Krieg und Frieden in Afrika: Neue Hoffnung

Aufeinander zugehen
Edouard Benjamin, ECOWAS
Afrika

Für die meisten Europäer ist Afrika der Kontinent der Kriege und Katastrophen. Die Medien zeigen Bilder von Kindersoldaten und hungernden Menschen. Die Tourismusbranche ergänzt dieses Afrika-Bild bestenfalls mit Fotos aus exotischen Tierparks. Während Konflikte attraktive Schlagzeilen liefern, lässt sich Frieden medial schlecht verkaufen. So sind sich die meisten Menschen in Europa kaum bewusst, dass die Epoche der Kriege in Afrika im Abflauen begriffen ist.

Noch vor drei Jahren sprach man von 14 Kriegen und bewaffneten Konflikten. Seit geraumer Zeit laufen jedoch mehrere schwierige und langwierige Friedensverhandlungen. Manche davon sind abgeschlossen, andere geben Anlass zur Hoffnung. Eine Reihe von Ländern hat nach langen Bürgerkriegen einen oft noch fragilen Frieden zu Stande gebracht. Mosambik und Angola im südlichen Afrika gehören dazu, in Westafrika Sierra Leone und - immer noch stark gefährdet - Liberia.

Gegen alle Erwartungen hat der Kongo alle Kriegsparteien in einer sehr wackligen Regierung vereint - während allerdings im Busch die Kämpfe noch weitergehen. Die Konfliktparteien des längsten afrikanischen Kriegs im Sudan haben unter internationalem Druck in monatelangen Verhandlungen grosse Fortschritte erzielt. Auch die somalischen Kriegerclans sitzen in Nairobi am Verhandlungstisch. Warum zeigen so viele alte Krieger Verhandlungsbereitschaft?

Islamismus und Neo-Liberalismus

Das Ende des Ost-West-Konflikts hat die Grundlagen der ideologischen Kriege zerstört und zugleich demokratische Sehnsüchte und die Zuversicht erweckt, dass Diktaturen von innen her abgebrochen werden können. Die Überwindung des Apartheid-Regimes in Südafrika 1994 war ein Fanal für den Kontinent. In den folgenden Jahren konnten sich in vielen Ländern halb-demokratische Systeme etablieren. Allerdings droht immer stärker die Gefahr eines neuen ideologischen, diesmal islamistischen Gewalt-Imports nach Afrika. In dem Masse, wie die Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus durch die Konfrontation zwischen Islamismus und Neo-Liberalismus ersetzt wird, wird Afrika wiederum Schlachtfeld auswärtiger Interessen: von religiösem Totalitarismus sowie von westlichen Sicherheitsinteressen.

Am Ende des Dreissigjährigen Krieges war Europa Mitte des 17. Jahrhunderts so erschöpft, dass alle Kriegsparteien bereit waren, einer neuen politischen Struktur zuzustimmen. Ein ähnliches Phänomen ist in Afrika erkennbar. Dort, wo Bürgerkriege eine ganze Generation aufgerieben haben und eine rein militärische Lösung des Konflikte unmöglich erscheint - wie in Angola oder im Sudan, wächst die Bereitschaft, dauerhafte politische Lösungen durch Verhandlungen ins Auge zu fassen.

Afrikanische Initiativen

Eine der positivsten Entwicklungen der vergangenen Jahre ist der wachsende Wille einiger afrikanischer Führungspersönlichkeiten, den politischen und wirtschaftlichen Niedergang des Kontinents zu stoppen. Diese Vision einer "afrikanischen Renaissance" fand im NEPAD-Dokument (New Partnership for African Development) seinen Ausdruck. Trotz aller Kritik und vieler struktureller Schwächen haben die Afrikaner angefangen, sich im internen Krisenmanagement zu engagieren.

Als US-Marines vor einigen Monaten im Hafen von Monrovia dem Gemetzel von Kindersoldaten zuschauten und nicht einzugreifen wagten, waren es nigerianische Truppen der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, die dem Horror ein Ende machten. Ein militärischer Staatsstreich auf Sao Tome konnte durch die Afrikanische Union (AU) friedlich beendet werden. Vor allem Südafrika ist in den Friedensverhandlungen von Burundi und dem Kongo stark engagiert. Die Nachbarstaaten der Elfenbeinküste versuchen, den dortigen Konflikt zu entschärfen.

