Lebensstil

Radikale Balance

«Was ist eigentlich ein Christ?» Die bekannten Antworten greifen meiner Meinung nach nämlich zu kurz. Christ-sein ist mehr, als an Gott zu glauben oder Jesus in sein Herz aufzunehmen. Es ist radikaler.
Seiltänzer

Damit meine ich: Es geht tiefer; und zwar bis zur Wurzel (radix) meines Seins. Christ-sein heißt für mich den Anspruch auf meine Beziehungen, meine Zeit und mein Geld, ja mein ganzes Sein an Gott abzutreten und mich ihm als Werkzeug zur Verfügung zu stellen. Nicht kopflos, naiv oder weltfremd. Vielmehr in tiefer Beziehung zu Gott verwurzelt, mit offenen Augen in der Welt stehend und geisterfüllt mit seinem Eingreifen rechnend.

Ein Christ hat Anteil an der Sendung Gottes

Dadurch, dass wir Jesus als Retter und Herrn annehmen, werden wir zu Erben und Teilhabern des Dienstes, zu dem Jesus von seinem Vater in die Welt gesandt worden ist: «Wie der Vater mich gesandt hat, so sende ich jetzt euch» (Die Bibel Johannes-Evangelium, Kapitel 20,21). Jesus sendet uns als seine Nachfolger in die Welt, um seinen Dienst fortzuführen. Das ist fundamental für das Verständnis dessen, was Christ-sein bedeutet: Wir haben einen göttlichen Auftrag – eine Mission in dieser Welt! Das mag herausfordernd klingen, aber wir müssen es nicht aus uns selbst heraus schaffen: «Ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich selbst aus tun; er tut nur, was er den Vater tun sieht. Was immer der Vater tut, das tut auch der Sohn» (Johannes 5,19). Bei unserer Sendung geht es darum, als Werkzeuge in Gottes Händen das zu tun, was der Vater sowieso tun will. Dabei ist uns der Heilige Geist versprochen, der uns bei der Ausführung helfen wird: «Der Helfer, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, wird euch alles Weitere lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe» (Johannes 14,26). 

Gottes Sendung ist ganzheitlich

Es stellt sich nun die Frage, was denn genau diese Sendung beinhaltet. Was ist der Auftrag, zu dem wir gesandt sind? Wenn wir uns das Leben Jesu zum Vorbild nehmen, sehen wir, dass sein Dienst verschiedene Dimensionen hatte. Er kündete das Reich Gottes an und rief Menschen zur Umkehr auf. Er heilte Kranke und verschaffte ihnen dadurch (wieder) Zugang zum gesellschaftlichen Leben. Er wandte sich Kindern oder Frauen zu und schenkte ihnen damit Wert und Würde. Er war berührt von der Not der Menschen und lehrte sie nicht nur, sondern begegnete ihren Nöten auf vielfältige Weise. Wenn wir auch noch den Gedanken aufnehmen, dass Gott der Schöpfer der Welt ist und Paulus in Römer 8,22 davon schreibt, wie die ganze Schöpfung jetzt noch seufzt und auf die Offenbarung der Kinder Gottes wartet, dann können wir sagen, dass unsere Sendung ganzheitlichen Charakter hat.

Drei missionstheologische Ansätze

Es gab in jüngerer Zeit drei verschiedene Ansätze, um unsere Sendung in die Welt zu begründen. Erstens ist da der soteriologische Ansatz (von griech. soteria: Heil), welcher das individuelle Heil des Einzelnen in den Mittelpunkt stellt. Menschen, die unsere Sendung in die Welt vor allem soteriologisch deuten, ist es wichtig, dass sich Jesus-Fernstehende zu Jesus bekehren. Sie werden ihre Energie dort investieren, wo es darum geht, Menschen für Jesus zu gewinnen. Evangelisation und nach außen gerichtete Heilungsdienste haben bei diesem Ansatz einen hohen Stellenwert.

Zweitens der ekklesiologische Ansatz (von griech. ekklesia: die Herausgerufene, die Kirche), bei welchem vor allem die Wichtigkeit von Gemeinde betont wird. Ziel dabei ist es, die Gemeinde zu dem werden zu lassen, wozu sie bestimmt ist: zu einer makellosen Braut. Menschen, die unsere Sendung vor allem so deuten, sind Gemeindewachstum und gute Beziehungen untereinander sehr wichtig. Während beim soteriologischen Ansatz der Einzelne in seiner Beziehung zu Gott im Mittelpunkt steht, betont der ekklesiologische Ansatz vielmehr die Gemeinde in ihrer Beziehung zu Gott.

