Die Elfenbeinküste am Abgrund

Dominique de Villepin

Paris – Der französische Aussenminister Dominique de Villepin hat die Friedensverhandlungen für die Elfenbeinküste eröffnet mit dem Hinweis, sie müssten gelingen, da sonst ganz Westafrika in den Strudel des Konflikts geraten würde. Die Verhandlungen in Paris finden allerdings ohne den Mann statt, der im Zentrum des Streits steht: Staatspräsident Laurent Gbagbo, dessen sofortigen Rücktritt die Rebellen fordern, bemühte sich entgegen früherer Zusagen nicht in die Hauptstadt der ehemaligen Kolonialmacht, die in Westafrika weiterhin viele Fäden in der Hand hält.

Gbagbo, dessen Amtszeit erst 2005 ausläuft, wehrt sich gegen die Beschneidung seiner Macht, etwa in einer Koalitionsregierung. Er schickte seinen Premierminister zu den Gesprächen von sechs grossen politischen Parteien und drei Rebellengruppen. Am Montag hatten die zwei Gruppen, die im Westen der Elfenbeinküste operieren, mit der Regierung einen Waffenstillstand vereinbart.

Identitätskarte als Machtmittel

Die Regierung verlangt von den Rebellen, die Waffen abzugeben. Die grösste Rebellenbewegung MPCI, die den Norden des Landes kontrolliert, hält an ihrer Forderung nach Neuwahlen innert sechs Monaten für alle Einwohner des Landes fest. Der Regierung wird vorgeworfen, mit einer neuen Identitätskarte (nur für die, deren Eltern bereits Staatsbürger waren) eine grosse Zahl ihrer Gegner von der Urne fernhalten zu wollen.

Über 2‘500 französische Soldaten haben den Konflikt nicht beenden können; sie wurden bei der Überwachung von Waffenstillstandslinien mehrfach in blutige Scharmützel verwickelt. Damit steht das Prestige der Frankreichs auf dem Spiel.

Kinder am härtesten getroffen

Die humanitäre Lage in der für westafrikanische Verhältnisse reichen Côte d'Ivoire hat sich dramatisch verschlechtert. Das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR forderte dieser Tage die Regierung auf, keine Flüchtlinge mehr zu rekrutieren für ihre Streitkräfte. Allein aus dem Westen des Landes sind seit Ausbruch der Kämpfe im November fast 60‘000 Personen ins benachbarte Liberia geflohen, davon ein Drittel Einheimische.

Helfer befürchteten, dass unter 300 vertriebenen Kindern in der Hafenstadt San Pedro schwere Krankheiten wie Typhus, Meningitis und Cholera ausbrechen könnten. Es fehlt an Medikamenten. Das Welternährungsprogramm der UNO hat nicht genug Geld für die Flüchtlinge, deren Zahl mit 123'000 angegeben wird.

Christliche Gemeinden überfordert

Viele christliche Gemeinden in der Elfenbeinküste sind überfordert mit den Flüchtlingen vom Land, die aus Angst vor Plünderung und Mord in den Städten Zuflucht suchen. Sie haben weder die Räumlichkeiten, um sie unterzubringen, noch das Geld, um sie zu versorgen.

Christliche Missionen, darunter die schweizerisch-französische ‚Mission Biblique‘, haben im Herbst ihre Missionare evakuieren müssen. Am Wochenende treffen sich die Leiter der Mission und die Mitarbeiter zur Besprechung des weiteren Vorgehens.

Hetze gegen Ausländer

Laut dem staatlichen Fernsehen der Elfenbeinküste ist ein Sieg über die Rebellen nur möglich, wenn alle (!) Gastarbeiter aus Burkina Faso ausgeschafft werden. Im Land, das sich französisch ‚Côte d’Ivoire‘ nennt, leben über zwei Millionen Burkinabe, die wie andere Westafrikaner aus Ghana, Mali und Nigeria Arbeit suchten. Der Ausländeranteil in der Côte d’Ivoire (15 Millionen Menschen) überstieg zu gewissen Zeiten einen Drittel. Das Land galt jahrzehntelang als Hort der Stabilität in diesem Teil Afrikas und als Wirtschaftsmotor.

Die autoritäre Regierung des ersten Präsidenten Houphouët-Boigny gab den Ausländern zwar Jobs (das Land ist der grösste Kakaoproduzent der Welt), aber keine politischen Rechte, auch jenen nicht, die seit vielen Jahren im Land lebten. Dies rächte sich bitter nach dem Tod des Präsidenten 1993, als die wirtschaftlichen Probleme zunahmen.

Muslime ausgeschlossen

Der aktuelle Konflikt kann zurückverfolgt werden auf die Präsidentschaftswahl vom Oktober 2000, von der der frühere Premierminister Houphouët-Boignys Alasanne Ouattara, ein Muslim aus dem Norden des Landes, unter fadenscheinigen Vorwänden ausgeschlossen wurde. Seither ist das Misstrauen zwischen den christlich geprägten Bewohnern des Südens einerseits und den Muslimen im Land und jenseits seiner Grenzen anderseits gestiegen, zum Teil noch geschürt durch die herrschenden ivoirischen Politiker, die religiöse Emotionen schürten, um Anhänger hinter sich zu scharen.

Seit die Kämpfe Mitte September letzten Jahres begannen, sind viele Burkinabe attackiert und bedroht worden. Der senegalesische Präsident Wade sagte pointiert, sie würden viel ärger behandelt als Schwarzafrikaner in Frankreich. Die Regierung beschuldigte sie, die im Norden des Landes operierenden Rebellen zu unterstützen. Allerdings rief Präsident Gbagbo Anfang Oktober im Fernsehen die Einheimischen auf, auf Übergriffe gegen Fremde zu verzichten.

Die Côte d’Ivoire (etwa gleich viele Christen, Muslime und Animisten) und Burkina Faso (fast ausschliesslich Muslime) haben eine 900 km lange gemeinsame Grenze. Die Regierung von Burkina Faso hat eine Unterstützung der Rebellen bestritten, aber Sympathien aufgrund der Religion verbinden die muslimischen Burkinabe mit den Ivoirianern jenseits der Grenze.

Auf Plündertour im reichen Nachbarland: Kämpfer aus den letzten Bürgerkriegen

Laut der BBC haben die letzten vier Monate in der Elfenbeinküste „eine erschreckende Ähnlichkeit mit den Anfängen der Kriege in Liberia und Sierra Leone“. Damals tauchten neue Rebellengruppen mit alarmierender Regelmässigkeit urplötzlich aus dem Busch auf. Die Rebellen des neuen Konflikts werden von Kämpfern der früheren, mit grösster Mühe beigelegten Bürgerkriege unterstützt.

Der Generalkonsul der Côte d'Ivoire in Liberia hat die beiden Regierungen am Montag aufgerufen, miteinander für den Abzug der liberianischen Söldner aus dem Konfliktgebiet zu sorgen. Dabei verneinte er, dass die liberianische Regierung die Rebellen unterstütze, wie ein ‚grundloses‘ Gerücht wolle. Er forderte die liberianischen Behörden auf, alle Fahrzeuge mit ivoirischen Kennzeichen zu beschlagnahmen – so könne man der Neigung zum Plündern wehren.

Datum: 18.01.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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