Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen stösst bei Betroffenen auf Skepsis

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Stuttgart. Auf hehre Worte soll im «Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen 2003» verzichtet werden. Ziel der Kampagne ist es nach dem Willen der Europäischen Union (EU) vielmehr, die vielfältigen Formen von Diskriminierung, denen Behinderte immer noch ausgesetzt sind, aufzudecken und transparent zu machen. Dabei wollen die Initiatoren den Erfahrungsaustausch über bisher entwickelte beispielhafte Strategien auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene fördern.

Bei Menschen mit Behinderungen stossen solche Aktionsjahre jedoch nicht nur auf Begeisterung, sondern werden auch skeptisch gesehen. In Baden-Württemberg beispielsweise gibt es ganz unterschiedliche Einschätzungen.

Gottfried Storz, Geschäftsführer des Evangelischen Blinden- und Sehbehindertendienstes in Württemberg (Backnang), hat einen bissigen Kommentar parat: «Auf der Strecke bleibt der Mensch», sagt er. Das Jahr habe kaum begonnen, und schon herrsche bei seinen Mitgliedern Entsetzen über den Verlust des einzigen einkommensunabhängigen Zuschusses, des Landesblindengelds.

Gleichstellung und Arbeit, Gesundheit und Ethik, Barrierefreiheit und persönliche Assistenz sind Aktionsthemen, so die Nationale Koordinierungsstelle in Bonn. Nicole Musch, Sprecherin für über 900 Beschäftigte in den Heilbronner Beschützenden Werkstätten, hängt die Ziele allerdings tiefer: «Wir hätten gern etwas mehr Geld für unsere Wünsche und mehr unverplante Freizeit».

Obwohl sie in den Werkstätten arbeitet, muss Musch, die in einer eigenen kleinen Wohnung lebt, mit Sozialhilfesätzen auskommen. «Wir möchten trotz Behinderung weder am Arbeitsplatz noch in unserer Freizeit aussen vor stehen», formuliert die Werkstattratsvorsitzende die Wünsche ihrer Kolleginnen und Kollegen.

Aus Sicht von Elke Bartz, der an den Rollstuhl gebundenen Vorsitzenden des «Forum selbstbestimmtes Leben» (Berlin), war das Behindertenjahr 1981 ein Flop. «Behinderte Menschen waren damals nur Staffage vor der Bühne», sagt sie. Das soll jetzt anders werden. Die Betroffenen seien selbstbewusster geworden.

«Bis heute war Gleichstellung auch nicht verboten», zitiert Bartz leicht ironisch ein Ziel dieses neuen Aktionsjahrs. Sie möchte, dass Behinderung ganz selbstverständlich als eine Lebensform akzeptiert wird. Das sollte sich nicht nur auf später zugezogene Behinderungen wie ihre Querschnittslähmung beziehen. Bartz: «Mitleid ist out, ich möchte Solidarität».

Informationen zum Aktionsjahr im Internet unter www.ejmb2003.de

Datum: 07.01.2003
Quelle: Epd

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