„Nirgendwo sind die Menschen so offen für das Evangelium wie auf Schiffen“

Martin und Monika Otto mit Jennifer und Samira.
Matrosen

Hamburg. Martin Otto ist jeden Tag Missionar für ein anderes Land. Er besucht Syrer, Polen und Ghanaer und muss dafür nicht einmal seine Heimatstadt Hamburg verlassen. Er packt einfach sein Auto voll mit Kalendern, CDs, Videos und Bibeln und fährt zum Hafen. Dort nimmt er seinen Pilotenkoffer und geht an Bord.

Bis zu sechs Schiffe besucht Otto am Tag, die Auswahl trifft er jeden Morgen bei seiner Morgenandacht mit Hilfe eines Faxes, das er vom Schiffsmeldedienst zugeschickt bekommt. Otto betritt den Laufsteg eines Schiffes mit philippinischer Besatzung. Am Schiffseingang trägt er sich in eine Besucherliste ein. Erst dreimal in den 15 Jahren seiner Missionstätigkeit für die “Seafarers Ministry Hamburg”(Seemannsmission Hamburg) wurde er nicht auf ein Containerschiff gelassen. Otto steigt die schmalen, steilen Eisentreppen hoch, die zur Küche führen. Die Mannschaftsmesse ist ein kleiner Raum mit zwei Tischen, auf denen Fischsosse aus Thailand, Sojasosse aus Singapur und deutscher Tomatenketchup stehen. Otto stellt seine Bibeln dazu und wartet auf die Seeleute.

Das Gespräch suchen

Die Pausenzeiten sind auf allen Schiffen einheitlich. In der Regel sind die Besatzungen daher immer um zehn, um zwölf und um fünfzehn Uhr in der Mannschaftsmesse anzutreffen. Der erste Filipino kommt und bietet ihm einen Kaffee an. “Wieviel Grad sind es in Deutschland?”, fragt er. “Zwei, drei Grad”, antwortet Otto und will wissen, welches die kälteste Temperatur auf den Philippinen ist. Otto gibt dem Seemann einen Kalender mit Bibelsprüchen und fragt dann: “Hast du eine Bibel in deiner Kabine? Liest du sie?” Der Filipino greift zur Zigarettenschachtel, nimmt sich eine Zigarette heraus. Otto nimmt den Evangeliumswürfel in die Hand, ein Pappwürfel, den er in mehrere Richtungen ausklappen kann. Der Würfel zeigt, wie die Sünde den Menschen von Gott trennt, wie Jesus am Kreuz starb und so alle Schuld auf sich nahm, wie neues Leben möglich ist. Otto faltet Bild um Bild und erklärt es. Die Zigarette des Filipinos bleibt unangezündet.

Einsamkeit und Versuchung

Währenddessen hat sich die Messe gefüllt. Otto stellt sich kurz vor und hält, während die Männer ihren Kaffee trinken, eine kurze Predigt. Er erzählt von der Einsamkeit auf dem Meer, den Versuchungen und “Kaselana” – dem philippinischen Wort für Sünde. Die Seeleute nicken. Fast jeder von ihnen nimmt einen Kalender mit, einer kauft sich eine Bibel in “Tagalog”, seiner Muttersprache, andere nehmen den Evangeliumswürfel für ihre Kinder mit. Einige der Seeleute sind bereits Christen. Bevor Otto geht, stellt er sich mit ihnen in einen Kreis, jeder greift die Hände des Nachbarn, und sie beten gemeinsam. Zum Abschied schenkt er den Männern noch eine CD. “Die ist jetzt Schiffseigentum”, sagt Otto.

Ein unerreichtes Volk

Wer glaubt, dass Seeleute zu den glücklichsten Menschen der Erde gehören müssten, weil sie kostenlos die Welt bereisen könnten, irrt sich. Die meisten arbeiten mehr als acht Stunden am Tag, die Bezahlung ist oft gering. Immer wieder erleben die Schiffsbesatzungen gewaltige Stürme. Kleinere Schiffe müssen zudem mit Überfällen durch Piraten rechnen. Ihre Freizeit verbringen die Seeleute in kleinen, engen Kabinen mit künstlichem Licht. Abwechslung bietet nur der Fernseher, nicht selten sind es Gewalt- und Pornovideos, die die Seemänner schauen. Erreichen sie einen Hafen, bleibt oft keine Zeit für einen Landgang, weil das Schiff gleich nach dem Löschen der Ladung wieder ausläuft. Liegt es doch einmal für ein paar Tage vor Anker, gehen die Seeleute oft zu einer Prostituierten – und haben danach wochenlang ein schlechtes Gewissen gegenüber ihrer Ehefrau. Seeleute sind ein Volk ohne Heimat. Von 30 Jahren Lebenszeit verbringt ein Seemann nur 5 Jahre zu Hause bei seiner Familie. Wenn er nach Hause kommt, ist er für seine Kinder zu einem Fremden geworden. Christliche Seeleute sind häufig Aussenseiter auf dem Schiff, Schiffsgemeinden oder Gebetsgemeinschaften sind die Ausnahme. Das “Zentrum für Weltmission” (Pasadena/ USA) bezeichnet die 1,2 Millionen Seeleute, die weltweit unterwegs sind, sogar als “unerreichtes Volk”.

