Zum Tag der Kranken

Grüsse ausrichten anstatt Krankenbesuche zu machen?

Es gibt Menschen, denen es ein echtes Bedürfnis und eine Freude ist, Kranke zu besuchen. Anderen fällt jeder Besuch im Spital oder im Heim schwer und braucht grosse Überwindung. Einfacher ist es, jemandem Grüsse ausrichten zu lassen.
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Ich habe mich ertappt. Ich gehöre auch zu denen, die so schnell sagen: «Ich lasse sie dann herzlich grüssen.»

Ein Mann erzählte kürzlich, wie oft er diesen Satz hörte während der drei Jahre, in denen er regelmässig eine ältere, kranke Frau bis zu ihrem Tod besuchte. Getreulich richtete er jeweils die Grüsse aus. Die Frau fragte sich: Warum lassen sie mich grüssen und kommen nicht zu Besuch?

Das ist auch das Thema des diesjährigen Tages der Kranken: Kranke und Menschen mit einer Beeinträchtigung möchten teilhaben am Leben. Sie wünschen Begegnungen und den Austausch.

Die Tür öffnet sich

Was kann uns hindern oder es uns schwermachen, Kranke zu besuchen? Ich spüre auch nach sechs Jahren noch das mulmige Gefühl in mir, das mich jeweils überkam, wenn ich vor der Tür des Pflegeheims stand, in dem meine Eltern die Monate bis zu ihrem Sterben verbrachten. Was werde ich antreffen? Wie geht es ihnen heute? Es war nie vorauszusehen. Ein Stossgebet und noch ein Schritt, dann öffnete sich die Türe und ich war mitten in dieser Welt es Abschiednehmens. Wenn ich dann spürte, wie sich meine Eltern freuten über mein Dasein und ihrer Liebe auf irgendeine Weise Ausdruck gaben, war ich beglückt. Aber es gab auch andere, schwierige Momente.

Meine Eltern zu besuchen, sie zu begleiten auf dem letzten Wegstück, war mir ein Bedürfnis, weil ich sie liebte.

Pflicht oder Liebe?

Wenn wir in unseren Bekannten- und Freundeskreis schauen, gibt es viele Kranke, die sich über einen Besuch freuen würden, nicht nur am Tag der Kranken.

Manchmal denken wir: «Zu ihr sollte ich auch mal zu Besuch» – und dann lesen wir plötzlich die Todesanzeige in der Zeitung und erschrecken. Niemand schafft es, alle zu besuchen. Es sollen ja auch keine «Pflichtbesuche» sein. Wir können Gott bitten, uns zu zeigen, wem wir eine Freude bereiten können mit einem Besuch. Wir dürfen ihn auch bitten, dass er uns Ideen gibt, was wir mitbringen oder worüber wir reden sollen. Nicht selten gehen wir dann als Beschenkte heim.

Es gibt Menschen, welche die alte Kunst des persönlichen Briefeschreibens aufleben lassen und so ihre Mitmenschen ermutigen.

Und zu guter Letzt: Jemandem einen lieben Gruss ausrichten lassen, ist besser als nichts. Deshalb grüsse ich heute auf diesem Weg alle Kranken und Menschen mit einer Beeinträchtigung ganz besonders herzlich.

Zum Thema:
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Datum: 05.03.2017
Autor: Helene Maurer
Quelle: Sonntagsblatt des «Berner Oberländer»

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