„Das Wort Gottes rettet uns“: Interesse an der Bibel im fernen Osten Europas

Tschuwaschen
Ukraine

„Dieses Buch wird uns helfen, den Sinn des Lebens zu entdecken und uns Antworten auf Lebensfragen zu geben. Es läutert und verändert den Verstand und die Seele des Menschen.“ Dies sagte der Leiter der tschuwaschischen Nationalbibliothek im April 2002 bei der Präsentation eines neuen Büchleins in seiner Sprache – der vier Evangelien.

Die Tschuwaschen sind ein Volk von über 1,8 Millionen Menschen im fernen Osten Europas, am Mittellauf der Wolga 600 km östlich von Moskau. Sie haben lange im Schatten des einst mächtigen Tatarenvolks gelebt; wie das Tatarische gehört auch Tschuwaschisch zu den Turksprachen. Im 16. Jahrhundert dehnten die Moskauer Fürsten ihre Herrschaft nach Osten aus. Mit der russischen Oberherrschaft kam auch die orthodoxe Kirche ins Land; sie zwang die Tschuwaschen, Christen zu werden.

Vor gut 100 Jahren, zur Zeit der letzten Zaren, wurde die moderne tschuwaschische Schriftsprache geschaffen – von Ivan Jakowlew, einem Russen. Er gründete Schulen und übersetzte auch das Neue Testament (in der orthodoxen Liturgie noch im Gebrauch). Jedes Jahr im April wird Jakowlews Geburtstag in der Regional-Hauptstadt Tscheboksary gefeiert. Letztes Jahr hatte die Feier ein besonderes Glanzlicht – die neue Übersetzung der vier Evangelien in der Sprache, die den Tschuwaschen unter die Haut geht, erstellt von einem Team des Moskauer Instituts für Bibelübersetzung (IBT).

‚Das Wort Gottes bewahrt uns vor dem Untergang‘

Die tschuwaschische Kulturministerin Olga Denisova war zugegen, als ein Schauspieler aus Lukas 15 die Geschichte vom verlorenen Sohn vorlas. Ein orthodoxer Priester stellte einen aktuellen Bezug her, als er sagte: „Wenn man am Rand der Zerstörung steht, kommt das Wort Gottes und rettet uns. Es bewahrt uns vor dem Untergang. Ich bin überzeugt, dass während der 30 Jahre, in denen das IBT Übersetzungsarbeit geleistet hat, Menschen am Abgrund standen. Doch das Wort Gottes ist nun in ihrer Muttersprache zu ihnen gekommen, hat sie von der Zerstörung gerettet. Sie sind zum liebenden Vater zurückgekehrt, der sie mit grosser Freude aufgenommen hat.“

Von Stockholm nach Moskau

Das IBT wurde 1973 in Stockholm vom kroatischen Sprachwissenschaftler Boris Arapovic gegründet. Es hat seinen Sitz nach dem Zerfall des Sowjetreichs Anfang der 90-er Jahre nach Moskau verlegt. Durch seine Präsenz in der Hauptstadt kann das Institut bessere Beziehungen zu Vertretern der orthodoxen Kirche aufbauen.

Die Qualität der Arbeit der Sprachforscher wird geschätzt: Im April 2002 wurde das IBT vom russischen Wissenschaftsministerium akkreditiert, als wissenschaftliche Organisation anerkannt. Damit können die IBT-Experten in staatlichen Forschungs- und Bildungsprogrammen mitwirken. Auch die Beziehungen zu den Akademien der Wissenschaften in Tatarstan und Dagestan (Kaukasus) wurden intensiviert.

Andere Zukunftsperspektiven mit der Bibel

Das Volk an der Wolga ist nur eines von Dutzenden von grösseren Völkern, denen die Zaren und im 20. Jahrhundert die Kommunisten eine eigenständige geistige Entfaltung verwehrten. Für die Erneuerung der Kultur der Tschuwaschen und einen Neuanfang inmitten der tiefen sozialen Krise Russlands können Worte geistlichen Lebens, wie sie in den Evangelien stehen, eine gewaltige Bedeutung erlangen.

Die Worte des Geistlichen und des Bibliothekdirektors deuten an, wohin die Reise gehen könnte – wenn die herausfordernden und Mut machenden Worte von Jesus von der Liebe und Güte Gottes unter die Leute kommen und beherzigt werden. Die Übersetzer sind übrigens mit den Tschuwaschen noch nicht fertig; das nächste Ziel ist die Herausgabe des ganzen Neuen Testamentes.