Drittens der heilsgeschichtliche Ansatz, welcher den Dienst an der Gesellschaft und der Schöpfung in den Mittelpunkt rückt. Wichtig darin sind Fragen, die sich mit nachhaltigem Umgang mit der Umwelt und mit sozialer Gerechtigkeit befassen. Menschen, die unsere Sendung vor allem gemäss diesem Ansatz deuten, werden motiviert sein, sich für die Armen nicht nur in Europa, sondern auch in Afrika, Asien oder Südamerika zu investieren. Sie werden die Wichtigkeit eines nachhaltigen Konsums und eines Lebensstils betonen, der auf die Umwelt Rücksicht nimmt.

In radikaler Balance wachsen

Jeder dieser Ansätze hat seinen Wert und transportiert etwas Wichtiges im Hinblick auf unseren Auftrag in der Welt und damit letztlich auf unser Verständnis davon, was Christsein bedeutet. Wenn die Ansätze aber losgelöst voneinander auftreten, dann wird darin die Ganzheitlichkeit des Wesens und der Sendung Gottes nicht mehr sichtbar. Es braucht eine Balance dieser drei Ansätze unserer Sendung. Es braucht eine Spannung zwischen diesen Deutungsmodellen, um auf gesunde Art und Weise und vor allem ganzheitlich unseren Auftrag zu leben.

Wo die Spannung fehlt, droht Einseitigkeit. Wer sich nur für die Umkehr von Menschen interessiert, wird sich fragen müssen, was denn mit den Menschen geschieht, welche sich Jesus zugewendet haben; oder was denn die Gute Nachricht für einen verarmten Migranten, welcher in Europa gestrandet ist, bedeuten könnte. Wer sich nur um Gemeindewachstum kümmert, wird sich fragen müssen, woher denn die neuen Gemeindeglieder kommen sollen; oder was denn die Gute Nachricht im Hinblick auf die drohende Klimaerwärmung zu bedeuten hat. Wer sich nur um die Umwelt und soziale Gerechtigkeit kümmert, wird sich fragen müssen, was ihn denn von einer beliebigen Hilfsorganisation unterscheidet.

Wir brauchen in unseren Gemeinden eine radikale, zu den Wurzeln reichende Balance und Spannung zwischen diesen Ansätzen. Wo keine Spannung herrscht, werden unsere Gemeinden immer dort enden, wo die grösste Kraft vorhanden ist. Wo in einer Gemeinde nur eine geringe und nicht eine radikale Balance ist, da ist wenig Kraft und wenig Dynamik vorhanden. Wir wollen in unseren Gemeinden aber Gottes ganzheitliche Sendung grossflächig und mit viel Energie wahrnehmen!

In dieser Welt

Wenn wir uns nun aufmachen, unseren Auftrag auf ganzheitliche Weise wahrzunehmen, kommen wir nicht darum herum, uns mit der Gesellschaft auseinander zu setzen: Was beschäftigt die Menschen in meinem Umfeld? Bin ich in Bezug auf das Evangelium dahingehend sprachfähig, dass mich die Menschen verstehen? Wo sind die Nöte in meinem Umfeld am grössten? Wo könnte ich mich Menschen und Umwelt als Nächster zeigen?

Christsein hat damit zu tun, sich einzulassen auf die Sendung, zu der Gott uns durch Jesus Christus beruft. Ein zu den Wurzeln greifendes Ernstnehmen der Ganzheitlichkeit Gottes zieht die Hinwendung zur Welt und die Auseinandersetzung mit dieser nach sich. Dort, wo wir immer mehr wachsen im Leben und verstehen von dem, was es bedeutet, Christ zu sein, und wo wir offene Ohren und Augen für die Welt um uns haben, wird Gottes ganzheitliches Wesen durch uns mehr und mehr sichtbar.

Matthias Bühlmann, 28, verheiratet mit Antonia, ist Mitarbeiter in der Vineyard Bern.

Datum: 03.11.2013
Autor: Matthias Bühlmann
Quelle: Equipped August 2013

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