Versöhnungsbewegung statt Intifada

Salim Munayer mit Familie

Mitten in der Intifada gründete Salim Munayer die Versöhnungsbewegung Musalaha. Livenet.ch sprach mit Munayer, dessen Werk sich mitten in diesem komplizierten, scheinbar unlösbaren Konflikt um Versöhnung bemüht. Versöhnung, zwischen christlichen Palästinensern und messianischen Juden. Musalaha heisst – aus dem arabischen übersetzt – «Versöhnung».

Daniel Gerber: Salim Munayer, 1989 war im Nahen Osten nicht gerade eine einfache Zeit. Wie wirkte sich die Intifada auf ihre neu errichtete Organisation aus?
Munayer: Die erste Intifada startete Ende 1987. Im folgenden Jahr sahen wir die Auswirkungen der Eskalation dieser Gewalt zwischen Palästinensern und Israeli.

Musalaha ist ein Resultat dieser ersten Intifada. Wir wollten Einheit im Leib Christi. Es ist wahr, dass wir Palästinenser und Israeli sind. Beide Seiten lieben ihre Leute, ihr Land aber wir haben auch eine neue Identität im Messias und wir haben einen Weg zu finden, wie wir diese Identität im Messias in diesem Konflikt der zwischen unseren Leuten herrscht, ausdrücken können.

Musalaha ist eine Pflanze der Hoffnung aus der ersten Intifada?
Wir können sagen, dass Musalaha ein Resultat der Vision des Leibes Christi ist. Vor der ersten Intifada war diese erst im Untergrund vorhanden. Die Intifada brachte sie zum Auftauchen. Sie brachte viele Entscheidungen, mit welchem israelische und palästinensische Gläubige nicht einverstanden waren.

Anfangs zogen Sie mit Kamelen in die Wüste. Aus der Distanz eine romantische Aktion: Personen die sich hassen, finden in der Wüste zueinander ...
Das Konzept, das Modell vom Zug in die Wüste, resultierte aus Meetings. Gläubige Personen beider Seiten bekämpften sich verbal. Ich kam zum Schluss, dass wenn wir Versöhnung zwischen den beiden Volksgruppen haben wollen, wir Beziehung und Vertrauen brauchen. Aber wir haben Hass, dass kann man jeden Tag im Fernsehen sehen. Wir entmenschlichen uns gegenseitig. Wenn wir zusammenkommen, streiten wir uns, argumentieren, verstehen uns nicht und schütten noch mehr Öl ins Feuer. Also suchten wir einen Platz, wo sich Israeli und Palästinenser Beziehungen aufbauen können. Wir kamen auf die Wüste. Raus aus der Verzweiflung. Nach der Gründung zogen wir mit einer ersten Gruppe los. Fünf Tage.

Romantisch, ja. Aber bedenken Sie, man ist fünf Tage in die Wüste eingeladen, mit Personen, die Ihre Feinde sind. Das ist sicher nicht das, was man sucht. Dabei waren damals 15 Palästinenser und 15 Israeli. Als Zeichen teilt sich jeweils ein Palästinenser und ein Israeli ein Kamel. Am ersten Abend kamen sie von distanzierten Debattierern auf ein Level, auf dem sie sich verstanden. Zum Ende der fünf Tage in der Wüste kam es zu Beziehung, sie wurden Freunde. Entdeckten, dass Gott jeden nach seinem Bild erschaffen hat.

In der Wüste kommt es zu einem Prozess des Vertrauens. Wüste ist der Platz der Transformation. Wer nicht kooperiert, kann nicht überleben. Israeli und Palästinenser trafen auf einem höheren Level zusammen. Sie assen, tranken, kochten zusammen und in der Nacht am Feuer konnten wir uns unsere Geschichte teilen. Teil eines jeden Konflikts ist die Ablehnung der Geschichte des Anderen. Wir fanden in der Wüste heraus, dass dies in wenigen Tagen hervorkommen kann. Menschen beider Seiten können sich ihre Lebensgeschichte, die sie vorher nicht hören wollten, erzählen. Ihre Verletzungen, Schmerzen, Hoffnungen, Streben. Wir entwickelten diese Wüstentrips. Sie waren sehr erfolgreich. Wir fanden einen Weg, wie Israeli und Palästinenser in Beziehung treten können.

Wir gingen zurück in unsere Gemeinschaften und erzählten ihnen davon. Zu unserer Überraschung ernteten wir Attacken. Auf beiden Seiten war die Rede von Gehirnwäsche in der Wüste.

