Der barmherzige Cisjordanier?

Aviv Shir-On
Roman A. Rosenstein

«Cisjordanien» und «Westbank» oder «Samaria» und «Judäa»? Kampf mit Worten um ein Land. Aviv Shir-On, israelischer Botschafter in der Schweiz und Nigel Parry, Sprecher der Electronic Intifada, schildern ihre Sicht der Dinge.

Als Jordanien 1946 unabhängig wurde, lag das Staatsgebiet des Königreichs ausschliesslich östlich des Jordanflusses. 1948 wurde Israel noch am Tag seiner Staatsgründung der Krieg erklärt, arabische Armeen marschierten ein. Das heute als Westbank oder Cisjordanien bekannte Land wurde von den jordanischen Truppen erobert und zum eigenen Staatsgebiet erklärt.

Mit dem aufgezwungenen Sechstagekrieg (1967) viel dieses Gebiet in israelische Hände. Nach Beendigung der Kämpfe zeigte sich der Judenstaat bereit, die eroberten Zonen für einen Friedensvertrag zurückzugeben. Die arabische Weigerung zum Frieden beim Kongress in Khartum führte zur Idee der Besiedlung der besetzten Gebiete.

Der barmherzige Westbänkler?

Aviv Shir-On, Israels Botschafter in Bern: «Araber und palästinensische Araber kämpfen gegen die Existenz Israels. Sie benutzen dazu die Begriffe Westbank und Cisjordanien. Gemeint ist das Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer.» Der Haken sei, dass der Begriff geografisch nicht definierbar sei. Shir-On: «Dehnt sich dieses Westufer nun einen Kilometer oder zehn aus? Oder sind damit 50 Kilometer oder gleich alles gemeint? Ich denke, dies ist Absicht.» Westbank oder Cisjordanien kann den ganzen Staat Israel bedeuten.

Zudem würden sich die Araber vehement wiedersetzen, die Begriffe «Judäa» und «Samaria» zu benutzen. «Weil diese geografisch definierbar sind. Sie sind aber die historischen, ursprünglichen Namen. Aus politischen Gründen werden sie nicht genutzt, weil die Araber ganz Israel wollen.» Schliesslich sei in der Bibel vom barmherzigen Samariter die Rede und nicht vom barmherzigen Cisjordanier oder Westbänkler.

Fromm gewickelt?

Nigel Parry sieht dies anders. Für den Mitbegründer und Sprecher der Electronic Intifada ist klar: «Die Grenzen der Westbank und von Gaza sind nicht eine Angelegenheit der Perspektive sondern sie sind Teil der international anerkannten Waffenstillstandslinie vom 1948er Krieg, für Flächen die später, 1967, von Israel besetzt wurden. Die Begriffe «Westbank» und «Gaza» werden auf den meisten Karten gefunden, welche nicht durch Israel produziert werden.»

Judäa und Samaria seien die Namen für zwei biblische Flächen, welche die Westbank bilden und die in frühzeitigen Karten gefunden würden, welche, so Parry «gezeichnet wurden, durch frühe Britischen Forscher und Archäologen. Viele waren durch fromme Gründe motiviert – viele von ihnen waren Christen – den Flächen biblische Namen zu geben. Israel machte weiter, diese Namen in den eigenen Karten zu verwenden als eine Beabsichtigung einen Link zur laufende Präsenz der heutigen Nation Israel zu den Menschen des biblischen Israels herzustellen.»

Neutral mit suggestivem Beigeschmack

Weniger heikel sehen Roman A. Rosenstein ( www.anti-defamation.ch ) und Prof. Dr. Eckehard Stegemann (Präsident des jüdischen Medienforums Schweiz) den Begriff «Cisjordanien». Stegemann: «Ich ziehe trotzdem den englischen Ausdruck Westbank vor. Wenn die NZZ das Wort Cisjordanien verwendet, tut sie dies aber, um in der Namensgebung so neutral wie möglich zu sein.» Damit werde die Grenzfrage offengehalten, Israel sei aber als Staat anerkannt.

Weder Rosenstein noch Stegemann werten den Begriff als antiisraelisch. Die Problematik bestehe aber darin, dass es eine Art Staatsgebilde auf jordanischem Gebiet gebe.

Aviv Shir-On sieht die Verwendung von «Cisjordanien» und «Westbank» problematischer, attestiert aber hiesigen Zeitungen keine politischen Ziele: «Aber man sollte mit der Verwendung dieser politischen Begriffe vorsichtiger sein. Die Namen beeinflussen die politische Position. Dass Araber von Cisjordanien und Westbank statt Judäa und Samaria sprechen ist klar, aber Journalisten sollten da vorsichtiger sein.» Oft geschehe dies aus Unwissenheit.

Den Gazastreifen habe es beispielsweise vorher gar nicht gegeben. «Eine geografische Tatsache», sagt Shir-On. «Diese Örtlichkeit eroberten die Ägypter beim Einmarsch um Israel auszulöschen. Nach der Eroberung wurde er so genannt.» Dieser Begriff sei neu entstanden. «Judäa und Samaria sind aber biblische Namen.»

«Wir sprachen vom Ganzen!»

Genau da sieht Nigel Parry ein Problem: «Die Palästinenser sehen das Land als «Palästina», gleich wie Israel darauf hinweisst, dass das ganze Land «Israel» ist. Die Namensgebung Westbank ist nicht wegen unklaren Grenzen, sondern weil die Palästinenser erkennen, dass Israel mit seinen Worten (Judäa und Samaria, Anmerkung der Redaktion.) die historische Periode, als die Juden das Land kontrollierten, heraufbeschwören.»

Dies lässt Shir-On, der früher in Washington als Gesandter für Kongressangelegenheiten tätig war, nicht gelten: «Cisjordanien oder Westbank kann bedeuten, dass kein Platz für Israel da ist. Die Palästinenser können sagen, dass damit alles gemeint ist. Wenn sie dann Judäa und Samaria erhalten, heisst es plötzlich: „Moment, wir haben von ganz Cisjordanien gesprochen und nicht von Judäa und Samaria!“ - so, wie auf vielen Publikationen innerhalb der PA und arabischer Nationen abgebildet: Anstelle von Israel steht ein einziger, palästinensischer Staat.

Datum: 15.11.2003
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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