Werbung und ihre gezielte Wirkung

"Verurteilt zum Tode", steht auf dieser Anzeige der Bekleidungsfirma Benetton. Sie zeigt den US-Todeskandidaten Jerome Mallett im Januar 2000. Immer wieder machte Benetton mit seiner Schock-Werbung auf sich aufmerksam. Deutsche Richter können sich bisher nicht darauf einigen, ob die Werbung gegen die Menschenwürde verstösst oder nicht.
Arte Mehlpackung
Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6. Dezember 2001 besagte, dass die Benetton-Werbung "H.I.V. POSITIVE" wettbewerbswidrig sei. Am 11.3.2003 wurde das Urteil vom Bundesverfassungsgericht widerrufen!
Adam und Eva

Ein Teil der Werbeindustrie hat das Potenzial erkannt, sich mit gesellschaftlichen Missständen kritisch auseinander zu setzen, um einen hohen Grad öffentlicher Aufmerksamkeit zu erhalten. Sie hat sich daher von der klassischen Produktwerbung abgewandt und bedient sich inzwischen auch den Mechanismen der Provokation. Durch gezielte Skandalisierung und inszenierte Tabubrüche werden die Grenzen moralischer Freiheit neu festgelegt. Die Werbung stellt bewusst ethische Werte, Moral und Religion in Frage und untergräbt sie.

Neben Spielfilmen gehört die kommerzielle Produktwerbung zu den zentralen medialen Einflüssen, die strategisch darauf ausgerichtet sind, durch Suggestion sowie persuasive und stimulierende Mechanismen den Konsumenten zum Kauf des angepriesenen Produktes zu gewinnen (vgl. Brosda/Schicha 2002).

Beim Blick auf die Funktionen der Werbung lassen sich folgende Punkte aufzeigen:

- Werbung dient der Gewinnmaximierung eines Unternehmens, wobei in Bezug auf den Kunden bewusst Emotionalität erzeugt wird auf Kosten der Rationalität
- das beworbene Produkt wird ästhetisiert
- es wird auf eine Imagebildung und Markenfixierung abgezielt
- die Präsentation des Produkts erfolgt in einem ansprechenden Kontext

Suggerierter Lebensstil

Werbeaussagen sind einfach gestaltet, um eine breite öffentliche Resonanz zu erhalten. Sie basieren immer auch auf einer Täuschung. Aufgrund der allgemeinen medialen Reizüberflutung ist es das oberste Ziel der Werbestrategen, die Aufmerksamkeit des Betrachters zu gewinnen. Emotionale Werbung bietet die ideale Grundlage, um an die Bedürfnisse des potentiellen Kunden zu appellieren. Weniger entscheidend als die Informationen über das Produkt ist der emotionale Zusammenhang, in dem das Produkt umworben wird. Dabei ist die Identifikation mit dem Produkt, der Marke oder der suggerierten Weltanschauung relevant: "Werbung verbindet sich in der Regel weniger mit Produkteigenschaften als vielmehr mit einem suggerierten Lebensstil oder der scheinbaren Zuordnung zu einem gesellschaftlichen Milieu, zu dem 'man' gehören will." (Howoldt/Schwendemann 1997, S. 52)

Werbung als künstlerisches Zeitzeugnis

Das von vier Geschwistern geleitete Benetton-Imperium verfügt weltweit über 7'000 Geschäfte in 110 Ländern und verfügt über Beteiligungen an Supermärkten, Bahnhöfen, Flughäfen und Telekommunikationsgeschäften. Es ist zudem im Formel 1-Sponsoring aktiv. Dort arbeiten rund 50'000 Beschäftigte. Der Jahresumsatz liegt bei jährlich sieben Milliarden Euro (vgl. Rest 2003). Der für die Unternehmens-Kampagnen verantwortliche Fotograf Toscani (1997) hält die konventionelle Produktwerbung für sozial nutzlos. Dort würden Unsummen verschwendet, um die Konsumenten anzulügen. Seine Auffassung von Werbung sieht vor, dass diese auf kreative Art als künstlerisches Zeitzeugnis über die Verfolgung humaner Ziele sowie der Wertevermittlung und Erziehung informieren solle. Dabei nutzt er das Spiel mit Stereotypen, die er in unterschiedlichsten Themenbereichen zum Einsatz bringt. Das Unternehmen solle zudem dazu dienen, gesellschaftliche Missstände publik zu machen.

