Europarat lehnt mit grosser Mehrheit Sterbehilfe ab

Nach kontroverser Debatte hat der Europarat eine umstrittene Empfehlung zur Sterbehilfe mit grosser Mehrheit abgelehnt. In der Parlamentarischen Versammlung stimmten 138 Abgeordnete gegen den Entschliessungsantrag «Begleitung von Patienten am Lebensende», des Schweizer Liberalen Dirk Marty.
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Unterstützt wurde die Resolution von 26 Delegierten, fünf enthielten sich. Damit bleibt die im Jahr 1999 verabschiedete Stellungnahme des Europarates gültig, die sich gegen die Zulassung von aktiver Sterbehilfe wendet. Mit der Annahme von Änderungsanträgen hatte eine Mehrheit der Parlamentarier in dem Bericht die Ablehnung der Euthanasie eingefügt. Damit war der Bericht auch für Befürworter freizügigerer Gesetzesregelungen zur Sterbehilfe nicht mehr annehmbar, so dass sie in der Schlussabstimmung dagegen stimmten.

Dick Marty gescheitert

Gegner der Sterbehilfe sprachen sich in der Debatte grundsätzlich gegen den Berichtsentwurf des schweizerischen freisinnigen Europarats-Parlamentariers Dick Marty aus. Damit hat der Europarat keine neue Empfehlung zur Sterbehilfe beschlossen. 1999 hatte sich die Parlamentarische Versammlung ausdrücklich gegen aktive Sterbehilfe ausgesprochen.

Änderungsanträge gegen Euthanasie erhielten Mehrheit

Während der Abstimmung über die Änderungsanträge zeigte sich, dass eine knappe Mehrheit der Abgeordneten den 46 Europarats-Staaten empfehlen wollte, eine auf die Vorbeugung von Selbstmord und Euthanasie ausgerichtete Politik zu betreiben. Sie hätten danach aufgefordert werden sollen, die Zahl der Euthanasie-Fälle "so weit wie möglich zu verringern". Befürworter einer Liberalisierung der Sterbehilfe stimmten daher in der Schlussabstimmung ebenso gegen das Dokument wie Euthanasie-Gegner, die für eine noch klarere Ablehnung der aktiven Sterbehilfe plädiert hatten.

Kritiker wie Christdemokraten und katholische Kirchenkreise hatten in den ursprünglichen Formulierungen des Berichts Unschärfen gesehen. Vor allem die Begründung, über die nicht abgestimmt wurde, enthalte eine eindeutige Befürwortung einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe, so die Kritik. Darin wird unter anderem ausdrücklich die belgische und die niederländische liberale Gesetzgebung gelobt.

Unüberbrückbare Gegensätze

In der Aussprache waren vor der Abstimmung unüberbrückbare Gegensätze zwischen Befürwortern und Gegnern einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe deutlich geworden. Marty sagte, er sei sich bewusst gewesen, dass das Thema ähnlich wie der Schwangerschaftsabbruch emotionale Reaktionen auslösen werde.

Paradox sei, dass die Begleitung Kranker am Lebensende angesichts der medizinischen Fortschritte immer dringender, der Tod aber andererseits zunehmend tabuisiert werde. "Wir schlagen keine Massnahme der aktiven Sterbehilfe vor", so Marty. Es sei schwierig, für die 46 sehr unterschiedlichen Mitgliedsstaaten des Europarats eine gemeinsame Lösung zu finden. Den Realitäten dürfe aber nicht ausgewichen werden. Vor allem Sprecher der Sozialisten, Linken, Liberalen und Grünen unterstützten den Marty-Bericht in seiner ursprünglichen Form.

Christdemokraten, Konservative, aber auch deutsche Sozialdemokraten erklärten dagegen ihre ablehnende Haltung. Die luxemburgische sozialistische Europarats-Parlamentarierin Lydie Err sagte, ein juristisches Niemandsland dürfe nicht akzeptiert werden. Das Leben gehöre weder Ärzten oder Philosophen noch Kirchenmännern oder Politikern, so Err. Zustimmung kam auch von Sprechern der Fraktion der Vereinigten Linken sowie von Sprechern der Liberalen und der Grünen.

