Hoffnung und Ängste bei der EU-Erweiterung: Christen als Brückenbauer weiterhin vonnöten

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Christen in West und Ost haben, als die Politiker auf kalter Distanz waren, Beziehungen gepflegt und Brücken gebaut. Daran erinnert der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in einer Erklärung zur Osterweiterung der EU. „Der 1. Mai ist ein weiterer Schritt, Trennung und Entfremdung, die im vergangenen Jahrhundert durch Kriege und deren Folgen entstanden sind, zu überwinden“, schreibt die EKD. Weiterhin gibt es viel zu tun – gerade für Christen.

Vorreiter der europäischen Einigung waren einerseits mutige Intellektuelle im Osten, die so regelmässig als Dissidente verfolgt wurden, dass man sich im Westen daran gewöhnte. Sie beanspruchten Freiheit für ihre Völker, als gescheite Westeuropäer sich bereits mit der Teilung Europas abgefunden hatten.

Vorreiter der Einigung waren andererseits Christinnen und Christen, deren Nächstenliebe nicht an den Grenzen halt machte, die von Kommunisten gesetzt und mit Stacheldraht bewehrt worden waren. Tausende von Christen haben 1960-90 oft mit beträchtlichem Risiko christliche Literatur in den Ostblock ‚geschmuggelt’ und jene besucht und gestärkt, die nicht vom realsozialistischen Brot allein leben konnten.

Christen als Pioniere

Den aufrechten Menschen im Osten kamen auch jene Kirchenverantwortlichen zu Hilfe, die sich nicht von östlicher (Kirchen-)Propaganda einlullen liessen. Die EKD schreibt: „Viele christliche Gruppen und Kirchengemeinden in Europa haben seit Jahrzehnten über alle Grenzen hinweg Partnerschaften aufgebaut, durch die gegenseitiges Verstehen und Vertrauen möglich wurden.“

Hass und Abneigung aus mehreren Kriegen verlieren sich nicht in zwanzig Jahren. Christen wiesen den Weg: „Schon lange pflegen Kirchen Beziehungen über die Grenzen, lange Jahre auch über die schmerzliche Grenze des Eisernen Vorhangs hinweg. Christen aller Konfessionen sind sich dabei begegnet und haben durch gemeinsame Initiativen und Projekte zur Versöhnung in Europa entscheidend beigetragen. Darauf lässt sich nun aufbauen; so kann die Zukunft gemeinsam gestaltet werden.“

Wohin wandern die Arbeitsplätze?

Nachdem die politische Spaltung Europas überwunden ist, gilt es nun laut der EKD, „Gemeinsamkeiten zu vertiefen“. Ob das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen „kontinuierlich gewachsen ist“, wie die EKD meint?

Wer in den letzten Wochen die Menschen reden hörte, nahm im Westen vor allem Angst um Arbeitsplätze und Löhne wahr, im Osten die Furcht vor Identitätsverlust. Die ARD zeigte am Freitagabend einen Bericht aus einem Dorf in der Mittelslowakei, neben dem der koreanische Konzern KIA eine Autofabrik erstellen will. Da wird der Landesname plötzlich anders geschrieben: Slova-KIA…

Der dritte Umbruch

Der deutsche Publizist Christian Schmidt-Häuer beschreibt in der ‚Zeit’, was viele Menschen umtreibt: „Europa ist seiner nicht sicher. Die Völker stehen nicht Spalier… Die Mehrheit im Westen fürchtet materielle Einbußen, die Mehrheit im Osten existenzielle Verluste. Die Verunsicherung ist verständlich. Nie zuvor hat die EU so viele und so arme Länder zugleich aufgenommen.“

Und aus der Ost-Perspektive: „Nie zuvor versuchten so viele Staaten in so kurzer Zeit aus freien Stücken, fremd gesetztes Recht, andere Gesellschaftsnormen, Wirtschaftsregulierungen, politische Kultur zu übernehmen. Die Bevölkerungen Ostmitteleuropas haben zum dritten Mal im Zeitraum einer Lebensspanne ihr Hab und Gut, ihre Löhne, Renten und Sozialleistungen neuen Ungewissheiten aussetzen müssen.“

Verblichene Verheissungen

Die „Verheissungen des europäischen Sozialstaats“ beflügelten die Völker, die sich vor 15 Jahren von der moskowitischen Bevormundung und Ausbeutung freimachten. Aber diese Verheissungen sind verblichen.

Was Spanien und Portugal an Geldern erhielten, um der Gemeinschaft zuzuwachsen, wird heute nicht einmal mehr versprochen. Die meisten Bauern in den neuen EU-Ländern müssen rasch EU-Quantitäts- und Qualitätskriterien erfüllen, ohne auf ansehnliche Subventionen zählen zu können – die hält Paris denn doch lieber den eigenen Landwirten zu…

‚Versöhnende und versöhnte Gemeinschaft’

Was sind unter diesen Umständen die schönen Worte der EKD wert, nun sei dafür zu werben, dass die Menschen „mit offenem Geist aufeinander zugehen“? Und weiter: „So kann aus der wirtschaftlichen und politischen Einigung eine versöhnende und versöhnte Gemeinschaft unter Europäern entstehen.“ Die EKD selbst erwähnt die verbreitete Befürchtung, dass „bewährte soziale Strukturen durch ungezügelten Wettbewerbsdruck zerfallen könnten.“

Im grossen Europa, dessen Einigung Politiker, Ökonomen und Manager vorangetrieben haben, wird es tatsächlich darauf ankommen, dass Menschlichkeit, Solidarität und Bescheidenheit der Geld- und Machtgier Schranken setzen.

Soziale Gegensätze nicht ausblenden

Christen sind weiterhin herausgefordert, mit allen, denen ein geknickter Halm noch ein Halm ist, auf Gerechtigkeit zu pochen – und Brücken zu bauen. Trennungen gibt’s genug, auch wenn Grenzen nicht mehr territorial trennen (Schmidt-Häuer beschreibt in einem eigenen Artikel die Misere der „Kellerkinder“, der Roma in Osteuropa).

Die geplante Europäische Verfassung – wirklich zu kompliziert für Volksabstimmungen? – wird’s nicht bringen. Auch wenn es, die EKD erwähnts, wesentlich ist, dass sich „die Europäische Union auf ihre gemeinsamen Werte verpflichtet. Das christliche Erbe Europas trägt als inspirierende Kraft dazu bei, die gemeinsamen Werte anzuerkennen, die Voraussetzung einer dauerhaften Einigung und Versöhnung sind.“

Hope for Europe - Evangelische Netzwerke für Europa: www.hfe.org

Dossier zur Osterweiterung der 'Zeit'

Dossier des 'Rheinischen Merkur'

Datum: 04.05.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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