Die neuen Ratspräsidenten über Glauben, Kirche und Ethik

Yves Christen, Präsident des Nationalrates 2002/03
Gian-Reto Plattner, Präsident des Ständerates 2002/03

Am 25. November sind Yves Christen und Gian-Reto Plattner zu Präsidenten des National- beziehungsweise des Ständerates für das Jahr 2003 gewählt worden. Der waadtländer FDP-Nationalrat Christen und der Sozialdemokrat Plattner von Basel-Stadt belegen damit für ein Jahr die höchsten Ämter der Schweizerischen Eidgenossenschaft.

INTERVIEW

Thomas Hanimann

Thomas Hanimann: Wie stehen Sie zum christlichen Glauben und zur Kirche?

Yves Christen: Ich bin gläubiger Protestant mit ökumenischer Ausrichtung.

Gian-Reto Plattner: Ich bin evangelisch getauft, aber nicht mehr Mitglied der Kirche ausser in Schanf, Graubünden, weil ich dort gern Kirchensteuer zahlen will.

Beten Sie? Wann, Warum?

Plattner: Früher ja (als Kind), heute kaum (es kommt aber doch vor), später ...?

Christen: Ich bete unregelmässig, meist dann, wenn ich Hilfe benötige, aber auch um mich zu beruhigen oder in Momenten, wo ich äussere Ereignisse und Katastrophen intellektuell nicht bewältigen kann.

Wie beurteilen Sie die kirchliche Landschaft der Schweiz? Welche Bedeutung haben die Kirchen für die Politik?

Christen: Ich unterstütze die Trennung von Kirche und Staat. Unser Föderalismus gibt jedem Kanton die Kompetenz, sein Verhältnis zu den Kirchen selbst zu definieren. Die Tatsache, dass sich mehrere Kantone in ihren Verfassungen auf Gott berufen oder ihre "offiziellen" Kirchen finanzieren, zeigt, dass in unserem Land die Kirchen eine wichtige Rolle spielen.

Plattner: Da bin ich überfragt; halte aber die Kirchen für einen der wesentlichen Einflussfaktoren bei moralischen Entscheidungen.

Haben Sie ethische Werte, die Sie besonders vertreten? Soll die Moral in der Politik noch eine Rolle spielen?

Plattner: Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Offenheit als individuelle Werte; Schutz der Menschenrechte als kollektive. Die Gesellschaft ist sehr eigennützig geworden, auch wenn noch immer sehr viele Menschen gesellschaftliches Wohl ebenso hoch stellen wie das eigene.

Christen: Moral und Ethik sind in meinen Augen die wichtigsten Qualitäten, die ein Politiker haben muss. Die Kirche trägt auf ihre Weise zum moralischen Bewusstsein der Gesellschaft bei.

Gibt es (im ethischen Bereich) Dinge, die Sie in Ihrem Präsidentenjahr besonders vertreten werden?

Christen: Ich habe bei meiner Wahl von der Ehre gesprochen; Aristoteles definiert sie als "Lohn der Tugend, der den Rechtschaffenen zusteht". Ich habe diese Definition derjenigen von Montesquieu gegenübergestellt, der meint, dass denjenigen Ehre gebührt, die für das Wohl der Allgemeinheit arbeiten. Ich denke, dass auch die Wirtschaft solche Ehrbegriffe hochhalten sollte und bin überzeugt, dass die Mehrheit der Unternehmer es auch tut.

Welche Positionen vertreten Sie, knapp zusammengefasst, im Bereich der Entwicklungshilfe?

Plattner: Zu verstärken bis auf mindestens 0.4 Prozent des Bruttosozialproduktes, lieber höher.

Christen: Ich befürworte eine umfassende Entwicklungszusammenarbeit.

Braucht der Bund eine eigene Sektenpolitik?

Christen: Ich glaube nicht, dass es gegenwärtig eine spezielle Sektengesetzgebung braucht, die Politik muss jedoch Entwicklungen sehr aufmerksam verfolgen.

Plattner: Es braucht eine klare Haltung zum Schutz vor Verführung und geistiger Vergewaltigung, ein spezielles Gesetz scheint im Moment nicht nötig.

Brauchen wir Liberalisierung in der Drogenpolitik?

Plattner: Mit Massen ja, die gegenwärtige Politik passt mir gut.

Christen: Ich bin für die Entkriminalisierung des Cannabis-Konsums.

Soll der Bund aktivere Familienpolitik betreiben? Wenn ja, wie?

Christen: Die Familienpolitik kann verbessert werden, vor allem beim Ausbau von Betreuungsmöglichkeiten für Kinder.

Plattner: Ja, durch Steuererleichterungen, Unterstützung Alleinerziehender, Harmonisierung der Kinder- und Familienzulagen.

Hat für Sie die Präambel in der Bundesverfassung (Anrufung des Namens Gottes) eine Bedeutung?

Christen: Ich habe für die Berufung auf den Allmächtigen in der Bundesverfassung gestimmt, sowohl aus Traditionsbewusstsein, wie aus Überzeugung.

Plattner: Für mich persönlich nein, wegen der Gläubigen als wesentlichen Mitgliedern unserer Gesellschaft bin ich aber nicht dagegen.

Datum: 19.12.2002
Autor: Thomas Hanimann
Quelle: idea Schweiz

Werbung
Livenet Service
Werbung