Belgien und Niederlanden: "keine Klarheit"

Der deutsche CSU-Europarats-Parlamentarier Eduard Lintner warf dagegen dem Marty-Bericht in seiner ursprünglichen Form vor, eine Befürwortung der Euthanasie zu enthalten. Wer das christliche Gebot "Du sollst nicht töten" ernst nehme, könne nicht zustimmen. Hinweise auf die Regelungen in Belgien und Niederlande seien nicht hilfreich, weil sie dort entgegen Martys Meinung nicht für die nötige Klarheit gesorgt hätten. Studien zeigten, dass dort in einem Viertel aller Fälle Sterbehilfe ohne Einwilligung der Patienten erfolgt sei.

Die britische konservative Parliamentarierin Jill Baroness Knight of Collingtree nannte den später abgemilderten Entwurf "schrecklich". Ärzte müssten davor geschützt werden, Tötungshandlungen vornehmen zu müssen. Die ganze Gesellschaft drohe Schaden zu nehmen, wenn er beschlossen werde. Dagegen erklärte der niederländische Sozialdemokrat Erik Jürgens, der Wunsch nach einem Lebensende in Würde müsse auch von christlichen Europarats-Parlamentariern akzeptiert werden. Mitleid sei eine grundlegende christliche Tugend; deshalb könne er auch als Katholik dem Bericht in seiner ursprünglichen Form zustimmen.

Kommentar

Jedem sein Sterben?

Von Bruno Graber

Der Schriftsteller Martin Walser meint: „Ich halte es für anmassend, anderen den richtigen Tod zu predigen. Wenn die meisten schon nicht leben können, wie sie wollen, sollen sie doch ihr Sterben allein bestimmen können. Wir wollen sterben dürfen, wann und wie es uns passt.“

Ganz so klar ist die Sache nicht. Die bisher geltenden Grundsätze der christlichen Ethik sind so infrage gestellt, denn diese Ethik lehrt, dass der Mensch ein Ebenbild Gottes ist, der ihn geschaffen und damit gewollt hat. Der Mensch gehört also Gott und nicht sich selbst. Daher darf er sein Leben nicht selbstmächtig beenden oder beenden lassen oder - das gilt für den Arzt - das Leben eines anderen beenden, auch wenn dieser es wünscht. Letztendlich ist der Verlust der Gottesbeziehung im Abendland der Grund, warum überhaupt diese Diskussion stattfindet.

Sterbehilfe kann dabei nicht einfach heissen, möglichst schnell zum Sterben zu verhelfen. Sterbehilfe sollte Menschen im Sterben helfen, im Sterben begleitend bei ihnen zu sein, ihnen Beistand zu leisten in einem Sterben, wie es ihnen entspricht und ihnen gerecht wird. Es gibt keinen abstrakten Massstab und keinen planbaren technischen Vorgang für ein "gutes Sterben".

Die beste Lösung ist meiner Meinung nach eine Patientenverfügung - das bedeutet: der Patient sagt oder schreibt, ab wann er keine lebensverlängernden Massnahmen haben möchte. Das bedeutet aber zugleich, das Sterben auch zuzulassen. Einfach nur alle denkbare Technik zum Einsatz zu bringen, kann schnell zum Nachdenken darüber zwingen, wie dieser medizinische Einsatz zu begrenzen ist. Vorrangig muss hier aber die Frage bleiben, was für jeden Einzelnen gut ist, was seiner Situation entspricht, und was es heisst, ihm zu helfen, sein Leiden zu lindern und mit seiner Krankheit umzugehen. Es ist entscheidend, dass diese nicht unter einem abstrakten Aspekt der "Therapiebegrenzung" gesehen wird, sondern unter dem Aspekt des Ausschöpfens ärztlicher Möglichkeiten für jede und jeden Einzelnen.

Es gehört zur ärztlichen Kunst, dies unter sorgfältiger Beachtung der Willensäusserungen der Betroffenen zu bedenken. Das wird umso besser gelingen, je klarer die Verständigung zwischen dem Sterbenden, den Angehörigen, den Pflegenden und den Ärzten geregelt ist. Hier kann jede und jeder Einzelne - etwa durch frühzeitiges Abfassen einer Patientenverfügung - vieles dazu tun, um das Umfeld des eigenen Sterbens im Sinne eigener Entscheidungen vorzubereiten.

Siehe auch untenstehenden Artikel:
Caritas Schweiz gibt neue Patientenverfügung heraus

Quellen: epd/Kipa/ PBC/Livenet

Datum: 02.05.2005

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