Regionen und Palaver-Kultur

Eine Hoffnung für die Zukunft heisst "regionales Krisenmanagement". In alter Tradition versucht man unter Nachbarn, Konflikte durch Palaver zu schlichten. Wenn ein Land zerfällt, leidet die ganze Region. Afrika beginnt zu verstehen, dass es nur durch regionale Kooperation in der Welt bestehen kann. Das ist eine echte Chance für den Frieden.

Was der Westen für den Frieden in Afrika tun kann, ist, wie im Sudan, Kriegsparteien durch politischen Druck an den Verhandlungstisch zu bringen. Wichtiger noch ist eine aktive Unterstützung beim Wiederaufbau. Am Ende jedes Krieges ist die Wirtschaft zerstört und die Gesellschaft zerrüttet. Wenn auch nur ein Bruchteil der Summen, die in den Irak-Krieg und die Terrorismusbekämpfung flossen und fliessen, in einen "Marshall-Plan" für afrikanische Nachkriegsstaaten investiert würde, könnte der Kontinent endlich einer friedlichen Entwicklung entgegensehen.

Afrika leidet an alten Fehlern

Der Anteil Afrikas am Welthandel ist auf ein Prozent gesunken - ins schier Astronomische gewachsen ist hingegen der Schuldenberg. Militärische Auseinandersetzungen, Bürgerkriege und die Aids-Pandemie entvölkern ganze Landstriche.

Über 30 Kriege in drei Jahrzehnten haben aus Afrika einen Kontinent der Flüchtlinge gemacht: Rund 40 Prozent der auf fast 50 Millionen geschätzten Heimatvertriebenen haben auf ihrer Flucht die Grenzen zu Nachbarländern überschritten; 60 Prozent wurden als so genannte "Binnenflüchtlinge" heimatlos im eigenen Land.

Der mit hochfliegenden Erwartungen verbundene Weg aus der kolonialen Fremdherrschaft in die Unabhängigkeit seit den 60er Jahren ist überwiegend in einer Sackgasse gelandet. Während rohstoffarme Länder Südostasiens, die so genannten "Tigerstaaten", mit beachtlichen wirtschaftlichen Zuwachsraten inzwischen zu "Schwellenländern" aufstiegen, versank das rohstoffreiche Afrika in Armut und Elend. Schlimmer noch: Die reichen Länder scheinen jedes Interesse an dem Schwarzen Erdteil verloren zu haben. Afrika leidet, Afrika stirbt, und die Welt schaut weg.

Kolonialzeit - und eigenes Verschulden

Gewiss, es sind nicht nur, aber auch, die Erblasten der Kolonialzeit, unter denen Afrika bis heute leidet. Vom Verbrechen der Sklaverei, die den Kontinent um schätzungsweise zehn Millionen Menschen beraubt hat, über die bis heute unveränderte willkürliche Festschreibung der meisten Ländergrenzen des Kontinents wirken sich viele historische Hypotheken bis heute belastend aus. Afrikanische Gewaltherrscher vom Schlage eines Idi Amin, "Kaiser" Bokassa oder Mobutu Sese-Seko waren auf europäischem Mist gewachsen.

Hinzu treten hausgemachte Faktoren für die Misere: Korrupte Führungseliten, mangelnde Fähigkeit von Regierungen sowie der Hang, sich nach dem Beispiel mittelalterlicher Fürsten durch sinnlose Prestigeprojekte Ansehen und einen Platz in der Geschichte zu sichern. Purer Verschwendungssucht entsprungene gigantische Entwicklungsruinen stehen in nahezu allen afrikanischen Metropolen als Dokumente der Grossmannssucht herum.

Armut

Verstärkt wurde solches hausgemachtes Versagen durch internationale Einflüsse wie Waffenexporte, die Schuldenfalle und vor allem den dramatischen Verfall der Rohstoffpreise, von denen Afrika im besonders hohem Masse abhängt - machen doch Rohstoffe mehr als 90 Prozent aller Exporte aus.

