Hindu-Fanatiker schlagen in Madhya Pradesh los: neue Phase der antichristlichen Hetze in Indien?

Regierungschefin Uma Bharti spricht zu den protestierenden Hindus.

Einen Monat nach dem triumphalen Wahlsieg der Hindu-Partei BJP im nordindischen Gliedstaat Madhya Pradesh sind Christen an mehreren Orten zur Zielscheibe von Ausschreitungen geworden. Die Polizei griff nicht ein. Der Allindische Christenrat, der darüber berichtet, sieht seine Befürchtungen über eine Ausweitung der Christenverfolgung durch Hindu-Fanatiker bestätigt.

Die Unruhen begannen damit, dass in der Stadt Jhabua ein neunjähriges christliches Mädchen namens Sujata aus der einheimischen Stammesbevölkerung, ermordet auf dem Gelände einer katholischen Mission aufgefunden wurde. Sie war vergewaltigt worden. Darauf stürmte am 13. Januar eine wütende Menge unter Führung des örtlichen Chefs des Hindu-Weltrats (VHP) auf das Gelände und attackierte die Priester. Die Polizei nahm die Geistlichen in Gewahrsam, angeblich um sie zu schützen.

Der Mob konnte laut dem Bericht des Allindischen Christenrats (AICC) unbehelligt abziehen; ein Mann wurde später unter Mordverdacht verhaftet. Der Distrikt Jhabua, etwa 400 km nordöstlich von Mumbai gelegen, ist der westlichste von Madhya Pradesh; er grenzt an den Gliedstaat Gujarat, wo in den letzten Jahren durch Hindu-Fanatiker Dutzende von Kirchen zerstört wurden und über tausend Muslime in Massakern ums Leben kamen.

Fanatiker aus Gujarat überfallen christliche Schule

War der Aufruhr in Jhabua als Startschuss für weitere Aktionen gedacht? Drei Tage später, am 16. Januar, zogen Hindu-Fanatiker aus Gujarat unter Führung von Krishna Behn ins Dorf Amkhut, 60 Kilometer von Jhabua entfernt. Die meisten Bewohner Amkhuts sind laut dem AICC Christen der zweiten oder dritten Generation aus dem Stammesvolk der Bhil.

Aufgepeitscht durch eine hasserfüllte Brandrede, in der Behn zum Kampf gegen Bekehrungen aufrief, marschierte die Menge zum Gelände der Mission der "Church of North India". Die CNI ist die grosse protestantische Kirche im Norden Indiens. Dort wurden antichristliche Schriften verteilt und Spruchbänder herumgetragen. Laut Augenzeugen brachen die fanatisierten Hindus auch in Schulzimmer ein, wo Arbeiten geschrieben wurden, und rissen Jesus-Bilder von den Wänden.

Wenn Christen sich wehren?

Den Dorfbewohnern platzte der Kragen. Sie begannen die Eindringlinge mit Steinen zu bewerfen, worauf diese das Weite suchten. Doch dem Dorf stand Schlimmeres bevor. Ein Landesparlamentarier der Hindu-Partei BJP, die in Delhi und nun auch in Madhya Pradesh die Macht hat, lud Dutzende von Aktivisten der extremen Massenorganisationen RSS, VHP und Bajrang Dal in einer benachbarten Stadt auf Lastwagen und fuhr sie für eine Vergeltungsaktion nach Amkhut.

Die christlichen Bhils im Dorf waren jedoch nicht bereit, sich dies gefallen zu lassen. Sie zündeten einige Fahrzeuge an; mehrere Hooligans erlitten Verletzungen; ein junger Mann namens Arjun Pal kam im Getümmel ums Leben (nach einem Bericht der liberalen Zeitung "The Hindu" wurde er erschossen). Mehrere Häuser von Christen wurden angegriffen. Die Polizisten sahen dem wüsten Treiben untätig zu; die Polizeistation befindet sich bloss 100 Meter vom Kirchengelände. Auch im benachbarten Alirajpur kam es zu Ausschreitungen.

Doppeldeutiges aus der Hauptstadt

Die neue Regierung von Madhya Pradesh steht unter der Leitung Uma Bhartis von der radikalen Hindu-Partei BJP. Sie stellte sich zuerst auf den Standpunkt, die Hindus seien während einer religiösen Prozession ausserhalb des Geländes mit Steinen beworfen wurden. Der regionale Polizeiinspektor P.L. Pandey sagte dagegen vor Journalisten, dies treffe nicht zu. Zwei Minister wurden aus der Hauptstadt Bhopal nach Jhabua gesandt.

Schon am Dienstag organisierten zwei militante Hindu-Vereinigungen eine Protestaktion: Hunderte von aufgebrachten Hindus reisten aus Jhabua ins 300 Kilometer entfernte Bhopal und forderten harte Massnahmen gegen den Religionswechsel.