Ein Trick zum Mittag

Otto drängt es zum nächsten Schiff. Es ist Mittagszeit, die philippinische Mannschaft isst Reis und Krabben. Martin Otto nutzt die Stille im Raum und führt ein Kunststück vor. Er bittet zwei Seeleute, ein Seil zu halten, das die Verbindung zwischen Gott und den Menschen symbolisieren soll. Einen der Männer lässt er mit einer Schere das Seil durchschneiden, die Verbindung ist getrennt. Otto macht einen Knoten in das Seil, aber der erinnert an die Sünde und stört die Verbindung zu Gott. Nun hält er eine Papierserviette über den Knoten. “Jesus deckt die Sünden der Welt zu”, erklärt er der Besatzung. Otto nimmt die Serviette vom Seil, der Knoten ist weg, die Zuschauer staunen. “Jesus macht alles neu”, sagt Otto. Die Filipinos klatschen Beifall und der Chefkoch ist neugierig, wie der Trick mit dem reparierten Knoten funktioniert.

Bibelfernkurse

Alles scheint mühelos. Aus einem grossen Karton verteilt Otto Pudelmützen, die Frauen des Seefahrer-Freundeskreises gestrickt haben. Er bekommt einen Stapel Briefe in die Hand gedrückt, den er für die Seeleute in den Postkasten werfen wird. Der Küchenjunge hängt einen Kalender unter der Uhr in der Schiffsmesse auf. Die Seeleute laden ihren missionarischen Gast zum Mittagessen ein, er bekommt Toastbrote mit Erdnussbutter und Marmelade, dazu ein Glas Cola mit Eiswürfeln. “Ich habe gesehen, dass du vor dem Essen betest”, sagt Otto zu seinem Nachbarn, “glaubst du an Jesus Christus?” Der bejaht. Otto bietet ihm einen Bibelfernkurs an. Schickt man den dazugehörigen Testbogen ausgefüllt an Otto zurück, schickt er den nächsten Teil ab. Der Filipino ist begeistert und verspricht: “Spätestens in zwei Wochen bekommst du die Antworten.”

Nirgendwo so offen

Nirgendwo sind die Menschen so offen fürs Evangelium wie auf Schiffen. Einen freundlicheren Empfang für jemanden, der unangemeldet kommt und zudem unbekannt ist, kann man sich kaum vorstellen. Überall bekommt Otto Kaffee angeboten, oft auch etwas zu essen. Die Schiffsbesatzungen sind dankbar für jeden Besuch. Sonst kommen nur fliegende Händler an Bord, die Bohrmaschinen, Handys und Shampoo verkaufen. “Die Türen stehen uns nicht nur offen, sie werden geradezu aus den Angeln gehoben”, schwärmte ein Praktikant, der Otto mehrere Wochen begleitete. “Die Traktate und Bibeln werden uns von den Leuten teilweise aus den Händen gerissen.” Auch Otto konnte es zu Beginn seiner Arbeit kaum glauben, wenn Leute ihm schrieben, dass sie sich nach dem Lesen von Traktaten bekehrt hätten. Inzwischen hat er sich an die täglichen Wunder gewöhnt und hält die Schiffsmission für “eine der effektivsten Möglichkeiten, das Evangelium zu verkündigen.”

Mission ohne Visum

Freunde von ihm hätten sich zehn Jahre auf einen Missionseinsatz in einem moslemischen Land vorbereitet, erzählt Otto. Sie studierten Sprache und Kultur und lernten einen Beruf. Nach nur zwei Jahren seien sie des Landes verwiesen worden. “Wir haben die ‚Unerrreichten’ fast jeden Monat hier”, sagt Otto. Für den Hamburger Hafen braucht er weder Flugticket noch Einreiseerlaubnis. So erreicht er auch Menschen aus Ländern, in denen Staatsbürgern der christliche Glaube verboten ist und schon der Besitz einer Bibel ins Gefängnis führen kann.

Türkisches Konfekt

Als nächstes steuert Otto ein Schiff aus Istanbul an. “Vielleicht gibt es dort eine Tasse türkischen Tee”, hofft er. Der Wunsch wird erfüllt. Otto wird vom Mannschaftsraum gleich ein Stockwerk höher in den Salon gebeten, der Steuermann des Schiffes empfängt ihn. Es wird Tee serviert und eine Flasche mit Parfüm herumgereicht. Otto reibt sich nach türkischer Tradition Hände und Gesicht damit ein. Ihm werden Kuchen und eine Schale mit Bonbons angeboten. Zu seiner Überraschung wünscht der Steuermann “fröhliche Weihnachten” und fragt nach Bibelgeschichten in russischer oder türkischer Sprache. Er sei Moslem, sagt der Steuermann, aber er glaube auch an Jesus, schliesslich hätten Christen und Moslems den gleichen Gott.

Otto widerspricht nicht. “Der Absolutheitsanspruch der christlichen Botschaft stimmt, aber ihn vor sich her zu tragen, wirkt auf viele wie Gift”, erklärt er später. Deshalb diskutiert Otto nie und erzählt einfach, wie er Jesus erfahren hat. Otto und der Steuermann unterhalten sich über den deutschen Fussballtrainer von Fenerbahce Istanbul, die bevorstehende EU-Mitgliedschaft der Türkei und Ottos türkische Nachbarn. Der Steuermann lädt ihn in die Türkei ein, Otto fragt, wann das Schiff das nächste Mal in Hamburg ist. Otto hat schon längst das Schiff verlassen, da läuft ihm ein Seemann hinterher. Er überreicht ihm eine Schachtel mit türkischem Konfekt.

Datum: 21.12.2002
Quelle: idea Deutschland

Werbung
Livenet Service
Werbung