«Alles Fake?»

Die Welt wahrhaftig lieben – ein Forum von ChristNet

Was bedeutet es, als Christen in einer «post- und alternativ-faktischen» Postmoderne zu leben und sich der Wahrheit verpflichtet zu sehen? Dieser Frage sind letzten Samstag gut 20 TeilnehmerInnen am ChristNetForum «Alles Fake?» in Biel nachgegangen.
Die Teilnehmer konnten unter anderem mit dem Ethiker Michael Gonin (hinten rechts) austauschen.
Auch der Redner Florian Wüthrich (hinten rechts) tauschte noch mit den Teilnehmern aus.

In Impulsreferaten zu Medien und Politik wurde die Brisanz des Themas entfaltet, in Workshops darum gerungen, in einer Podiums- und Publikumsdiskussion mit einer Nationalrätin, einem Alt-Nationalrat, einem Journalisten und einem Theologen vertieft. Veranstalter war ChristNet, das als Denkfabrik für eine Erneuerung der Nächstenliebe in Politik und Gesellschaft einsteht.

Mauern überwinden

Es gelte, unsere Identität in Christus zu verankern. Dann seien wir frei, uns miteinander für die Wahrheit, die an die Person Jesus gebunden ist, zu engagieren. Dann hörten wir auf, uns hinter Mauern zu verschanzen, wie auch immer diese sich nennen: links oder rechts, katholisch oder evangelisch, charismatisch oder anticharismatisch. Dies war eine der zentralen Aussagen von Michael Gonin, Ethiker, der in St-Légier (VD) als Theologe lehrt und in der Wirtschaft soziales Unternehmertum fördert.

Gilt «Du sollst nicht lügen» nicht mehr?

Wenn wir das Problem nur bei Trump oder «den Russen» suchten, gleichzeitig uns aber nicht wirklich in unseren Gewissheiten stören liessen, dann seien wir Teil eines «Fake-News-Systems», so Markus Meury, Soziologe aus Lausanne. Er erinnerte daran, dass 81 Prozent der Evangelikalen für Trump gestimmt haben, obschon dessen Aussagen laut diversen Analysen deutlich weniger Wahrheitsgehalt aufwiesen als bei allen früheren Präsidentschaftskandidaten. Meury ermutigte dazu, im Sinne von Paulus «alles zu prüfen», sauberer nach Quellen zu suchen, Rechenschaft abzulegen und auch einzufordern: «Hat Gott gesagt, dass das 9. Gebot, nicht falsch Zeugnis (Fake) zu reden, irrelevant oder weniger wichtiger geworden sei?», fragte er rhetorisch.

Christen als Wahrheitsspezialisten?

Wenn Fakten nur noch als Meinung gälten, so Meury weiter, sei das problematisch, weil dann das grösste Megaphon, die beste Social-Media-Plattform oder der lauteste Fanclub darüber entscheide, was Wahrheit sei. Unwahrheit aber wirke zersetzend. Wahrheit hingegen bedeute Verlässlichkeit und Faktentreue.

Meury liefert konkrete Vorschläge für Gruppen und Gemeinden. Etwa eine Kommission zum Faktencheck, eine Art Wahrheitskommission. Oder unabhängige Medien zu fördern und das Vertrauen in die Wissenschaft. Es gehe darum, der Weltangst, die Urgrund von Verschwörungstheorien ist, ohne Druck und Machtanspruch das Wasser abzugraben.

«Als Christen wollen wir neu unsere Stellung als 'Wahrheitsspezialisten' wahrnehmen. Wir wollen lernen, die Welt wahrhaftig zu lieben, unsere Blase zu verlassen, Andersdenkenden zuzuhören. Wir wollen uns in unserem Weltbild stören lassen und auch andere stören», so Samuel Ninck-Lehmann, Koordinator von ChristNet.

Wie lässt sich Wahrheit finanzieren?

In einem Podiums- und Publikumsgespräch, das Vertreter aus Theologie, Journalismus und Politik versammelte, ermutigte Jean-Pierre Graber, ehemaliger SVP-Nationalrat, anhand konkreter Beispiele dazu, politische Mandate mutig und kraftvoll zu übernehmen. Marianne Streiff-Feller, EVP-Nationalrätin, bestätigte: Nicht immer stehe in ihrer Arbeit die Suche nach Konsens im Mittelpunkt. Politisches Handwerk beinhalte auch, die anderen von der eigenen politischen Meinung überzeugen zu wollen. Aber es sei wichtig, die Beziehung mit Ratskollegen zu pflegen und damit parteipolitische Gräben zu überwinden. Florian Wüthrich, Journalist und Redaktions-Leiter bei Livenet, betonte, wie schwierig es sei, auf einer Online-Plattform wie der seinen Qualitätsjournalismus bezahlt und damit auch gefördert zu bekommen.

4 Thesen und eine Selbstverpflichtung

ChristNet sieht sein Kernmandat darin, sich für Nächstenliebe einzusetzen. Liebe mache keinesfalls blind, so der Tenor. Das Team stellte zum Abschluss des Forums 4 Thesen in den Raum, auf welche die Besucher mit Selbstverpflichtungen reagierten: «Ich möchte mit dem ganzen Spektrum der Christenheit im Gespräch sein», schreibt jemand. Ein Teilnehmer möchte gerne mit kritischen Leserbriefen Medien herausfordern. Ein anderer möchte Verschwörungstheoretikern gut zuhören, auch wenn es schwer sei. Und ein Besucher möchte Livenet mit einer Geldspende unterstützen…

ChristNet ist ein Forum, in dem Themen im Bereich der Sozial-, Wirtschafts-, Umwelt-, Kultur- und Entwicklungspolitik kritisch behandelt und umgesetzt werden.

Zur Webseite:
ChristNet

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Datum: 14.11.2017
Autor: Dorothea Gebauer / Samuel Ninck-Lehmann
Quelle: Livenet

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