Strassburger Urteil: Kopftuch-Verbot an türkischen Hochschulen in Ordnung

Europäischer Gerichtshof in Strassburg

Zwei Türkinnen haben vor dem europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg ein Urteil gegen das Kopftuch-Verbot an Hochschulen in ihrem Land zu erwirken gesucht. Im Urteil, das mit Spannung erwartet wurde, gaben die Richter Leyla Sahin nicht Recht. Die andere Frau hatte ihre Klage ohne Angabe von Gründen zurückgezogen

Sahin, die 1998 im fünften Jahr an der Universität Istanbul Medizin studierte, weigerte sich, für Vorlesungen und Prüfungen das Kopftuch abzulegen. Die Universität erlaubte ihr das Weiterstudieren nicht; Sahin verliess die Türkei und zog nach Wien.

Die Richter in Strassburg befanden nun, wer sich an einer weltlichen Ausbildungseinrichtung einschreibe, müsse auch deren Regeln akzeptieren. Den Staaten komme ein grosser Ermessensspielraum zu – ein Kopftuchverbot oder ähnliche Reglementierungen seien nicht unverhältnismässig und könnten als für eine demokratische Gesellschaft notwendig betrachtet werden.

Bisherige Linie bestätigt

Das Urteil wird besonders in Deutschland und Frankreich, wo jüngst Verbote des Kopftuch-Tragens erlassen wurden, von Politik und Justiz mit Erleichterung aufgenommen werden.

Der Richterspruch entspricht der bisherigen Linie des Menschenrechtsgerichtshofs. Denn schon in der Vergangenheit begründeten die Richter stets ausführlich, warum sie die Klagen ablehnten und gar nicht erst zur Verhandlung zuliessen. Schon 1993 wurde die Klage zweier Türkinnen abgewiesen, die zum Erhalt ihrer Universitäts-Diplome ein Passfoto ohne Kopfbedeckung hätten vorlegen sollen und dies verweigerten.

Religiöse Minderheiten vor Druck schützen

Dass die Universität religiöse Symbole – Bärte für Männer und Kopftücher für Frauen – verbiete, sei legitim, um eine Vermischung der Studenten unterschiedlicher Glaubenszugehörigkeit zu erreichen. Vor allem in einem Land, in dem eine grosse Mehrheit der Bevölkerung einer bestimmten Religion angehöre, könne durch deren Symbole und Riten unzulässiger Druck auf Gläubige anderer Religionen ausgeübt werden.

Die Richter verwiesen darauf, dass schon ihr Vorgänger-Gremium, die Europäische Menschenrechtskommission, 1978 einem Motorradfahrer in Grossbritannien erklärt habe, er könne nicht aus religiösen Gründen vom Helm-Tragen befreit werden. Auch ein britischer Lehrer, der sich gegen Arbeitszeiten wandte, die gegen seine Gebetszeiten verstiessen, habe 1981 nicht Recht bekommen. Der Menschenrechtsgerichtshof blieb bei dieser Logik.

Aufsehen erregender Genfer Fall

Aufsehen erregte im Februar 2001 eine zum Islam übergetretene Schweizer Primarlehrerin. Auch ihre Klage wurde abgewiesen. Damals präzisierten die Richter sogar schon, warum das islamische Kopftuch von den Genfer Behörden zu Recht untersagt worden war: "Das Tragen des islamischen Schleiers scheint nur schwer mit der Botschaft der Toleranz, des Respekts vor dem anderen und vor allem der Gleichheit und der Nicht-Diskriminierung vereinbar zu sein, die in einer Demokratie jeder Lehrer seinen Schülern vermitteln muss", heisst es in der Entscheidung.

Und weiter: Die weltanschauliche Neutralität des öffentlichen Grundschul-Unterrichts sei ein legitimes Ziel. Vor allem mit Blick auf das Alter der Grundschüler hätten die Behörden eine korrekte Ermessensentscheidung getroffen, die "nicht unvernünftig" sei. Auch die Klage der Lehrerin, mit dem Kopftuch-Verbot werde sie als Frau diskriminiert, schien den Strassburger Richtern nicht schlüssig. Es gehe vielmehr darum, den Respekt vor der Neutralität der öffentlichen Schulen durchzusetzen. Eine solche Massnahme könne ebenso gut einen Mann treffen, wenn er unter ähnlichen Umständen "in aufdringlicher Weise die Tracht einer anderen Religion" trage.

Aus Deutschland und Frankreich, wo derzeit am massivsten über die Zulässigkeit des islamischen Kopftuchs und anderer religiöser Symbole in der Schule gestritten wird, liegen dem Menschenrechtsgericht nach eigenen Angaben bislang noch keine Klagen vor. Das mag freilich auch daran liegen, dass erst der Rechtsweg vor den nationalen Gerichten ausgeschöpft sein muss, bevor eine Klage in Strassburg möglich wird. Mit dem Urteil vom Dienstag sind die Erfolgsaussichten geringer geworden.

Pressemitteilung des Menschenrechtsgerichtshofs (englisch):
www.echr.coe.int/Eng/Press/2004/June/ChamberjudgmentsSahinandTekin.htm

Quelle: Kipa/Livenet

Datum: 01.07.2004

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