Gibt es ein Gegenmittel gegen Gier?

Wie gewonnen – so zerronnen

Was treibt Menschen an, mehr zu wollen, als sie sich leisten können? Unrealistische Wünsche und Illusionen? Auch. Dummheit? Könnte sein. Habsucht und Gier? Mit Sicherheit.
Gier und Habsucht
Geld

Habsucht heisst haben wollen, was man nicht hat, und Gier bedeutet immer mehr haben wollen. Genau das spiegelt die zunehmende Verschuldung in unseren Ländern, Organisationen und Haushalten wider.

Allerdings sind Habsucht und Gier zwei Begriffe, die ich eigentlich nicht erwähnen dürfte, denn Habsucht und Gier sind gut für das Geschäft. Ausserdem sind beide Begriffe fast völlig aus dem umgangssprachlichen Gebrauch verbannt. Wie? Einfach durch Mutation von mittelalterlichen Todsünden in industrielle Tugenden. Heute nennen wir gieriges Verhalten ambitioniert, ehrgeizig und erfolgreich; geiziges Verhalten bezeichnen wir als sparsam, vorsichtig und bescheiden. Die Grundlage für diese wundersame Verwandlung hat Adam Smith im 18. Jahrhundert bei der Begründung des liberalen Wirtschaftssystems gelegt. Er hat postuliert, dass der Nutzen des Einzelnen den Nutzen der Gesellschaft als Ganzes erhöht.

Obwohl ersäuft durch den «homo oeconomicus» tauchen Habsucht und Gier immer wieder auf. Unzählige Beispiele zeigen: Der persönliche Nutzen einzelner Politiker und Manager war – trotz Adam Smith – nicht Nutzen steigernd für andere, weder für die betroffenen Firmen-, Staats- oder Pensionskassen noch für die Gesellschaft. Habsucht und Gier treiben uns alle, denn sie sind in unseren Herzen von früher Kindheit an.

Wie dagegen angehen?

Aber wie begegnen wir diesem Übel der menschlichen Natur? So prägend Habsucht und Gier sind, so einfach ist das Gegenmittel: Zufriedenheit und Grosszügigkeit im Umgang mit dem, was man besitzt. Auch ohne Adam Smith’ Denkkraft ist offensichtlich, dass Zufriedenheit und Grosszügigkeit den Nutzen des Einzelnen und auch der ganzen Gesellschaft erhöht. Wie aber wird man zufrieden und grosszügig? Weil das menschliche Herz dies offensichtlich nicht schafft, braucht es eine übergeordnete Sichtweise.

Aus der Sicht Gottes kommen wir nackt auf die Welt und gehen nackt von der Welt. Wir bringen und nehmen nichts mit. Alles, was wir dazwischen besitzen, ist uns zur Verwaltung anvertraut. Die Bibel beschreibt das mit dem griechischen Begriff «oikonomos», was Verwalter, Treuhänder, Hausmeister oder Vermögensverwalter heisst. Wir sind also alle Verwalter – oder Englisch ausgedrückt – Manager Gottes.

Geld und Besitz in der Bibel

Vielleicht sind Sie jetzt erstaunt, dass die Bibel etwas zum Thema Management sagt. Lassen Sie sich noch weiter überraschen: Über 2350 Sätze der Bibel beziehen sich auf den Umgang mit Geld und Besitz! Jesus hat das Thema häufiger angesprochen als irgendein anderes. Warum wird in der Bibel so viel über Geld und Besitz geschrieben? Ganz offensichtlich darum, weil einerseits Geld und Besitz in unserem Leben eine wichtige Rolle spielen. Andererseits, weil wir aus unserem Herzen heraus damit nicht richtig umzugehen wissen.

Aus den vielen biblischen Prinzipien zum klugen Umgang mit Geld und Besitz erwähne ich nur zwei, die auch helfen, Habsucht und Gier zu kurieren:

Finanzbeschaffung

Eine revolutionäre Aussage der Bibel betrifft die Art der Finanzbeschaffung: Arbeit. In der hellenistischen Welt wurde Arbeit als Mühsal, Last und Qual abqualifiziert. Vor allem Handarbeit war eher Sklavenarbeit, eines vornehmen Menschen unwürdig und mit der Tugend eines Bürgers nicht vereinbar. Wie revolutionär ist die biblische Sicht, die Arbeit als ein Teil des menschlichen Daseins, der Humanität sieht, zur Bewahrung und Ordnung der Schöpfung; als Methode, die persönlichen und gesellschaftlichen Bedürfnisse abzudecken.