Aber wir realisierten, dass wir zusammen weitergehen müssen. Eine Folgearbeit machen. Gegenseitige soziale Aktionen wie Essen verteilen, in Spitäler gehen, eine Kirche streichen, Kindern Spielzeuge geben, alle möglichen Sachen. Dies Handlungen kommunizieren den anderen Personen, dass es einen anderen Weg gibt. Nicht einem Weg der Gewalt sondern einen konstruktiven Weg.

Wie reagierten die beiden Regierungen? Fanden diese, Sie seien die richtige Person für den Friedensnobelpreis oder wurden Sie bedrängt?
Wir sind in Jerusalem registriert als Nonprofit-Organisation. Die Regierung kennt unsere Aktivität genau und kann sich auch auf unserer Homepage informieren. Beide Seiten wissen was wir tun. Solange wir nicht in Gewalttaten involviert sind, greifen sie nicht ein. Wir verkünden keinen Hass, wir lernen die Menschen, mit den anderen zu kooperieren. Wir haben keine Probleme mit der Obrigkeit. Wir haben aber auch keine finanzielle oder andere Unterstützung durch die Regierung, die meiste Unterstützung kommt von Einzelpersonen und Gemeinden.

Die politische Situation hat sich verändert, mittlerweile führen Sie die Camps im Ausland durch ...
Ja, wir gehen nach Deutschland, Jordanien und in die Türkei. Mit den Jahren wurde es schwierig bis unmöglich, für Palästinenser, aus ihrem Gebiet zu kommen um Israelis zu treffen. Wir fragen bei der Armee nach und erhalten die Erlaubnisse für einen oder zwei Tage. Aber fünf Tage werden nicht genehmigt. Als Resultat begannen wir, uns im Nachbarland zu treffen. Wir begannen in der jordanischen Wüste, im Sinai und in der Türkei. Im letzten Sommer hatten wir in Deutschland eine Konferenz.

Musalaha engagiert sich nun seit 14 Jahren. Sind Sie zufrieden, so wie es läuft oder ist es nur ein kleiner Tropfen auf den heissen Stein respektive in die heisse Wüste?
Nun, seit die Arbeit startete haben wir von ein bis zwei Wüstenerlebnissen ein ganzes Departement aufgebaut, welches sich um die Arbeit unter Jugendlichen, unter Studenten, Frauen, Führern und ihren Familien kümmert. Mehr und mehr Menschen arbeiten mit.

Gleichzeitig wird die politische Situation härter und härter. Wir sehen, dass langsam, langsam immer mehr Menschen realisieren, dass wir Versöhnung brauchen. Israeli und Palästinenser leben im gleichen Teil der Welt. Wir haben zu lernen, miteinander zu kooperieren.

Seit neustem führen Sie auch Kindercamps durch?
Erstmals organisierten wir nun auch Sommercamps für Kinder. Das ist Resultat daraus, dass wir Führer und Gemeinschaften auffordern, Jugendarbeit zu machen. Nachdem einige Leiter von einem Treffen aus der Türkei zurückkamen, beschlossen sie, dieses Camp durchzuführen. Mit Kindern beider Seiten. 40 Kinder kamen, spielten zusammen, tanzten und hatten Fun. Es ist in diesem Alter wichtig, da in dieser Zeit die Identität geformt wird. Wenn sie dann an die Menschen von der anderen Seite denken, sind dies Leute, die sie mögen. Sie liebten es, gemeinsam zu lachen und zu spielen. Das ist ein Bild. Es ist nicht der Feind, es ist nicht abstrakt, es ist eine reale Person. Da ist ein David von der einen Seite, Suhel von der anderen, da sind Gesichter hinter den Namen. Nicht nur „Israeli“ oder „Palästinenser“.

Sie könnten einen Fussballclub mit Spielern beider Seiten eröffnen. Oder ist die Gefahr zu gross, dass es plötzlich heisst: „Hey in der Verteidigung spielen nur solche der einen Seite!“?
Im Sommercamp wollten die Jungen immer Fussballspielen. Auch bei den Konferenzen der Gemeindeleiter: Deren Kinder wollten immer Fussball spielen. Sport ist ein Bereich, der in Zukunft in unserer Arbeit noch wachsen wird. Zur Zeit haben wir die Mitarbeiter und die Möglichkeit noch nicht. Andere Menschen haben dies auch ausprobiert und es funktionierte gut. Wir hoffen, dass wir eines Tages auch die Möglichkeit haben.

Ihre Söhne sind ja erfolgreich in Schimmen ... . Sie wohnen mit Ihrer Familie in Jerusalem, besuchen Sie oft die PA-Gebiete?
In unserer Nachbarschaft hat es viele Israeli und Araber. Meine Kinder gehen in israelische Schulen. Die meisten sind israelische Juden. Viele von Ihnen sind Teil des Schwimmteams des YMCA. Diese machen einen grossartigen Job in Jerusalem. Sie haben Schwimmteams aus Arabern und Israeli. Christen, Moslems und Juden. Meine Kinder sind dort und ein Sohn erreichte den vierten Platz an der Landesmeisterschaft. Ich bin stolz auf ihn. Diese Schule ist ein positiver Platz der kopiert werden darf!

