Jüdischer Humor

Lächelnde Wehrlosigkeit, Frechheit und Weisheit

Im Mittelalter diskutierten manche christlichen Gelehrten darüber, ob Gott lachen könnte. Aus diesem Stoff schuf Umberto Eco seinen Roman «Der Name der Rose». Diese Frage stellt sich den Juden nicht. Nie. Der Talmud hält fest: «Gott lacht mit seinen Geschöpfen, nicht über seine Geschöpfe.» Mehr noch, im Judentum ist der Witz so etwas wie der freche, kleine Bruder der Theologie. Er eröffnet neue Blicke auf Gott und den Menschen.
Henryk M. Broder

«Ich hätte gerne das Fischbrötchen!» bestellt ein Jude. «Das ist aber Salami, nicht Fisch!» antwortet der Verkäufer. «Habe ich Sie gefragt, wie der Fisch heisst?»

Der Publizist Henryk M. Broder, selbst Jude, schrieb in der Welt: «Man hat den Juden vorgeworfen, arrogant, berechnend, geizig, rachsüchtig, rücksichtslos, undankbar zu sein. Nur, dass sie keinen Humor hätten, hat nie jemand behauptet. Wie kommt das eigentlich?» Vielleicht weil tiefer Sinn für Humor unabdingbar zu Gottes Volk dazugehört. Deshalb lässt sich auch aus christlicher Sicht einiges von diesem «Alleinstellungsmerkmal» (Broder) der Juden lernen.

«So bin ich halt»

Jüdische Witze sind bitter, scharf, dichterisch, verspielt und praktisch immer selbstironisch. In ihrem Spott verteidigen sie oft die Menschlichkeit gegen Ideologien, Gewalt und Gesetzlichkeit. Einerseits machen sich die Erzähler damit wehrlos, andererseits nehmen sie jede Kritik und jedes Klischee vorweg.

Rabbi: «Chaim! Dein Sohn ist ein übler Sünder! Wo er ein Stück Schweinespeck sieht, beisst er hinein. Und wo er ein junges Mädel sieht, küsst er sie ab!» Darauf Chaim: «Oj, Rebbe! Er ist nebbich meschugge!» «Unsinn! Wenn er den Speck küssen und die Mädel beissen würde, dann wäre er meschugge. So ist er aber ganz normal!»

Überlieferungen wie diese stammen meist aus dem Ostjudentum. Heute kommen die meisten Geschichten aus den USA oder aus Israel.

«Schmuel, was hast du beim Radio gemacht?» «Mi-mi-mich u-um die Sch-sch-stelle des A-a-a-ansagers beworben.» «Und? Hast du sie bekommen?» «N-n-nein! Da-das s-sind alles A-a-antisemiten!»

Durch die Jahrhunderte hindurch waren Witze wie diese so etwas wie die einzige Waffe eines wehrlosen Volkes in der Diaspora. Oft gab es Situationen, die die Juden seelisch und geistig überhaupt nur lachend bewältigen konnten. So ist der jüdische Witz zum Ausdruck ihres realistischen Selbstbildes geworden. Juden zeigen sich darin, wie sie sind, dann kann sie niemand klein machen. Sie reden von ihren Fehlern, das macht sie frei von dem Druck, nicht als «Sünder» dazustehen. Und sie unterstreichen damit ihren Mut, trotz allem weiterzuleben.

Frech? Und wie …

Ein wichtiges Thema im jüdischen Witz ist Gott. Dabei ist es kein Witzeln über Gott, sondern ein persönliches, respektlos ehrliches Beschreiben der eigenen Beziehung zu Gott. Manches darin klingt wie im Buch Hiob, wo dieser ohnmächtig vor Gott steht und klagt: «Wärst du ein Mensch wie ich, dann könnte ich dir antworten! Wir würden beide vor Gericht gehen, damit der Streit entschieden wird.» (Hiob, Kapitel 9, Vers 32) Doch wie sollte man mit Gott gegen Gott vor Gericht gehen?

Tewje, der Milchmann im Musical «Anatevka», hadert ähnlich mit Gott. Bedroht von Armut und Verfolgung meint er: «Ich weiss, ich weiss. Wir sind dein auserwähltes Volk. Aber kannst du dir nicht ab und zu ein anderes aussuchen?»

Seine Sprache ist unterwürfig, seine Frechheit atemberaubend. Tewje sagt das, was er tatsächlich denkt. Und er kleidet es noch nicht einmal in ein (scheinbar) respektvolles Gebet. Das ist typisch jüdisch. Und Christen können sich von dieser Ehrlichkeit eine dicke Scheibe abschneiden. Natürlich gibt es die Zeiten, wo Gott spürbar nah ist. Aber was ist mit den anderen Zeiten? Hier kann das herrlich pragmatische Judentum ein echtes Vorbild sein.

«Zwei Rabbiner disputieren bis in die tiefe Nacht über die Existenz Gottes. Mit allerlei Bibel- und Talmudstellen beweisen sie jenseits allen Zweifels, dass es Gott nicht gibt. Als der Tag anbricht, macht sich der eine in die Synagoge auf. Der andere, verblüfft: «Ich dachte, wir hätten uns gestern geeinigt, es gibt keinen Gott.» «Ja, aber was hat das mit dem Morgengebet zu tun?»

Ein bisschen klingt dies wie Petrus (übrigens auch ein Jude!), der Jesus einmal achselzuckend antwortet: «Herr, zu wem sollten wir denn gehen. Nur deine Worte schenken das ewige Leben.» (Johannes, Kapitel 6, Vers 68) Dieses «trotzdem» klingt bei vielen jüdischen Witzen heraus, gerade bei den scheinbar so respektlosen.

... aber voll Weisheit

Josef Joffe erklärt in seinem Buch über jüdischen Witz, dass dieser «ein ganzes Theologieseminar in ein paar Sätze fassen» könne. Und er ergänzt: «'Die Summe der Weisheit', heisst es in Prediger, Kapitel 12, ist 'Gottesfurcht und Gehorsam'. Aber auch der jüdische Witz ist Weisheit, setzt er doch wider 'Gottesfurcht und Gehorsam' den Menschen, wie er ist, nicht, wie er sein soll.» Und Carlo Schmid schreibt: «Der jüdische Witz ist heiter hingenommene Trauer über die Gegensätze dieser Welt. Er zeigt immer wieder auf, dass – eben in dieser Welt voller Logik – die Gleichungen, die ohne Rest aufgehen, nicht stimmen können.» Und über all diese Gedanken hinaus zeigt der jüdische Witz, wie gut es ist, sich trotzdem immer wieder an den Gott zu wenden, mit dem man hadert als genau der Mensch, der man nun einmal ist. In diesem Sinne ist er tatsächlich voll Weisheit.

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Datum: 03.01.2018
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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