Frömmigkeit und Widerstandskraft aus Gott
Die Veranstalter wurden überrascht vom Interesse: Über 300 Personen, vor allem älterer Jahrgänge, drängten sich ins Kulturhaus Helferei beim Grossmünster; manche standen oder setzten sich auf den Boden. Der erste Teil der dreistündigen Gedenkveranstaltung war dem Rückblick auf ein Leben gewidmet, das durch sein unauflösliches Ineinander von Denken und Glauben, Tun und Leiden aus den deutschen Theologenexistenzen des 20. Jahrhunderts herausragt.
Wunderkind aus gutbürgerlichem Haus
Der grosse Dokumentarfilm des Amerikaners Martin Doblmeier von 2003 versammelt Bilder, Zitate und die Stimmen von Freunden und Studenten von Bonhoeffer und weiteren Zeitzeugen. Er zeigt, wie sich Bonhoeffer von Beginn weg (schon wenige Tage nach Hitlers Aufstieg zum Reichskanzler!) gegen die Nazi-Walze wehrte, die die meisten Christen in Deutschland gefügig machte. Er zeichnet den Weg des Psychiatersohns und theologischen Wunderkinds in die Einsamkeit der Gefängniszelle nach, ohne über dem politischen Denker den Gläubigen zu vergessen.
Lange bevor ihm die braunen Machthaber das Letzte abforderten, dachte der am 4. Februar 1906 geborene Bonhoeffer (sein Bruder Walther war im 1. Weltkrieg gefallen) über die Zukunft des Christentums nach dem Zerfall der alten Gewissheiten nach. So formulierte er: „Die Restauration der Kirche kommt gewiss aus einer Art neuen Mönchtums, das mit dem alten nur die Kompromisslosigkeit eines Lebens nach der Bergpredigt in der Nachfolge Christi gemeinsam hat. Ich glaube, es ist an der Zeit, hierfür die Menschen zu sammeln.“
Denker des Widerstands gegen die gottfeindliche Staatsgewalt
Das (illegale) theologische Seminar der Bekennenden Kirche in Finkenwalde, das er leitete, wurde von den Nazis nach zwei Jahren 1937 geschlossen. Durch seinen Schwager Hans von Dohnanyi mit einem Kreis von Widerstandskämpfern verbunden, befasste sich Bonhoeffer mit dem Tyrannenmord und der damit verbundenen Schuld. Hitler liess ihn im April 1943 verhaften und zwei Jahre später – die Rote Armee stand bereits in Berlin – aufhängen.
Die Zürcher Gedenkveranstaltung, die vom Collegium Vocale des Grossmünsters musikalisch umrahmt wurde, führte im zweiten Teil mit kurzen Texten ins Zentrum von Bonhoeffers Denken. Klaus Henner Russius las Sätze, die zu den markantesten des 20. Jahrhunderts gehören: „Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unserem vermeintlichen Guttaten. Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“
Aktuell und interpretationsoffen
Ein halbstündiges Podium unter Leitung des Fraumünsterpfarrers Niklaus Peter schloss sich an, in dem Schweizer Theologen die Aktualität des deutschen Glaubenszeugen darlegten. Der Zürcher reformierte Kirchenratspräsident Ruedi Reich hob heraus, dass Bonhoeffer nach einer verbindlichen Gemeinschaft von Christen gesucht habe, „die sich nicht selbst genügt, sondern für andere da ist“.
Laut Heinz Rüegger vom Diakoniewerk Neumünster muss die Kirche die Frage ernst nehmen, ob sie den Menschen auch im Alltag Begegnung mit Gott ermöglicht. Bonhoeffer hatte schon 1932 darauf hingewiesen, dass die „Kirchen immer leerer und die Kinos immer voller“ werden. Er habe sich gegen einen ‚Lückenbüsser-Gott’ gewandt, gegen eine Religiosität, die Gott nur noch für Teilbereiche des Lebens zuständig sein lässt, sagte Rüegger.
„Im Chaos nach Ordnung gesucht“
Die Ethikerin Christina Aus der Au zeigte sich fasziniert von Bonhoeffers „Nichtwissen um Gut und Böse“ in den Extremsituationen der Nazi-Zeit, seiner „Offenheit für das Unsichere, für das Wagnis in allem“ – was sie kühn als „masslose Ethik“ bezeichnete. Er habe im Chaos nach Ordnung gesucht.
Rüegger fügte an, der ökumenisch offene Theologe habe sich „von seinem Gewissen her in Pflicht nehmen lassen, auch wenn sich das in extremen Spannungen kristallisierte“. Der katholische Luzerner Pastoraltheologe Urs Eigenmann bemerkte, Bonhoeffer habe darauf bestanden, dass die Erfahrung Gottes, die „Transzendenzerfahrung zunächst in dieser Welt geschieht, im Zugehen auf den Anderen hin und im Dasein für ihn“.
Teure Gnade
Niklaus Peter stellte den „sehr steilen Kirchenbegriff“ Bonhoeffers heraus, der vor „billiger Gnade“ warnte und Taufe ohne Gemeindezucht ablehnte. „Teure Gnade ist das Evangelium. Sie kostet den Menschen das Leben. Teuer ist die Gnade vor allem darum, weil sie Gott das Leben seines Sohnes gekostet hat und uns nicht billig sein kann, was Gott teuer ist.“
Peter stellte die Frage, ob die Kirche ohne verpflichtendes Bekenntnis auskommen könne. Darauf antwortete Ruedi Reich, er halte es für „hoffnungsvoll, dass die Bekenntnisfrage seit einigen Jahren in unserer reformierten Kirche neu gestellt wird“.
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„Von guten Mächten wunderbar geborgen…“: Dietrich Bonhoeffer würde 100
Bonhoeffer war «Einheit aus Überzeugung und Tat»
Dietrich Bonhoeffers Erbe
Politischer Märtyrer oder konsequenter Bekenner?
Schweizer Webseite zum Bonhoeffer-Gedenkjahr 2006
Datum: 08.02.2006
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch