VFG-Präsident Max Schläpfer

«Wir haben voneinander gelernt»

Seit 13 Jahren präsidiert Max Schläpfer den Verband der Schweizer Freikirchen. In einem Interview mit idea erzählt er, wie es den Freikirchlern geht und was die Herausforderungen der Zukunft sind.
Max Schläpfer
Der erneuerte VFG-Vorstand mit (v.l.) Thomas Gerber (EGW), Claudia Haslebacher (EMK), Max Schläpfer (SPM, Präsident), Peter Schneeberger (FEG) und Meinrad Schicker (BPlus)
Ein Gottesdienst in einer Freikirche

Dass der Aspekt der Freiwilligkeit keine Worthülse ist. Mitglieder von Freikirchen entscheiden sich bewusst, dazuzugehören und sie können aus freien Stücken auch wieder gehen. Deshalb haben Freikirchen verhältnismässig wenig Trittbrettfahrer. Ausserdem leben Freikirchler ihren Glauben überzeugt und leidenschaftlich.

Die christliche Bewegung in der Schweiz ist allgemein unter Druck. Die Grosskirchen verlieren Mitglieder und Einfluss. Wie geht es dem bunten Haufen der Freikirchen?
Es geht den Freikirchen recht gut. Sie profitierten schon immer von geistlichen Wellen. Ich erinnere an die Jesus-People-Bewegung in den 1970er-Jahren, als viele Freikirchen stark wurden. Oder an die Zeit der grossen Evangelisations-Veranstaltungen in den 1980er-Jahren und an die Hauszellen-Bewegung in den 1990ern und später die neuen Gemeindeformen, die für frischen Wind sorgten. Dazwischen gibt es immer auch Phasen der Konsolidierung, das ist ein wechselnder Prozess.

Aber von einem Boom lässt sich auch nicht gerade reden?
Wie gesagt, die freikirchliche Bewegung hält sich konstant, mit leichter Aufwärtstendenz. Das finde ich aber gesünder als grosse Sprünge. Ausserdem muss man sich Folgendes vergegenwärtigen: Wenn eine freikirchliche christliche Gemeinde ihre Mitgliederzahl halten kann, dann hat sie aktiv Menschen dazugewonnen. Sie hat die Zahl der Weggezogenen, Ausgetretenen und Verstorbenen ausgeglichen. Eine Freikirche, die über zehn Jahre ihre Mitgliederzahl von zum Beispiel 200 Personen halten kann, muss aktiv und einladend sein, sonst würde sie schrumpfen.

Es gibt Freikirchen, die sind weit über hundertjährig, also auch schon etwas in die Jahre gekommen. Haben jüngere Freikirchen, die bestimmte Bevölkerungsgruppen ansprechen, eher Zuwachs als die älteren?
Diese Beobachtung stimmt. Es hat in der Geschichte der Freikirchen in den letzten hundert Jahren aber schon immer besondere Aufbrüche und Neuorientierungen gegeben. Diese kamen häufig durch jüngere Gemeinden. Solche Neuorientierungen fordern die bestehenden Gemeinden auf, mit der Zeit zu gehen, ohne ihre Werte zu verleugnen. Sie sind eine gesunde Herausforderung. Man kann von ihnen lernen.

Was aber auffällt, ist, dass neue Gemeinden in der Regel keine wesentlich neuen theologischen Erkenntnisse haben. Sie haben nicht wegen der Lehre mehr Zulauf, sondern wegen ihrer methodischen Fokussierung; die Form ist neu. Dann müssen wir feststellen, dass gerade auch die Jugendkirchen Zuwachs durch Menschen erhielten, die stabile biblische Grundkenntnisse in ihrem angestammten Freikirchenmilieu bekommen haben und damit dann in eine neue Form eintauchen. Dann darf man nicht vergessen: Eine Freikirche über hundert und mehr Jahre lebendig und anziehend zu erhalten, auch wenn sie keinen grossen Zulauf hat, ist eine beachtenswerte Leistung. Und jede neue Gemeindebewegung muss sich irgendwann die Frage stellen: Wie schaffen wir es, über mehrere Generationen, über hundert Jahre hinweg relevant zu bleiben?

Theologische Grabenkämpfe scheinen der Vergangenheit anzugehören. Die Jugend scheint theologisch auf einem Nenner zu sein. Haben sich die Denominationen angenähert?
Ja, diese Annäherung empfinde ich als positive Befruchtung. Das zeigt, dass wir voneinander gelernt haben. Es war vor 40 Jahren undenkbar, dass heute eine Gemeinde der FEG oder der Chrischona unter Umständen stärker pfingstliche Elemente pflegt als eine traditionelle Pfingstgemeinde.