Diese Sicht stimmt mit dem aktuellen Zeitgeist immer weniger überein. Viele Menschen versuchen jeden Tag, ohne entsprechende Arbeit zu Geld zu kommen! Alle reden vom schnellen Geld, niemand meint damit aber schnelles Arbeiten. Im Gegenteil, wer kein Spekulant, Glücks- und Lottospieler ist, ist „out“. Man wird motiviert, mehr zu konsumieren, aber nicht, mehr zu arbeiten. Schulden machen ist einfach geworden; alle können Geld ausgeben, ohne dafür zuvor gearbeitet zu haben. Das hoch entwickelte, globalisierte Wirtschaftssystem, die so genannte Leistungsgesellschaft, ist weder in der Lage für globalen Ausgleich und Existenzsicherung zu sorgen, noch allen Leistungswilligen Arbeit zu geben. Die existenzielle Bedeutung der Arbeit kommt auch in der Postmoderne zu wenig zum Tragen.

Für einen Ausgleich sorgen

Eine wichtige biblische Form der Finanzverwendung ist, neben der Versorgung derjenigen, für die man die Verantwortung hat, das Geben. Geben können ist ein Vorrecht; darum macht Geben glücklicher als Nehmen. Leider können wir die Armut nie ganz beseitigen, aber die verbreitete Logik «Ich kann nicht alles tun, also tue ich gar nichts» ist völlig falsch. Beim biblischen Geben geht es nicht primär um Quantität. Das Geben an sich ist wichtiger als das Ausmass. Aber wohl gemerkt: Es liegt in der Natur des Menschen, seine Möglichkeiten des Gebens zu unterschätzen.

Geben meint in der Bibel nicht einfach, ein Geschenk zu machen, sondern für Ausgleich zu sorgen. Geben ist ein Ausdruck des Gerechtigkeitsstrebens und damit eine Form der Friedenssicherung. Nicht nur der «soziale Frieden» ist gemeint, sondern auch der Friede im Herzen. Geben ist auch Medizin gegen den Trieb, zu horten und immer mehr haben zu wollen. Wir sollten wieder lernen, nutzenfrei und ohne Gegenleistung zu geben – nicht nur Geld, sondern auch Zeit, Gefühle, Liebe.

Nur eine Minderheit profitiert

Die andauernde und zunehmende Missachtung dieser und anderer biblischer Finanz- und Managementprinzipien ist eine Hauptursache für die, wie es scheint, zunehmenden finanziellen Schwierigkeiten auf persönlicher, betrieblicher und staatlicher Ebene. Anders ist nicht zu erklären, warum Schuldenberge und Staatsquoten der Kreditaufnahme wachsen, während die Budgets vieler Organisationen und Haushalte schrumpfen. Und dies trotz einer in der Weltgeschichte einmaligen Entwicklung der Wirtschaft und Börse im 20. Jahrhundert. Davon hat offenbar nur eine Minderheit profitiert, und selbst da habe ich meine Zweifel, ob die Profiteure auch Gewinner sind.

«Wie gewonnen, so zerronnen», sagt der Volksmund. Was ist gewonnen und was ist zerronnen? Die meisten Menschen besitzen heute mehr als ihre Eltern und Grosseltern. Aber sie brauchen auch mehr Zeit für das Haben und haben darum immer weniger Zeit für das Sein. Viele, und gerade auch Führungskräfte, dienen schon lange dem Geld, statt dass das Geld ihnen dient. Gewonnen haben Habsucht und Gier, zerronnen sind Zufriedenheit und Freiheit. Gott hat die Menschen als freie Verwalter seiner Schöpfung eingesetzt, aber immer mehr werden sie abhängige Sklaven ihrer Arbeitgeber und Gläubiger. Das kann nicht richtig sein!

Thomas Giudici, Dr. rer. pol., selbstständiger Management und Investmentberater verheiratet mit Marion Giudici-Krüger.

Datum: 20.02.2013
Autor: Thomas Giudici
Quelle: Reflexionen

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