Ich habe einen akademischen Dienst am «Bethlehem Bible College». Jeden Tag wenn ich lehren gehe, muss ich die Grenze zwischen Jerusalem und Bethlehem überqueren. Das ist eine komplizierte Angelegenheit, ein Hindernis. Dies ist Teil meines Lebens. Mein Dienst ist mit beiden zusammen zu sein, mit Israeli und Palästinenser und zu versuchen, eine Brücke zu sein.

Diese Brücke wird regelmässig erschüttert, durch Terroraktionen und Interventionen der IDF!
Es ist ein sehr persönlicher Kampf. Ich habe viele Freunde in Bethlehem, die von militärischen Aktionen betroffen sind. Solche die nicht zur Arbeit können, die kaum Geld fürs Essen haben. Die sind in schwierigen Situationen. Am gleichen Tag gehe ich nach Jerusalem, und dort geschieht viel Gewalt. Ich fühle auch mit unseren Freunden auf der israelischen Seite. Man hat eine andere Perspektive, wenn man beide Seiten sieht. Unser Herz leidet. Ich wende mich zu Gott und bitte ihn um Hilfe. Man kann sehr verärgert und verbittert werden. Es ist eine schwierige Lektion wenn man schreckliche Dinge sieht. Man muss lernen, zu vergeben, wieder hochzukommen und weiterzumachen.

Wenn sie in die christliche Szene schauen, gilt Israel als das verheissene Land, die Palästinenser als die Bösen. Es sind Christen die das sagen. Wie ist das für Sie?
Die Geschichte der Juden in Europa weisst den Weg, wie Israel heute unterstützt wird. Ich persönlich habe nicht nur mit den jüdischen Bürgern auszukommen, sondern auch mit den europäischen Brüdern. Ich sage: „Du liebst Israel, damit habe ich kein Problem.“ „Ihr bestärkt jüdische Menschen Gott zu lieben, kein Problem.“ Aber wenn der Hass gegen Palästinenser unterstützt wird, dann ist die Linie überschritten. Wenn man sich Nachfolger von Jesus nennt und dann eine Gruppe von Menschen hasst. Gott liebt alle. Gott erschuf alle. Und im Messias Jesus Christus opferte er sich selbst für uns. Ich habe ein Problem, mit Christen, die den Hass gegen Palästinenser unterstützen. Das ist schlecht, falsch und nicht im Geist, welchen wir in der Schrift haben. Das gleiche sage ich zu christlichen Gruppen, die Palästinenser lieben. Es ist falsch, den Hass gegen Juden zu entwickeln.

Im deutschsprachigen Raum gibt es vor allem gefilterte Informationen. TV und Radio sind sehr antiisraelisch. Was ich sehe ist alarmierend. Meine Botschaft ist: Israel ist im mittleren Osten und ist Teil davon. Wir als Christen haben eine Brückenfunktion. Wir haben den Auftrag, unsere Nachbarn zu lieben und mehr als das: Wir haben den Auftrag, unsere Feinde zu lieben. Hass ist Öl ins Feuer. Es bringt nichts.

Es erinnert mich an eine biblische Geschichte. An diejenigen, die zu Jesus kamen und „Herr, Herr“ sagten und er antwortete: Ich kenne euch nicht. Als ich hungrig war, habt ihr mir nicht zu Essen gegeben. Als ich durstig war, habt ihr mir kein Wasser gegeben. Und als ich nackt war, erhielt ich keine Kleider von euch.“ Das ist ein Test unser Spiritualität, daran müssen wir uns erinnern.

Ein anderer Aspekt: Wir haben viele Zeugnisse von Christen beider Seiten. Beide haben Perspektiven der Realität, die uns helfen zu verstehen und besser zu beten.

Wie ist der Support von christlichen Arabern gegenüber den palästinensischen Christen?
Im mittleren Osten gibt es rund 15 Millionen arabische Christen. In Ägypten, Jordanien, Libanon und Syrien gibt es grosse Gemeinden. Die Beziehungen sind limitiert, hauptsächlich laufen sie mit Jordanien und Ägypten, wo wir bei Konferenzen austauschen und gemeinsam anbeten. Für Teenager gibt es Kontakte bei Bibeltrainingsschulen. Es gibt theologischen Austausch und Lehrertausch. Wegen der politischen Situation ist dies aber limitiert und nicht so, wie wir es sehen möchten.

Interview: Daniel Gerber

Datum: 12.11.2003
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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