Die Freikirchen haben sich einander angenähert. Wann erfasst die neue Harmonie auch die reformierte und die katholische Kirche?
Die Annäherung unter den Freikirchen hat sich in meiner Zeit als VFG-Präsident verstärkt. Das bewerten wir als positiv. Das Klima an der Konferenz der Freikirchenleiter ist auf einem ausgezeichneten Niveau und getragen von gegenseitigem Respekt. Die unterschiedlichen Standpunkte betreffen untergeordnete Themen; das Verständnis des Reiches Gottes teilen wir gemeinsam. So sind wir unterwegs. Mit dem Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK) gibt es schon seit Jahren institutionalisierte Begegnungen, mit den Katholiken jedoch nicht. Wir anerkennen aber, dass es auch katholische Initiativen gibt, die Menschen ins Reich Gottes hineinführen und sich dadurch Menschen zu Jesus bekehren. Dennoch bleiben für uns gegenüber der katholischen Kirche sehr viele Fragen offen. Es gibt substanzielle Hindernisse wie zum Beispiel in der Ekklesiologie, der Sakramentslehre oder der Verehrung der Maria und der Heiligen.

Was sollte eine Freikirche auf keinen Fall aufgeben?
Dass der Mensch durch einen aktiven Schritt des Glaubens, durch Umkehr und Hinwendung zu Jesus Christus, Vergebung der Sünde empfängt und ins Reich Gottes kommen kann. Ein anderer Punkt ist sicher die Freiheit, den Glauben an Gott und die Zugehörigkeit zu einer Gemeinde aus freier Willensentscheidung zu wählen. Im Übrigen fasst die Lausanner Verpflichtung in 15 Artikeln unsere Werte gut zusammen.

Freikirchen werden fast automatisch in den Dunstkreis religiöser Sondergruppen gestellt. Wie bringen Freikirchen den Sektengeruch weg?
Dass Freikirchen Sekten sind, ist unberechtigt. Nehmen wir nur ein Sektenmerkmal, das allgemein anerkannt ist, jenes des bevormundenden Gurus, der das Leben der Mitglieder bestimmt und selbstherrlich agiert. Gerade dies trifft auf die VFG-Gemeinden nicht zu.

Wir verlangen von unseren Mitgliedskirchen, dass sie gemäss Schweizer Recht konstituiert sind. Damit sind Kontrollmechanismen vorgegeben für Personen, Finanzen und Machtstrukturen. Zudem – Vereinnahmung ist Freikirchlern sowieso wesensfremd. Die Mitgliedschaft in einer Freikirche erfolgt eben gerade durch eine freie Entscheidung und nicht durch eine automatische Zugehörigkeit  aufgrund der Kirchenmitgliedschaft der Eltern.

Etwas selbstkritisch muss ich dazu sagen, dass die VFG-Kirchen in der Vergangenheit vielleicht zu wenig offensiv kommuniziert haben, wer sie sind und wie sie funktionieren. Mit unserer neuen Webseite verstärken wir den gemeinsamen Auftritt und beantworten darin gerade auch die Sektenfrage. Es wird sich weisen, ob Medienleute und Sektenberater sich vermehrt über www.freikirchen. ch informieren oder uns direkt kontaktieren werden. 

Was sind die Herausforderungen der Zukunft für die Freikirchen?
Westeuropa wird – ohne geistliche Erneuerung – atheistischer und laizistischer. Glaube und Religion werden ins Private abgedrängt, der öffentliche Raum säkularisiert, die Trennung von Kirche und Staat dürfte erneut gefordert werden. Dadurch könnten auch Landeskirchen in Zukunft gezwungenermassen in die Richtung der Freikirchen gedrängt werden. Das Klima für die Verbreitung des Evangeliums – und das ist ein Kernanliegen der Freikirchen – wird rauer werden. Dieser Herausforderung müssen wir uns stellen. Dann haben sich die Kommunikationsformen verändert. Unsere Bemühungen nach Ausgewogenheit widersprechen der medialen Forderung, innerhalb von zehn Sekunden eine Sache auf den Punkt zu bringen. Freikirchen müssen sich deshalb dafür fit machen, in der digitalen Welt sprachfähig zu sein. Als generationenübergreifende Gemeinschaften sind wir zudem  herausgefordert, der in der Gesellschaft sichtbarenAufsplitterung zwischen den Generationen und sozialen Schichten zu begegnen. Dass Alte und Junge, Arme und Reiche im gleichen Gottesdienst sitzen und in der gleichen Gemeinde leben, wird nicht mehr mit derselben Selbstverständlichkeit wie bisher gelingen.

Dies ist ein Auszug aus einem Interview, das in voller Länge in Wochenmagazin ideaSpektrum 3/17 erschienen ist.

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Datum: 20.01.2017
Autor: Rolf Höneisen
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

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