«Schweizer Islam»

Anerkennung des Islam oder Trennung von Staat und Kirche?

Ein «Schweizer Islam» als Weg zur Integration? Unter diesem Thema stand die Sendung
Giuseppe Gracia im «Club» von SRF

«Der Club» am Dienstagabend auf SRF1. Prominente Redner waren unter anderen Amir Dziri, Professor für Islamische Studien an der Universität Freiburg, und Giuseppe Gracia, Medienbeauftragter des Bistums Chur.Dreh- und Angelpunkt der Sendung war das Positionspapier zum Islam, das die SP Schweiz kürzlich veröffentlicht hat. Darin spricht sich die Partei unter anderem für eine öffentlich-rechtliche Anerkennung des Islam aus.

Dziri, der auch Direktor des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft an der Universität Freiburg ist, wies gleich zu Beginn der Sendung darauf hin, dass er es «unheilvoll» finde, von einer «Anerkennung des Islam» zu sprechen. «Wir wollen eigentlich Bürger anerkennen, die zufällig Muslime sind, die aber zufällig auch Hindus oder Buddhisten sein könnten.» Der Staat habe keine beurteilende Wertung zu treffen, ob der Islam zur Schweiz gehöre. «Was zu den Nationen gehört, sind die Menschen, die sich religiös unterschiedlich artikulieren.»

Staat soll über Schule, Bildung, Sport integrieren

Der Churer Bischofssprecher Giuseppe Gracia knüpfte an diese Argumentation an: In einem modernen Rechtsstaat dürfe der Staat nicht über die Religion integrieren, sondern über das gesellschaftliche Leben selber, konkret etwa über Sportvereine, Kulturvereine, den Arbeitsmarkt, Bildung und Schule. Vom Staat wolle er nicht als Katholik, sondern als Bürger ernst genommen werden. «Als Katholik möchte ich von meinem Bischof ernst genommen werden», differenzierte Gracia.

Den Landeskirchen die Privilegien wegnehmen

Für Gracia bedeutet Gleichbehandlung der Religionen denn auch nicht die Anerkennung aller Religionen, wie das SP-Papier fordert. Er findet vielmehr, dass keine der Religionen im Land privilegiert werden soll. Das aktuelle dualistische System der katholischen Kirche, gemäss dem der Staat beispielsweise die Kirchensteuern eintreibt, ist laut Gracia ein voraufklärerisches Modell.

Ein moderner Weg sei die Gleichbehandlung aller Religionen – in diesem Punkt ging er mit dem SP-Papier einig –, indem man den Landeskirchen ihre Privilegien wegnimmt. «Die Kirche lebt auf der ganzen Welt von Spenden, ist ein privatrechtlicher Verein.» Gracia zeigte sich sehr überrascht, dass ausgerechnet die Linken mit ihrer Forderung einer Anerkennung aller Religionen «mehr Staat für die Religion» forderten, wo Marx doch seinerzeit von Religion als Opium des Volkes gesprochen habe. «Das ist ein geistesgeschichtlicher Spagat», so Gracia.

Das Ende des Scheidungsprozesses von Religion und Staat

Anders Dziri: Die Anerkennung als Religionsgemeinschaft sei verfassungsrechtlich betrachtet das Ende eines Scheidungsprozesses von Religion und Staat, nicht dessen Beginn. «Das Ergebnis dieses Prozesses der Scheidung von Staat und Religion ist eben, dass man den Religionsgemeinschaften einen gewissen Status gewährt, der dem Allgemeinwohl dient», so Dziri, der seine Voten auffallend ruhig und sachlich vorbrachte. Ein Argument, auf das Gracia postwendend energisch reagierte: «Was Sie hier tun, ist wieder die Vermischung von Religion und Staat mit verfassungsrechtlichen Argumenten.» Man könne Religionen auch als privatrechtliche Vereine stehen lassen.

Signal der Muslime an Schweizer Gesellschaft

Zustimmendes Nicken der übrigen Diskussionsteilnehmer erhielt Dziri in seinen Äusserungen über den innerislamischem Diskurs. Hier gelte es, die unterschiedlichen Interpretationen innerhalb des Islam untereinander anzuerkennen:  «Das ist auch ein wichtiges Signal an die Schweizer Gesellschaft: Sie sehen, dass Muslime miteinander kommunizieren können, dass sie auch Positionen, wo sie eventuell inhaltlich verschieden sind, transparent machen können.»

Islamdebatte ist eine Frage der Identität

Die Diskussion zeigte ausserdem, dass die Islamdebatte letztlich eine Frage der Identität ist – der schweizerischen wie der muslimischen.

Nebst Dziri und Gracia nahmen an der Diskussion Saïda Keller-Messahli, Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam, Edibe Gölgeli, Basler SP-Grossrätin, Mustafa Memeti, Imam und Leiter des Muslimischen Vereins Bern, Pascal Gemperli, Generalsekretär des Dachverbands der Waadtländer Muslime sowie der Politsatiriker Andreas Thiel teil. Moderiert wurde die Sendung von Barbara Lüthi.

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Datum: 08.06.2018
Autor: Sylvia Stam
Quelle: kath.ch

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