Werbung und ihre Scheinwelt

Der konventionellen Werbewirtschaft wird vorgeworfen, dass sie Unsummen verschwende, sozial nutzlos sei und die Konsumenten verdumme, da sie eine irreal anmutende positive "Scheinwelt" propagiere. Es wird von Toscani gefordert, dass auch die Werbung humanen Zielen dienen und eine aufklärende Funktion einnehmen soll. Es wird also ein Kontrapunkt zur konventionellen Werbung gesetzt: "Das italienische Unternehmen brachte Blut, Schmerz und Tod dorthin, wo es nach dem Empfinden der meisten Menschen gar nicht hingehört: in die Werbe-Weichspülerwelt, in der bekanntermassen alles etwas sauberer (oder war es reiner?), weicher, samtiger, kuscheliger, wohliger und netter ist." (van Ackeren 1998, o.S.).

Bewusste Provokation

Auch ein Teil der Werbeindustrie hat das Potenzial erkannt, sich mit gesellschaftlichen Missständen kritisch auseinander zu setzen, um einen hohen Grad öffentlicher Aufmerksamkeit zu erhalten. Sie hat sich daher von der klassischen Produktwerbung abgewandt, die ursprünglich auf die optimale Präsentation der positiven Seiten des angepriesenen Artikels setzte. Inzwischen bedient sie sich auch den Mechanismen der Provokation und Tabubrüche. Problembereiche werden durch Schockbilder aufzuzeigen, wobei das eigentliche Produkt zum Teil gar nicht mehr visuell gezeigt wird. (vgl. Schulze 1999, S. 238ff.). Durch werblich inszenierte Tabubrüche werden die Grenzen moralischer Freiheit neu festgelegt. Benetton inszeniert seine Imagestrategie auf folgenden Grundlagen: Der Konsument wird bewusst emotionalisiert, die Werbung zielt weg vom Produkt, hin zur spektakulären Kommunikation zwecks Ablenkung vom Konsumappell, kalkulierte Provokation wird bewusst zur Steigerung der Aufmerksamkeit und der durchaus erwünschten kontroversen Diskussion in der Öffentlichkeit eingesetzt als kostenlose Reklame .

Zwischen Sittenwidrigkeit und Meinungsfreiheit

Dabei wird speziell bei den Benetton-Kampagnen ein umfangreiches Themenspektrum eingesetzt wie Rassismus, christliche Motive, (Homo-)Sexualität, Natur- und Umweltzerstörung, Todesstrafe, Behinderung, Krieg, Gewalt und Trauer, AIDS und Hunger. Die Behandlung dieser Themen im Rahmen der Werbekampagne hat zu heftigen Kontroversen und emotional aufgeladenen Debatten geführt. Was auch eine grundlegende Reflexion über "Ethik und Ästhetik der Werbung ermöglicht (Könches 2001) zwischen Sittenwidrigkeit und Meinungsfreiheit und den daraus resultierenden Konsequenzen, von Medienselbstkontrolle bis hin zum Bundesverfassungsgericht. Das Teile der Schockwerbung der Firma Benetton für zulässig erklärte, weil sie als "Anklage" gegen gesellschaftliche Missstände interpretiert werden könne (vgl. Türcke 2001) (9). Argumente für die Benetton-Kampagne unterstreichen, dass ihre Bilder ästhetisch ansprechend, lebensnah sowie tabubrechend sind und Problemfelder eindrucksvoll dokumentieren.

Profit schlagen aus gesellschaftlichen Tragödien

Gegen die Kampagne wird eingewendet, dass eine Provokation der Scham- und Schuldgefühle der Angesprochenen moralisch ebenso fragwürdig ist wie die Einmischung eines kommerziellen Bekleidungsunternehmens in gesamtgesellschaftliche Tragödien. Und dies unter der Vorgabe einer moralischen Absicht, um faktisch Profit aus dem Leid anderer zu schlagen. Konkrete politische Entwicklungen sind im Rahmen der Werbekampagnen immer wieder von Toscani aufgegriffen worden. Als Ende der 80er Jahre die Apartheid in Südafrika zu bröckeln begann, wurde von ihm das Bild einer schwarzen Frau publiziert, die ein weisses Kind stillt. In den USA wurde das Bild als rassistisch wahrgenommen, da die Frau in der Rolle einer Amme gezeigt würde. Weitere Abbildungen unter dem Motto "United Colours" zeigten eine weisse und schwarze Hand in Handschellen und stellten damit das gängige Opfer-Täter-Klischee in Frage. Bilder von spielenden Kindern mit unterschiedlichen Hautfarben riefen zur Toleranz auf.

Als im September 1990 der erste Golfkrieg ausbrach, fotografierte Toscani die Kreuze auf einem französischen Soldatenfriedhof. Dies brachte ihm den Vorwurf ein, dass er aus dem Thema 'Krieg und Elend' Kapital schlagen wolle. Ein Jahr später wurde das Foto eines Neugeborenen mit Nabelschnur veröffentlicht, um ein Zeichen der Hoffnung zu setzen. Doch dieser Tabubruch stiess nicht nur in England auf harsche Kritik.