Zürcherin leitet das IBT

Das IBT in Moskau steht unter Leitung der Zürcher Linguistin Dr. Marianne Beerle-Moor. Ihre Mitarbeiter und die Teams vor Ort betreiben derzeit 70 Übersetzungsprojekte, zwei Drittel davon in Partnerschaft mit Spezialisten der Wycliff Bibelübersetzer und der Bibelgesellschaften. Nicht nur an der Wolga, in den Weiten Sibiriens und des russischen Fernen Ostens (bis hin zu den Korjaken der pazifischen Halbinsel Kamtschatka!) sind Übersetzer an der Arbeit, sondern auch in Mittelasien und im Kaukasus.

Einige Projekte laufen im europäischen Norden: Im Mai 2003 erhielten 40'000 Karelier, ein den Finnen verwandtes Volk, das erste Neue Testament in ihrem Olonez-Dialekt. „Dies ist ein grosser Tag für uns – wir haben das Buch der Bücher in unserer Sprache! Für das geistliche Leben in unserer Republik und für die karelische Sprache wird es eine Renaissance geben“, hiess es an einer Feier.

Neue Bibel für die Georgier...

Im Jahr 2002 wurden laut dem IBT-Jahresbericht insgesamt 24 Übersetzungen abgeschlossen. So erhielten die vier Millionen Georgier eine neue Bibel – die erste wirklich neue Übersetzung der Heiligen Schrift seit dem 11. Jahrhundert! IBT-Leute besorgten den Ausgangstext; Vertreter der Bibelgesellschaft halfen ihn durchsehen und verbessern.

15'000 Exemplare der neuen Bibel liess man in Italien (!) drucken. Für das stolze Volk, das sich seiner langen christlichen Geschichte rühmt, aber politisch wie wirtschaftlich tief in der Krise steckt, reicht diese Auflage nicht weit. Die 500'000 Neuen Testamente, die vor Jahren in die Buchhandlungen kamen, waren rasch verkauft.

...und mehr Evangelium für die unruhigen Völker im Kaukasus

In der Region des Kaukasus, zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer, sind die Hürden für den Fortschritt der Übersetzungsarbeit besonders hoch: Die Teams haben es zu tun mit Menschen in Bergdörfern, die sich seit Generationen abgeschottet haben, um mit ihrer Eigenart zu überleben. Im letzten Jahr wurde das Markus-Evangelium in der Sprache der 360'000 Darginer gedruckt – der erste Bibelteil überhaupt in der Sprache dieses kaukasischen Volks in Dagestan, das sich aus verschiedenen islamisch geprägten Bergstämmen zusammensetzt.

Unter den Darginern lebten vor zwanzig Jahren keine aktiven Zeugen des Evangeliums – nun haben sie in ihrer Sprache das Jesus-Portrait des Markus. Das IBT ist auch an der Übersetzung der Bibel in die Sprache der Tschetschenen beteiligt.

Finanzkrise bedroht das IBT

Im November feiert die Organisation, der Pionier der Übersetzungarbeit unter nicht-slawischen Völkern im GUS-Raum, sein 30-jähriges Bestehen. Doch die weitere Arbeit des Instituts und seiner Teams ist gefährdet durch arge Geldnöte. In den letzten Jahren haben sich die nordischen Kirchen, die zu Beginn den grössten Teil der Mittel gaben, zurückgezogen. Die Institutsleiterin Marianne Beerle-Moor sucht dringend Sponsoren für die weitgespannte Tätigkeit, die durch neue Anfragen weiter wächst – wachsen sollte.

Das tiefe russische Lohnniveau ermöglicht, aus den zur Verfügung stehenden Mitteln sehr viel herauszuholen: In den letzten Monaten standen für die 70 laufenden Projekte samt allen Personal-, Reise- und Infrastrukturkosten monatlich bloss 35'000 Dollar zur Verfügung – eine Summe, mit der das IBT irgendwie überlebt, seine Aufgabe aber nicht erfüllen kann, wie Marianne Beerle-Moor gegenüber Livenet unterstreicht.

Das IBT in Moskau kann unterstützt werden durch Spenden an Tear Fund Schweiz, 8023 Zürich, PC 80-43143-0 (Vermerken: Bibelübersetzung – Projekt 2504)

Datum: 03.09.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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