Medienhype um eine Begrüssung

Hat der Händedruck wirklich einen derart exklusiven Status?

Die Welt kennt verschiedene Begrüssungsformen. Aus diesen Grund hat der Basler Theologe Xaver Pfister Mühe mit dem Medienhype, den die Geschichte um zwei junge Muslime auslöste, welche den Händedruck mit einer Lehrerin verweigern. Emanzipation könne nicht verordnet werden, sagt er im kath.ch-Kommentar.
Auch eine gängige Form der Begrüssung: Zwei Freundinnen umarmen sich.
Xaver Pfister

Die von der «Schweiz am Sonntag» berichtete Nachricht und gleichzeitig in einem scharfen Kommentar als Integrationsverweigerung deklarierte Tatsache, dass in Therwil muslimische Schüler Lehrerinnen den Händedruck verweigern dürfen, hat einen Sturm der Empörung ausgelöst. Diese Empörung erscheint mir nicht vernünftig begründbar zu sein. Hier die Argumente.

Der Händedruck als urschweizerisches Kulturgut?

Wer genauer hinschaut, wird feststellen: Diese Aussage ist falsch. Es gibt unter den Schweizerinnen und Schweizer neben dem Händedruck auch andere Formen der Begrüssung: die Hand heben, den Kopf neigen, Küsschen geben gibt es vor allem unter Jungen und denen, die sich gut kennen. Abklatschen, sich umarmen, auch unter Männern, ist genau so üblich.

Weitet man den Blick auf das ganze christliche Abendland, so wird die Diversität der Grussarten noch einmal grösser: Die Inuit in Grönland und im nördlichsten Amerika begrüssen sich mit einem Nasenstupf. In Südeuropa ist die Umarmung sehr rasch die Form der Begrüssung. In England ist eine leichte Kopfbewegung, wenn man sich kennt, das Begrüssungsritual. In Deutschland ist genau geregelt, wer begrüsst wird und wer sich begrüssen lassen darf. Meistens verbeugt man sich. So dass der Begrüsste auf die Glatze des Begrüssenden sieht. Übrigens geben orthodoxe Juden nie einer Frau die Hand.

Der Händedruck im Islam

Die türkische, jetzt in Deutschland lebende Journalistin Canan Topçu hat in «Der Zeit» einen Artikel zum Thema verfasst. Sie befragt islamische Theologen und erhält ganz unterschiedliche Antworten. Der eine meint, diese Regel lasse sich gar nicht direkt auf den Koran zurückführen, sondern – wenn überhaupt – auf die Überlieferungen aus dem Leben des Propheten. Ein anderer wiederum verweist auf die Sure 17, Vers 32, die vor Unzucht und Ehebruch warne und von orthodoxen Muslimen als Verbot des Handschlags ausgelegt werde. Noch ein anderer vertritt hingegen den Standpunkt, dass es sich um eine nicht mehr zeitgemässe Umgangsform handle und auf den Propheten Mohammed zurückzuführen sei, der Frauen nie die Hand gegeben habe. Auch im Islam also eine Diversität von Meinungen zum Händedruck.

Was meint denn Integration?

Nun meldet sich Justizministerin Simonetta Sommaruga auch zum in Therwil verweigerten Händedruck: «Dass ein Kind der Lehrperson die Hand nicht gibt, das geht nicht». Der Handschlag sei Teil unserer Kultur, gehöre zum Alltag in unserem Land. «So stelle ich mir Integration nicht vor, auch unter dem Titel Religionsfreiheit kann man das nicht akzeptieren», sagte die Bundesrätin in «10vor10». Man müsse «absolut klarstellen», dass der Handschlag hierzulande dazugehöre und man dürfe diesbezüglich «kein Fragezeichen aufkommen» lassen. Diese Aussage der Bundesrätin ist meiner Meinung nach weder weise noch staatsfraulich.

Warum meine ich das?

Ich bin einverstanden, dass wir mit der Integration von Muslimen in unsere Gesellschaft Mühe haben. Dennoch halte ich fest: Integration ist ein wechselseitiger, lange dauernder Prozess. Islamophobie schadet auch der Schweiz und ist unschweizerisch. Ich bin einverstanden, dass das Frauenbild der Muslime patriarchal und frauenverachtend ist. Wir können sie in diesen Auseinandersetzungen unterstützen. Aber Emanzipation kann nicht verordnet werden. Subjekte einer Emanzipation sind immer diejenigen, die emanzipiert sein wollen.

Streiten ist notwendig

Es ist notwendig, mit den Muslimen, die in der Schweiz wohnen, über Dinge zu streiten. Allerdings muss diese Auseinandersetzung auf Augenhöhe geführt werden. Das gewollte oder ungewollte Schüren der Islamophobie erschwert diese Auseinandersetzung.

  1. Die Verpflichtung auf die Bundesverfassung muss eingefordert werden. Gewalttäter und Gewaltbereite sind mit unseren demokratisch legitimierten Mitteln hart anzufassen.

  2. Die Kantonsverfassung des Kantons Basel-Stadt nennt vier Themen, über die gestritten werden muss. In Kapitel VIII Kirchen und Religionsgemeinschaften ist neu neben der öffentlich-rechtlichen Anerkennung die Möglichkeit einer nicht öffentlich-rechtlich Anerkennung geschaffen worden. Darin sind klar die Bedingungen geregelt, die eine Anerkennung ermöglichen: a) gesellschaftliche Bedeutung haben; b) den Religionsfrieden und die Rechtsordnung respektieren; c) über eine transparente Finanzverwaltung verfügen; d) den jederzeitigen Austritt zulassen.

Über diese vier Bedingungen muss gestritten werden, insbesondere darüber, dass die Muslime die Entscheidung eines Muslims, einer Muslima, aus ihrer Religion auszutreten, nicht akzeptieren.

Es ist zu streiten über das Staatsverständnis im Islam und in Europa. Sie unterscheiden sich in wesentlichen Punkten.

Es ist zu streiten über die Anerkennung der Menschenrechte.

Zum Autor

Der Theologe Xaver Pfister ist Publizist in Basel. Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2012 war er Informationsbeauftragter der katholische Kirche in Basel-Stadt und wirkte zudem auch als Co-Dekan.

Zum Thema:
Der verweigerte Handschlag: Eine Symbolhandlung und der Medienhype
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Dave Bachmann: «Es war wie ein Händedruck Gottes»

Datum: 15.04.2016
Autor: Xaver Pfister
Quelle: kath.ch

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