"Arbeit muss menschenwürdig sein"

Arbeit muss menschenwürdig sein
Dorothee Sölle

Die Kampagne "Wir glauben. Arbeit muss menschenwürdig sein" 2007 der konfessionellen Hilfswerke „Fastenopfer“ und „Brot für alle“ will sich für Menschen in schlechten Arbeitsverhältnissen stark machen.

Sie beinhaltet viele verschiedene Aktionen, die auf die Missstände in der ganzen Welt aufmerksam machen sollen und sammelt Geld für die Projekte der Hilfswerke. Die vorösterliche Sammelzeit beginnt am 26. Februar und dauert bis zum 25. März.

Plakataktion

Verfilztes Haar, schmutzige Wangen, löchrige Hosen und barfuss - die elendige Kindergestalt ist als Barbie hinter Klarsichtfolie verpackt. Die werbende Aufschrift: "Kinderarbeiter. Arbeitet bis zum Umfallen, schläft sogar am Arbeitsplatz, garantiert nicht aufmüpfig". Und das alles "spottbillig". Im Sortiment befinden sich ausserdem eine unglaublich günstige "Billigstarbeiterin" und eine "Haussklavin" zum Superpreis.

Natürlich handelt es sich bei der Reihe nicht um die neue Kollektion eines Spielzeugmachers. Hier geht es um eine Plakataktion der Hilfswerke „Fastenopfer“ (katholisch) und „Brot für alle“ (reformiert). Die Bilder sollen auf die schlechten Arbeitsverhältnisse vieler Männer, Frauen und Kinder auf der ganzen Welt aufmerksam machen und helfen, sie zu verbessern.

Die Arbeit ist für den Menschen da, nicht der Mensch für die Arbeit

Die Aktion wird im Rahmen der Fastenkampagne 2007 "Wir glauben. Arbeit muss menschenwürdig sein" stattfinden. Als Schwerpunkte sind ausserdem die Rosenaktion "100.000 Rosen gegen Ausbeutung" am 24. März und eine Postkartenaktion für faire Arbeitsbedingungen in der Computerindustrie geplant. Rosen können im Internet bestellt und für fünf Franken verkauft werden. Mit dem Erlös werden Menschen im Süden bei ihrem Einsatz für faire Arbeitsbedingungen und einem Leben in Würde unterstützt.

Die Kampagne betont laut den Kampagnenkoordinatoren Beat Dietschy (Brot für alle) und Matthias Dörnenburg (Fastenopfer) das menschliche Gesicht der Arbeit. Lohnarbeit soll Mittel zum Leben und nicht Lebenszweck sein. Wer arbeite, habe das Recht auf gerechte und befriedigende Entlöhnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichere.

Die Rechnung wird woanders gezahlt

Laut der Hilfswerke gefährde Marktdruck, Arbeitslosigkeit und eine "Geiz ist geil"-Mentalität Errungenschaften wie verbindliche Sozialstandards oder Fair-Handels-Initiativen: Fair gehandelte Produkte hätten auf dem freien Markt gegen Billiglinien oft keine Chance. Die Rechnung zahle dann der Arbeiter in den Entwicklungsländern, so zum Beispiel in der Computerbranche:1.5 Millionen Computer wurden im Jahr 2005 in der Schweiz verkauft. Jeder von ihnen ist nach Angaben von Fastenopfer und Brot für alle unter fragwürdigen Bedingungen hergestellt worden: Die einzelnen Elemente eines Geräts werden von vielen verschiedenen Lieferanten hergestellt, die über mehrere Länder verteilt sind. Diese Firmen gehören heute nicht mehr zu den bekannten Marken wie beispielsweise Dell, ACER, IBM oder Apple. Diese haben ihre Produktionsstätten grösstenteils verkauft und konzentrieren sich vor allem auf Marketing, Innovation und Design. Die soziale Verantwortung werde damit genauso "outgesourct" wie die Produktion.

91-Stunden-Woche verwandeln in ein Stück "Holz"

Die Fastenkampagne macht das Schicksal von Jia zum Thema. Sie ist 19 Jahre alt. Sie arbeitet in einer Fabrik, in der die "Mother Boards", das Herz der ACER-Computer oder Fujitsu-Siemens-Minicomputer hergestellt werden. Vor zwei Jahren kam Jia aus ihrem Dorf in die Stadt Zhonghsan in China, um Arbeit zu finden. Die Stadt im Südosten des Landes ist Teil der Export-Wirtschaftszone "Pearl Delta River" und wurde innerhalb der letzten 10 Jahre zu einer der wichtigsten Elektronik-Produktionsstätten der Welt.

Begonnen hat Jia in der Montage. Das bedeutet: Tag für Tag, zehn bis dreizehn Stunden lang dieselbe Handbewegung: "Ich fühlte mich wie ein Stück Holz", erzählt das Mädchen. Jetzt, nach zwei Jahren, hatte Jia das Glück, befördert zu werden – bei jedoch nur knapp 1,5 Prozent Lohnerhöhung.

