„Bibel in einer völlig klaren Sprache“

Martin Luther King
Hebräisch

Die Bibelübertragung “Hoffnung für alle” ist im vergangenen Jahr neu erschienen. Wenn in der Tübinger Baptistengemeinde im Gottesdienst aus der Bibel “Hoffnung für alle” vorgelesen wird, muss der Gemeindeleiter Gernot Stegert mitunter schmunzeln. Er erkennt dann seine “Handschrift” in der gerade neu erschienenen Revision dieser umgangssprachlichen Bibel, einer der vier offiziell empfohlenen Übersetzungen zum “Jahr der Bibel 2003”. Der 40-jährige Journalist hat bei der Überarbeitung des Neuen Testamentes dieser freien Übersetzung mitgearbeitet, wie Mitte der 90er Jahre schon für die Übersetzung des Alten Testaments. Über Bekannte kam er in Kontakt mit dem Brunnen Verlag Basel, der „Hoffnung für alle“ herausgibt.

Man suchte jemanden, der dafür sorgt, dass die Übersetzung sprachlich korrekt, verständlich, flüssig und aktuell wird. Stegert brachte ideale Voraussetzungen mit: Denn er ist nicht nur Journalist und Germanist, sondern auch Theologe. Über 300 Stunden hat er an den Texten gefeilt, obwohl er zugibt, dass das rund zehnköpfige Übersetzungsteam im Laufe der Zeit “immer besser” geworden sei.

Vorbild: Martin Luther

Sein Vorbild für diese Arbeit an der Bibel ist niemand Geringerer als der Reformator Martin Luther, der bereits in seinem “Sendschreiben vom Dolmetschen" 1530 festgehalten hatte: Ziel der Übersetzung sei es, “dass es eine völlige deutsche klare Rede wird. Denn man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll Deutsch reden, wie diese Esel tun, sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen Mann auf dem Markt darum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden und danach dolmetschen, so verstehen sie es und merken, dass man Deutsch mit ihnen redet.” Zum Beispiel in Römer 3,16: Kein Mensch heute würde sagen: “Auf ihren Wegen ist lauter Schaden und Jammer” (Luther 1984). Auch “Wo sie auftauchen, da entstehen Verwüstung und Elend” klingt umständlich (Hoffnung für alle 1984). Dabei gibt es gebräuchliche Wendungen. Entsprechend heisst die neue Version: “Sie hinterlassen eine Spur der Verwüstung und des Elends.”

Gernot Stegert selber liest dennoch gerne in der Luther-Übersetzung. Allerdings: “Je älter, desto besser.” Nach der Revision von 1912 sei viel Farbe verlorengegangen. In den alten Texten spürt er “eine lebendige, kraftvolle Sprache”, auch wenn er einräumt, dass viele Worte und Ausdrücke heute nicht mehr gebräuchlich und für viele deshalb auch unverständlich geworden sind. Bei aller Liebe zur Luther-Übersetzung - es ist für Gernot Stegert keine Frage, dass auch eine leicht eingängige Bibel nötig ist, deren Inhalte sich beim ersten Lesen erschliessen. Weil sich die Sprache ständig verändert, musste die erstmals 1984 erschienene “Hoffnung für alle”-Übersetzung des Neuen Testamentes jetzt überarbeitet werden.

Im Hauptberuf Politikredaktor

Nicht für jedes Wort im griechischen Urtext gibt es ein entsprechendes deutsches Wort. Ein Beispiel ist das griechische Wort “Sarx”, das mit “Fleisch” nur unzureichend und missverständlich wiedergegeben ist. Deshalb heisst es bei Johannes 3,6 jetzt: “Ein Mensch kann nur menschliches Leben zur Welt bringen.” Manchmal muss man zudem den Sinnzusammenhang verstehen und diesen mit mehreren Worten beschreiben. Fachleute sprechen in dem Zusammenhang vom Prinzip der dynamischen Äquivalenz. So wurden aus “meine Knechte und Mägde” in anderen Übersetzungen in Apostelgeschichte 2,18 “alle Männer und Frauen, die mir dienen”.

Durch seine Arbeit an der Bibelrevision, die er nebenberuflich neben seinem Brotberuf als Politikredaktor bei der “Heilbronner Stimme” erledigt hat, hat Stegert, wie er sagte, einen ganz neuen Zugang zur Bibel bekommen. Er ist begeistert über die Vielfalt der Heiligen Schrift: “Wenn man so in die Sprache einsteigt, da bemerkt man den reichen Schatz an verschiedenen Textformen – Lieder, Gebete, Erzählungen –, wo man sonst leicht drüber hinwegliest.” So hält er bis heute die Weihnachtsgeschichte, die Passionsgeschichte oder auch viele Briefe für “unglaublich kunstvoll gemachte Texte”. Es sei sein Bestreben gewesen, diese Kunstwerke auch in der modernen deutschen Übersetzung beizubehalten.

Rat: Mehrere Übersetzungen verwenden

An einigen Stellen waren deutliche Änderungen gegenüber der ursprünglichen Version von ‚Hoffnung für alle‘ notwendig, etwa bei den Seligpreisungen und bei Jesu Worten vom Salz und Licht bei Matthäus, bei der Weihnachtsgeschichte im Lukas-Evangelium oder dem Hohelied der Liebe im 1. Korintherbrief 13. Für wichtig (gerade für Baptisten) hält Gernot Stegert etwa die Veränderungen bei der “Oikos”-Formel in der Apostelgeschichte. Zum Beispiel bei der ersten Taufe in Europa. In Apostelgeschichte 16,15 hiess es bisher: “und Lydia liess sich mit ihrer ganzen Familie taufen”. Wörtlich, aber unverständlich wäre das griechische “oikos” direkt mit “Haus” zu verdeutschen. Bei “Familie” denken die meisten Leser heute an die soziologisch falsche Kategorie der Kleinfamilie und an die Säuglingstaufe. Zum “Haus” gehörten damals bei Wohlhabenden wie der Geschäftsfrau Lydia aber auch Angestellte. Entsprechend heisst es nun: “Mit allen, die in ihrem Haus lebten, liess sie sich taufen.” Ein paar Verse weiter wurde beim Gefängnis-Aufseher die Formulierung “er liess sich mit allen, die zu ihm gehörten, taufen” gewählt.

Nicht alle Vorschläge von Gernot Stegert wurden vom Redaktionskreis übernommen. Manche sprachlich schönen Vorschläge gingen dem Team inhaltlich zu weit. Dennoch sei insgesamt eine “tolle Übersetzung” herausgekommen, freut sich der Journalist. Und welche Bibelübersetzung empfiehlt er neben der “Hoffnung für alle”? Er zögert keinen Augenblick: Damit sich die gesamte Schönheit und Vielfalt eines Bibeltextes auch dem Leser erschliesst, der des Griechischen und Hebräischen nicht kundig ist, sei es empfehlenswert, möglichst viele Übersetzungen nebeneinander zu gebrauchen.

Datum: 01.01.2003

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