Die Regierungschefin Uma Bharti empfing die Delegation und gab sich gemässigt; sie rief die Versammelten auf, Ruhe zu bewahren und Christen nicht zu beleidigen. Indien sei weltweit bekannt für seine religiöse Toleranz; dieses Image dürfe nicht beschädigt werden. Uma Bharti sprach sich gegen die Diskriminierung von Minderheiten aus und warf der oppositionellen Kongresspartei vor, sie versuche den Vorall politisch auszuschlachten (in Indien stehen Parlamentswahlen an).

Die Hindus forderten Uma Bharti auf, das Treiben von christlichen Missionswerken und den Zufluss ausländischer Gelder unter die Lupe zu nehmen. Gegenüber Journalisten sagte Uma Bharti später, im Distrikt Jhabua habe das Problem des Religionswechsels (zum Christentum) anscheinend eine schwerwiegende Dimension angenommen.

Christliche Bürgerrechtler alarmiert

Die Bürgerrechtler des Allindischen Christenrats AICC sind alarmiert über die Tatsache, dass die antichristlichen Übergriffe gegen Stammesangehörige (in Indien spricht man von tribals) in Jhabua begannen. In dieser Stadt wurden vor Jahren mehrere Nonnen von einer Bande vergewaltigt; die Täter erhielten lange Haftstrafen.

Der AICC befürchtet, dass der Leichnam des ermordeten christlichen Mädchens aufs Kirchengelände gebracht wurde mit dem Ziel, in Madhya Pradesh eine systematische Hetz- und Einschüchterungskampagne gegen Christen auszulösen.

Für den AICC sind die Parallelen zu den Vorgängen im Nachbarstaat Gujarat, wo extreme Hindus mit grausigen Folgen die Strassenjugend gegen Muslime aufhetzten, alarmierend. Laut dem AICC trugen alle Fahrzeuge, die in die Vorfälle verwickelt waren, Kennzeichen von Gujarat.

BJP beherrscht Indiens zentrale Gebiete

Die christlichen Bürgerrechtler erwarten stürmische Zeiten: "Als die BJP kürzlich die Parlamentswahlen in den Gliedstaaten Rajasthan, Madhya Pradesh und Chattisgarh gewann, wiesen wir darauf hin, dass der ganze Gürtel von christlich geprägten Stammesvölkern in Zentralindien nun im Machtbereich der BJP liegt, die unter der Fuchtel des RSS agiert."

Das RSS (das Kürzel bedeutet Nationales Freiwilligen-Korps) ist die Kaderorganisation der extremen Hindus. Unter ihrer Leitung agieren die Massenorganisationen VHP (Hindu-Weltrat, mit globalem Netzwerk), Bajrang Dal (Jugendorganisation, berüchtigt für Schlägertrupps) und Dutzende weiterer Organisationen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens.

Die BJP herrscht neuerdings nicht nur auf Unionsebene (wo sie sich dieses Jahr den Wählern stellen muss), sondern von Gujarat, wo die Gewalt gegen Minderheiten der BJP an der Wahlurne nützte, über Rajasthan und Madhya Pradesh bis nach Chattisgarh, Jharkand und Orissa. Der AICC hat schon früher erklärt, "dass der VHP nun verstärkt daran arbeiten dürfte, Christen in den Stammesvölkern zu terrorisieren und zur Rückkehr zur früheren Religion zu drängen."

Madhya Pradesh: Machtwechsel nach Strom- und Strassenproblemen

Madhya Pradesh war vor der Ausgliederung von Chattisgarh im Jahr 2001 mit 443'000 Quadratkilometern grösser als Deutschland und Österreich zusammengenommen und hatte gegen 80 Millionen Einwohner.

Ein grosser Teil des Staatsgebiets gehört zum so genannten "tribal belt" Indiens, dem Hügelland, wo Hunderte von Stämmen leben, die früher wegen ihres Geisterglaubens als Nicht-Hindus verachtet und vernachlässigt wurden. Anderseits finden sich die extremen Hindu-Bewegungen nicht damit ab, dass Christen den Tribals das Evangelium gebracht und mit Schulen und Gesundheitsdiensten erfolgreiche Dorfentwicklung (und Christianisierung) betrieben haben.

Die Hindupartei BJP hat mit Uma Bharti als Zugpferd im Dezember die Kongresspartei in Madhya Pradesh von der Macht verdrängt. Sie erreichte im grössten, zentral gelegenen indischen Gliedstaat, der lange hart umkämpft war, gar eine Zweidrittelmehrheit. Der gemässigte Kongresspolitiker Digvijay Singh hatte als Chief Minister die Entwicklung ländlicher Gebiete vorangebracht, doch kosteten ihn Infrastrukturmängel (schwere Stromunterbrüche, schlechte Strassen) das Amt.

Allindischer Christenrat im Internet: www.aiccindia.org

Datum: 23.01.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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