Das Ergebnis ist erschreckend: Von den 51 am wenigsten entwickelten Ländern der Welt liegen 42 in Afrika. Das Bruttosozialprodukt des gesamten Kontinents liegt unter dem Belgiens. Die schwarze Bevölkerung südlich der Sahara stellt zwar etwa 9,5 Prozent der Weltbevölkerung, verfügt aber nur über 1,2 Prozent des Welteinkommens. Wenn die Rohstoffpreise für Kaffee, Kakao oder Baumwolle noch weiter unter ihren jetzt schon historischen Tiefpunkt fallen, kann sich bei der immer noch überwiegenden Monokultur-Wirtschaft in den meisten Ländern die Lage nur noch weiter verschlechtern.

Aidsseuche

Heute schon sind nach Erhebungen des Internationalen Roten Kreuzes 186 Millionen Afrikaner unterernährt; in manchen Regionen stirbt jedes dritte Kind vor dem fünften Lebensjahr. Beherrschte in den 70er Jahren noch die Sorge vor massiver Überbevölkerung die Diskussionen, so haben Kriege und Aids diesen Trend unterdessen gewaltsam nach unten korrigiert. In manchen Regionen des südlichen Afrika ist durch die tödliche Immunschwächekrankheit die Lebenserwartung von fast 70 Jahren auf unter 40 gesunken; im vergangenen Jahr fielen 2,4 Millionen Afrikaner Aids zum Opfer.

In einigen Landstrichen Namibias, Botswanas oder Swasilands sind 40 Prozent der Bevölkerung HIV-positiv. Ausgerottet geglaubte Seuchen wie Malaria, Lepra, Cholera, Meningitis, Polio oder die Schlafkrankheit sind wieder neu ausgebrochen. Hepatitis und Tuberkulose tun ihr Übriges.

Waffen und Entwicklung

Blutige Kriege - wie der 30-jährige Krieg im Südsudan, der Biafra-Krieg, die Bürgerkriege und Kriege im Kongo, in Liberia, Äthiopien, Somalia, Sierra Leone, Angola und Mosambik - und die völkermordähnlichen Rassen- und Stammeskriege in Ruanda und Burundi haben zusammen schätzungsweise mehr als zehn Millionen Opfer gefordert. Kriege mit Waffen aus den Arsenalen des in Europa beendeten Kalten Krieges, für die afrikanische Potentaten nahezu ebenso viel an Devisen ausgaben, wie sie an Krediten zur Entwicklung ihrer Länder erhielten. Wenn, wie in Somalia, auf einen Lehrer sechs Soldaten kommen, kann nicht verwundern, dass es trotz aller Alphabetisierungs-Kampagnen immer noch Länder gibt, in denen 40 Prozent der Einwohner weder lesen noch schreiben können. Rund 50 Millionen Kinder haben, kontinental gesehen, keine Chance, je eine Schule zu besuchen.

Ist die Lage hoffnugslos?

Allem Anschein zum Trotz ist sie es nicht. Die Menschen Afrikas sind nämlich, entgegen manchen Klischeevorstellungen, überaus vital und bereit, sich auch bei wiederholten Rückschlägen immer wieder mit Zähigkeit aus dem Sumpf der widrigen Verhältnisse herauszuarbeiten. Es gilt, die Selbstheilungskräfte zu mobilisieren, Initiativen zu fördern - so, wie dies die christlichen Kirchen und ihre Hilfswerke unter dem Motto "Hilfe zur Selbsthilfe" mit durchaus guten Erfolgen seit rund einem halben Jahrhundert tun.

Inmitten von Chaos, Gewalt und Not sind so Inseln der Entwicklung entstanden, die es zu vernetzen gilt. Die Industrieländer des Nordens, die so genannten Geberländer, könnten dabei sicher wirksamer helfen als in der Vergangenheit: Marktöffnung für die Produkte Afrikas statt Abschottung, Schuldenerlass sowie die Förderung und Absicherung privater Investitionen, Verbesserung der Staatsführung durch Bindung von Hilfen an die Achtung von Menschenrechten, die Förderung von Demokratie sowie ein striktes Waffenembargo sind hierbei einige Stichworte. Die Umsetzung freilich müssen die Afrikaner selbst leisten.

Autoren: Wolfgang Schonecke/Helmut S. Ruppert

Datum: 08.01.2004
Quelle: Kipa

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