1993 zeigte Toscani die blutverschmierte Uniform eines Soldaten, der im Bosnienkrieg gefallen ist. Dies sollte die Grausamkeit des Krieges symbolisieren.

Imagewerbung durch Schockwerbung

Die Form der Werbung von Benetton bietet insgesamt wenig bis gar keine Informationen über das eigene Produkt. Die Imagewerbung des Unternehmens setzt vielmehr auf emotionale Werbung. Bei der "Schockwerbung" handelt es sich um eine besondere Ausprägung der Imagewerbung. Die Werbung ruft beim Betrachter Gefühle wie Ablehnung, Entsetzen oder Mitleid hervor. Ein Gefühl des Sich-Solidarisierens mit dem werbenden Unternehmen kann ebenso die Folge sein wie eine Ablehnung derartiger Marketingstrategien. In jedem Falle findet eine Polarisierung statt. Ziel des Werbers ist ein erhöhter Bekanntheitsgrad und damit letztlich eine Umsatzsteigerung.

Juristisches Dilemma

Das juristische Dilemma bei der so genannten "Schockwerbung" liegt - wie auch im Falle Benetton - in der Abwägung zwischen zwei unterschiedlichen Aspekten: Einerseits ist die Frage nach den "guten Sitten" im Wettbewerb zu beantworten, andererseits stellt sich die Frage, ob und inwieweit Art. 5 I GG (Meinungs- und Pressefreiheit) eingeschränkt werden darf. Dabei gilt es, eine Abgrenzung zwischen der Freiheit der Meinungsäusserung und den Grenzen der Wettbewerbsfreiheit zu schaffen.

Medienethische Schulung zur Interpretation von Werbung

Mit der religiösen Symbolik in der Werbung haben sich Sven Howolt und Wilhelm Schwendemann (1997) beschäftigt. In ihrem Artikel "Werbung - Religion - Ethik" liefern sie didaktische Anregungen zur Wertevermittlung religiöser Symbole bei der Benetton-Werbung und bieten wertvolle Anregungen für eine weitergehende Analyse im Rahmen der medienethischen Ausbildung. So setzen sich Unterrichtsreichen inhaltlich mit provokativen Werbekampagnen in Zusammenhang mit grundlegend moralisch-relevanten Themenfeldern wie Toleranz, Tötungsverbot sowie dem Umgang mit Minderheiten auseinander. ( Pirner 2001, S. 14)

Weitere didaktische Anregungen behandeln die ökonomischen Ziele und Interessen von Werbung mit religiösen Symbolen, um die Spannung zwischen ästhetischem Schein, dem Werbeversprechen und dem tatsächlichen Gebrauchswert des Produktes aufzuzeigen. Durch eine Analyse der religiösen Symbole und Erzählzusammenhänge sollen die Schülerinnen und Schüler u. a. das Menschenbild in der Werbung analysieren, den Aufbau und die Struktur von Werbung erkennen und religiös besetzte Symbole interpretieren. Die durch Kleidung, Accessoires, die Sprache oder die Rahmenhandlung der Anzeigen zum Ausdruck kommen. Sie sollen erkennen, durch welche Mechanismen, Kaufentscheidungen geweckt werden sollen (z. B. durch Provokation oder Identifizierung mit dem Produkt aufgrund der vorliegenden Weltanschauung). Weiterhin können Diskurse über die Qualität und die Grenzen der Werbung und die damit zusammenhängende Wertvermittlungsprozesse erfolgen.

Adam-und-Eva-Motiv

Als abschliessendes Beispiel sei hier ein Blick auf das "Adam und Eva"-Motiv der Benetton-Kampagne geworfen: Dieses Motiv stellt eine Neukomposition der biblischen Geschichte dar, wobei zum Kauf der abgebildeten Jeans aufgerufen wird. In einer medienethischen Auseinandersetzung kann die als sexistisch zu nennende Darstellung der Frau ebenso thematisiert werden wie die inhaltliche Unterscheidung zwischen der biblischen Erzählung und der faktischen Darstellung des Werbebildes. Grundsätzlich lassen sich an diesem Beispiel verschiedene Impulsfragen formulieren, zum einen, ob die Werbung hier die Religion missbraucht, zum anderen, warum sexistische Werbung in dieser Kombination zum Einsatz kommt (vgl. Howoldt/Schwendemann 1997, S. 51ff.).

Überarbeitung: Livenet, Antoinette Lüchinger

Autorin: Christian Schicha

Quelle: Aus Medienheft 12. Mai 2003// http://www.medienheft.ch
Originalartikel: "Spielfilme und Benetton-Werbung als populäre Beispiele"
http://www.medienheft.ch/kritik/bibliothek/k19_SchichaChristian.html

Datum: 26.05.2003

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