begriff ‚evildoers', Übeltäter. Und im November bezeichnete er auch Saddam Hussein geradeheraus als ‚böse'.

Krieg für die Freiheit?

Bekennende Christen fordern seit langem, dass die USA ihre Machtfülle für die Förderung der Glaubensfreiheit in autoritär regierten islamischen Ländern einsetzen. Bush betreibt laut Fineman eine "glaubensgestützte Aussenpolitik der explosivsten Art: er riskiert einen Krieg im Namen bürgerlicher Freiheit, der Glaubensfreiheit eingeschlossen, im alten Herzen des arabischen Islam". Dabei habe er eine mächtige Allianz religiöser Leiter gegen sich, auch den Papst. Die Kriegs-Perspektive mache viele Leute, die Bushs Glauben schätzten, nervös, sagt Steve Waldman vom christlichen Internet-Dienst Beliefnet.

Howard Fineman rundet sein religiöses Profil des US-Präsidenten mit einem Abend ab, an dem George W. und Laura einige Freunde zum Essen einluden. Unter ihnen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Der Präsident bat ihn, das Dankgebet zu sprechen. Um halb elf beendete Bush die Runde, um noch einige Momente Sport am Fernsehen zu erhaschen. "Aber er musste auch früh aufstehen, sehr früh. Er hatte zu lesen."
Bearbeitung: Peter Schmid

Datum: 05.03.2003

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