UMTS: besser als Fernsehen im Fauteuil

Wirklich alles Fortschritt?
Wie war das damals? Telefon mit Draht.

Wer zum Fernsehen nach Hause fahren muss, weil es den Guckkasten nur in der guten Stube gibt, der ist zu bedauern. Dass man TV nur im Fauteuil geniessen könne, sei ein Skandal. In diesem Sinn äusserte sich Swisscom-Chef Jens Alder diese Woche bei der Vorstellung der UMTS-Handys.

Bei der dritten Generation der drahtlosen Telefone, die nun auf den Markt kommt, sind tatsächlich markige, nein: kultige Worte vonnöten, um die enormen Investitionen zu rechtfertigen. Ja, selbstverständlich werde man mit dem neusten cellphone auch noch telefonieren können, sagen die Werber.

Aber das Andere zählt. Nicht nur fotografieren, sondern auch fernsehen. Werte Konsumentin, werter Konsument: Sie träumten doch schon immer davon, TV-Nachrichten und Wetterkarten abzurufen und Roger Federer beim Siegen zuzuschauen, während Sie Zug fahren. Vielleicht bekommen Sie auf ihrem Handy gar den Flug des Tennisballs mit…

Bestimmt ist UMTS eine der ersten grossen Errungenschaften des Jahrhunderts. Derart gewaltige Datenmengen durch die Luft schicken, einfangen (Antennen brauchts immer noch) und auf den herzigen Bildschirmchen anzeigen – toll, was die Ingenieure hinkriegen!

Mir schwant jedoch, dass der technische Fortschritt, der uns da verklickert wird, den gewaltigen Aufwand nicht wert sein könnte. Man erinnert sich, wie der deutsche Staat den Firmen, die sich um den Aufbau von UMTS-Netzen bewarben, im Sommer 2000 gesamthaft 100'000'000'000 Mark (100 Milliarden!) abforderte – und sie wurden zugesichert, da die Drahtlos-Euphorie bis an den Himmel reichte.

Nach dem Platzen der Blase sanken und sanken die Börsenkurse, zwei Jahre lang. Die Fragen, wer denn UMTS braucht, sind nicht verstummt. Den Euphorikern vom Dienst bleibt der Spruch (so am Radio gehört), man werde in zehn Jahren wohl sehen, für welche weiteren Möglichkeiten der neue Fast-Alles-Könner gut sei. Und sie erinnern an das Potenzial von SMS, das niemand im voraus erahnte…

Einen Fortschritt bringt die mobile Videotelefonie ohne jeden Zweifel: Sie können künftig (sofern Sie sich den Dienst leisten) Ihrem Gesprächspartner am Telefon in die Augen blicken. Das ist doch was! Statt seiner Stimme die Laune oder gar verborgene Motive abzulauschen, konzentrieren Sie sich auf seine Mimik. Fixieren Sie das kleine Bild auf ihrem tollen neuen Handy. Bestimmt bekommen Sie viel mehr mit von dem, was er sagen will.

Ist das nicht auch im Sinn Gottes, der uns Menschen zum ganzheitlichen Kommunizieren geschaffen hat, als Gemeinschaftswesen? „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“, steht auf einer der ersten Seiten der Bibel. Und darum teilen wir – nun auch visuell – mit, wie es uns geht.

Aber: Die angenehme Privatheit des Telefons, durch das ich, ohne beäugt zu werden, plaudern kann, soll technisch überholt sein? Wie wird es jenen Damen ergehen, die nun auch zum Telefonieren das Make-up erneuern müssen?

Nein, ich telefoniere gern, ohne mich zu präsentieren. Es genügt, dass mich einer sieht, der Vater, der vom Himmel herunterschaut auf die Menschenkinder – ohne UMTS.

Forum: Ihre Meinung zu diesem Artikel

Datum: 19.11.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

Werbung
Livenet Service
Werbung