Evangelische Christen in Indien

‚Alle Diskriminierung wegen der Kaste ausmerzen‘

Indien

Die sozialen Probleme Indiens sind eine gewaltige Herausforderung für die Christen, die allen Menschen die gleiche Würde zubilligen und dieses Prinzip in Taten umsetzen wollen. Die Christen, eine kleine Minderheit im Riesenland, haben im Bildungs- und medizinischen Bereich und in der Sozialarbeit Grosses geleistet. Vor dem Hintergrund der Globalisierung, die nach Indien hineinschwappt und Althergebrachtes umstösst, provoziert das christliche Bemühen um die Menschen Indiens noch verstärkten Widerstand: Seit Jahren unterstellen extreme nationalistische Hindus den aktiven Christen, sie entfremdeten durch ihre Schulen, Spitäler und Hilfsprojekte Inder ihrer angeborenen Kultur und drängten sie, Christen zu werden. Kirchen- und Hilfswerkleiter haben diesen Vorwurf immer zurückgewiesen, doch bleibt die millionenfach in Hass-Traktaten verbreitete Anschuldigung im Bewusstsein der Öffentlichkeit.

Die Indische Evangelische Allianz (Evangelical Fellowship of India EFI), ein bedeutendes Netzwerk evangelischer Gemeinden aus ganz Indien, hat nach einem Theologentreffen in Bangalore Anfang Dezember eine Erklärung veröffentlicht. Der Text befasst sich eingehend und selbstkritisch mit der Wahrnehmung des Christentums durch die Nicht-Christen im multikulturellen Land. Abgedruckt ist die Erklärung in der Januarnummer der EFI-Monatszeitschrift AIM.

An der viertägigen Konsultation wurden Hindus, Muslime, Neo-Buddhisten, Sikhs und Dalits (Kastenlose) angehört. Ihre Aussagen ergaben laut der Erklärung „eine verbreitete Wertschätzung für den Herrn Jesus Christus, seine Lehre und die Bibel“ und Respekt für die christlichen Efforts im Bildungs- und medizinischen Bereich. Der Einsatz von Christen für die Menschen am Rand, für ausgebeutete Frauen und Mädchen, werde hoch geschätzt.

Die Unterdrückten vielfach im Stich gelassen

Doch haben, so die Erklärung, die Christen Indiens bei allem Einsatz die Dalits, die Tribals (Stammesangehörige) und untersten Kasten vielfach im Stich gelassen: Personen aus diesen Volksschichten (zusammen über 600 Millionen Menschen – die Mehrheit der indischen Bevölkerung) seien nicht als Leiter anerkannt worden. Das Kastendenken präge nach wie vor manche Kirche und beeinflusse den Umgang von Christen miteinander. Der Schrei der Dalits nach Emanzipation sei zu wenig gehört und im ganzen sei zu wenig für die Bildung der Armen getan worden.

Indien: Ein Land, aber nicht eine Kultur

Die EFI-Erklärung bekräftigt im scharfen Kontrast zur Losung der nationalistischen Hindus, dass „Indien ein Land ist, aber nicht eine Kultur. Es hat ein Mosaik von Kulturen und Volksgruppen, welche gegenseitigen Respekt und Harmonie verlangen“. Die Christen „sind patriotische loyale Bürger Indiens“, und das Christentum „hat einen authentischen einheimischen Raum in Indien, in dem die Mitgliedschaft allen offen steht“. Den Indern muss die Freiheit erhalten bleiben, die Religion frei nach ihrem Gewissen zu wählen.

Die evangelischen Theologen weisen die arrogante Forderung des Hindu-Führers Sudarshan zurück, die Christen sollten nach den Vorgaben der Hindus ihre Heiligen Schriften anpassen (!) und sich in die uralte Hindu-Kultur einfügen. Die Christen bekräftigen, „dass der Christus des Evangeliums, der über den Kulturen steht, alle Kulturen mit seinem Massstab von Wahrheit, Liebe, Gerechtigkeit und Frieden misst“.

Die grundlegende Freiheit bewahren

Der Religionswechsel muss eine Option bleiben. (Der südindische Gliedstaat Tamil Nadu hat im letzten Oktober jeden Anreiz zum Religionswechsel, zur ‚Conversion‘, unter Strafe gestellt.) Ob Einzelne oder Gruppen Christen werden – dies sei als ihr Entscheid zu respektieren, schreiben die EFI-Theologen. „Wir erachten die Einladung zum Christwerden nicht als Verlockung, wenn Menschen nach Würde, sozialer Gerechtigkeit und einem besseren Leben verlangen.“

Die EFI-Erklärung enthält acht Empfehlungen, die auf ein kulturgemässes Leben und Verkündigen des Evangeliums zielen. Christen sollten den Hindus (Vegetariern) mit ihren Essgewohnheiten und der Kleidung keinen Anstoss geben, in ihren Gottesdiensten vermehrt einheimische Kultur zum Ausdruck kommen lassen und Laien mehr Mitwirkung ermöglichen. Weiter wird die tatkräftige Unterstützung der Dalits in ihrem Kampf für gleiche Chancen und Freiheit in allen Belangen gewünscht; dies schliesst die Eröffnung von mehr „quality schools“ für die Benachteiligten ein. Und: „Christen sollen alle Kasten-bezogene Diskriminierung in Kirchen und der christlichen Gemeinschaft ausmerzen; dies schliesst Gastfreundschaft, Heirat über die Kastengrenzen und die Zulassung (von Dalits; Red.) zum geistlichen Amt ein“.

Datum: 11.01.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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