Die Arbeitsbedingungen in Jias Unternehmen verletzen die internationalen Normen und auch chinesische Arbeitsrechte: Die Verträge werden nicht eingehalten oder gar nicht ausgestellt, Minimallöhne werden unterschritten, Sicherheits- und Gesundheitsbestimmungen umgangen, von Versammlungs- und Organisationsfreiheit gar nicht zu sprechen. In der Hochsaison arbeiten die Männer und Frauen über 13 Stunden an sieben Tagen die Woche. Die 91 Stunden Woche überschreitet deutlich das gesetzliche Maximum von 58 Stunden.

"High Tech – No Rights?"

Manchmal werden die Arbeiter aber auch einfach nach Hause geschickt, wenn keine Aufträge vorliegen. Dann ist die Lohntüte am Ende des Monats magerer als das gesetzliche Minimum es vorsieht. Auch Sicherheitsbestimmungen, Gehörschutz, Betriebsunfallversicherungen, Krankenkasse oder Mutterschaftsurlaub - alles Fremdwörter für Jia.

Die Neunzehnjährige ist kein Einzelfall. Sie ist nur ein Beispiel unter vielen ausgebeuteten Arbeitern in der Elektronik-Industrie wie auch in anderen Industriezweigen. Mit der Kampagne "High Tech – No Rights?" wollen die Hilfswerke Hersteller dazu bringen, ihre soziale Verantwortung wahrzunehmen und verbindliche Sozialstandards zu erreichen.

Faire Arbeitsbedingungen in der Bibel

Die ethischen Grundsätze leiten die christlichen Werke aus der Bibel ab: In der jüdisch-christlichen Glaubenstradition sei Gott sich nicht zu schade gewesen, selbst Hand anzulegen - Gott habe die Welt mit handwerklich-bäuerlicher Arbeit erschaffen.

"Einem Menschen die Möglichkeit zu lebensnotwendiger und erfüllter Arbeit zu nehmen, heisst, ihm seine Gottesebenbildlichkeit zu bestreiten", zitieren die Hilfswerke in ihrer Kampagne die Theologin Dorothee Sölle (1929-2003), die sich zu Lebzeiten für soziale Gerechtigkeit eingesetzt hatte. Menschliche Arbeit heisst christlich betrachtet: Kreative Arbeit. Denn ist die Arbeit kreativ und bereitet Freude, so nimmt der Arbeiter am Schöpfungswerk Gottes teil.

Gier eingrenzen

Wer glaubt, dass allen die gleiche Würde und grundsätzlich die gleichen Arbeitsrechte zustehen, könne nicht hinnehmen, dass sich die einen so viel mehr herausnehmen, so die Hilfswerke. Neben der griffigen Formel "Keine Löhne unter 3000 Franken!" berichten Schweizer Zeitungen von Spitzengehältern über 20 Millionen Franken pro Jahr, umgerechnet über 1.5 Millionen Franken pro Monat.

Die Arbeitsleistung in Geld ausgedrückt, könne aber kaum 500-mal mehr wert sein als jene einer anderen Person, die wöchentlich fünfmal zu Arbeit geht. Da solle man sich fragen: Muss neben der Festlegung eines Mindestlohns zur Sicherung der Existenz nicht auch ein Maximallohn ins Auge gefasst werden? Gott habe den Menschen schliesslich auch die Aufgabe gestellt, die Güter gerecht zu verteilen.

"Wenn ein Mann erzählt, er sei durch harte Arbeit reich geworden, dann frage ihn, durch wessen Arbeit", hatte der berühmte Schriftsteller Donald Robert Perry Marquis einst zu diesem Thema gesagt.

High Tech – No Rights?

Mit der Kampagne für fair hergestellte Computer machen Brot für alle und Fastenopfer Druck auf die Markenhersteller, damit diese ihre soziale Verantwortung wahrnehmen und dafür sorgen, dass die grundlegenden Arbeitsrechte in der ganzen Herstellungskette von Computern gewährleistet sind. Ein Boykott der Marken schadet den Arbeiterinnen und Arbeiter, weil sie dadurch ihre Stelle und das dringend benötigte Einkommen verlieren, betonen die Hilfswerke. Aber Hunderte von Nachfragen bei Computerherstellern könnten etwas bewirken.
Einstiegsseite: www.fair-computer.ch

Fastenopfer und Brot für alle

Das Fastenopfer (Hilfswerk für Entwicklungs- und Pastoralzusammenarbeit der Katholikinnen und Katholiken in der Schweiz) versteht sich als Anwalt der verarmten und entrechteten Menschen. Schwerpunkt seiner Informations- und Bildungsarbeit ist die ökumenische Kampagne in der Fastenzeit. Sie sensibilisiert Kirche und Gesellschaft für die Anliegen einer gerechten Welt.

Brot für alle (BFA) ist der Entwicklungsdienst der Evangelischen Kirchen der Schweiz. Der Dienst unterstützt Entwicklungsprojekte und -programme von Partnerorganisationen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Die BFA setzt sich zudem für gerechtere internationale Spielregeln, wie etwa in der Handelspolitik, ein.

Datum: 08.01.2007
Autor: Katharina Rilling
Quelle: Kipa

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