Religiöse ziehen Geburt im Spital vor

«Götter in Weiss» und göttliches Vertrauen

Die Weihnachtsgeschichte ist nicht zuletzt eine Geburtsgeschichte. Genau genommen die Geschichte einer natürlichen Geburt. Was für damalige Verhältnisse derart selbstverständlich war, erscheint heute in einem anderen Licht.
Geburt
Mutter mit kind

Immerhin kommt in der Schweiz nahezu jedes dritte Kind per Kaiserschnitt zur Welt. Die Weihnachtsgeschichte bietet deshalb einen willkommenen Anlass, einmal der Frage nachzugehen, wie wir heute eigentlich mit dem Thema Geburt umgehen.

Mehr Möglichkeiten

Soll unser Kind daheim oder im Geburtshaus zur Welt kommen? Oder doch lieber im Spital? Soll es überhaupt eine Spontangeburt sein? Fragen, mit denen sich Maria und Josef seinerzeit bestimmt nicht herumschlagen mussten. Eine Geburt ergab sich, als Frau hatte man sich darin zu schicken und zu hoffen, dass alles gut ging.

«Sie gebar ihren erstgeborenen Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Raum für sie war.» So knapp äussert sich der Evangelist Lukas zur Geburt Jesu. Schade, zumal Maria als Gebärende wichtige Anhaltspunkte für jenen Entscheidungsprozess liefern könnte, dem sich alle schwangeren Frauen heute bei uns stellen müssen. Im Gegensatz zu Maria haben Frauen bei uns in der Schweiz heute die Wahl. Sie können sich im Normalfall bewusst entscheiden, wo und wie sie ihr Kind zur Welt bringen möchten.

Vertrauen in die Natur

«Heutzutage möchte man alles beeinflussen, unter Kontrolle behalten», bedauert Susanna Diemling, die seit 25 Jahren als freischaffende Hebamme arbeitet. «Dem Natürlichen seinen Lauf lassen, es aufmerksam begleiten und unterstützen, damit tun wir uns schwer.» Es gibt klar definierte Zeiträume rund um Schwangerschaft und Geburt. Das gilt beispielsweise für den Zeitpunkt, ab welchem man ein ungeborenes Kind als «übertragen» bezeichnet, aber auch für die verschiedenen Phasen einer Geburt und deren Dauer.

«Es ist nun nicht so, dass ich bei einer Geburt nur daneben stehe und bete», scherzt Susanna Diemling, die sich auf Hausgeburten in der Region Aarau spezialisiert hat. «Ich habe eine fundierte Ausbildung, langjährige Erfahrung und Hilfsmittel, mit denen ich die Gebärende unterstützen kann.» Überdies habe sie grosses Vertrauen in die «von Natur aus gesunden Vorgänge, welche eine Geburt herbeiführen». Dafür sei jede Frau grundsätzlich geschaffen. «Im Gegensatz zu früher gehen wir damit aber ganz anders um», meint Susanna Diemling.

War Maria allein?

Frauen wie Maria hatten keine Wahl, sie mussten die Geburt so nehmen, wie sie kam, mit allen möglichen Folgen, die nicht selten den Tod bedeuteten. Das unterstreichen die bescheidenen Verhältnisse, in denen Maria ihr Kind zur Welt brachte. Offensichtlich kein fliessendes Wasser, gemessen an heutigen Ansprüchen hygienisch unannehmbare Bedingungen. Möglich, dass Maria mit Jesus allein niederkam, einzig unterstützt durch ihren Mann. Vielleicht war da aber auch eine «Wehmutter» zugegen, welche der Gebärenden assistierte.

Früher waren das Frauen, die viele Geburten erlebt hatten, also über entsprechende Erfahrung verfügten. In der Bibel ist aber weder die Rede davon, wie lange Jesu Geburt dauerte, noch wie sie von statten ging. Auch erfahren wir nicht, wer allenfalls hinzu kam und Hilfe leistete.

Risiko natürlich Geburt

Matti Kuronen, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Hirslanden Klinik, macht demgegenüber geltend, dass die Sicherheit von Mutter und Kind über allem stehen sollte. Grundsätzlich sei es wünschenswert auf natürlichem Wege zu gebären, doch sollte dies wie bei jeder anderen medizinischen Handlung unter Abwägung der Risiken geschehen.

«Ich möchte nicht hinnehmen müssen, wie infolge einer natürlichen Geburt Mutter oder Kind eine schwerwiegende Verletzung erleiden, nur weil sich fundamentalistische Ansichtsweisen gegen den gesunden Menschenverstand sperren», argumentiert Matti Kuronen, selbst Vater zweier Kinder. «Ist es denn verfehlt, wenn heutzutage dank wissenschaftlicher Erkenntnisse Risiken vorausgesehen und minimiert werden können?»

«Wehen tun weh»

Die klinische Geburtshilfe bedient ein grosses Bedürfnis nach Sicherheit und Berechenbarkeit. Frauenarzt Matti Kuronen will aber nicht von einem «Trend hin zum unnatürlichen Gebären» sprechen, wie es die Medien tun. «Im Trend liegt, dass medizinische Fortschritte konsequent genutzt werden, um die Sterblichkeitsrate wie auch die Verletzungsgefahr von Mutter und Kind zu senken. Dies entspricht der Anspruchshaltung der Patientinnen», so der Geburtsmediziner.

Spitäler stellen aber auch in Aussicht, die hohe körperliche und seelische Belastung abzuschwächen, welche eine Geburt mit sich bringt. «Wehen machen weh. Es ist doch nur menschlich, Schmerzen zu bekämpfen, wo dies möglich ist», so Matti Kuronen. Mit geeigneten Schmerzhemmern könne gar der natürliche Geburtsverlauf günstig beeinflusst werden.

Geburt als Grenzerfahrung

Schon die Bibel zeigt, wie bei einer Geburt die jenseitige Welt der irdischen nahe kommt. Jesus wird geboren und plötzlich sind da Engel, welche die in nächster Umgebung befindlichen Hirten aufschrecken lassen. Eine spirituelle Dimension, die auch Susanna Diemling kennt. «Mich haben schon Frauen unter der Geburt gefragt, ob sie denn jetzt sterben müssten.» Geburt bedeutet Grenz- und Schwellenerfahrung. Wo ein Mensch ins irdische Leben tritt, da rücken die jenseitige Welt und der Tod näher.

Das war früher noch viel ausgeprägter erfahrbar, denn nicht selten starben Frauen und Kinder bei der Geburt. «Das hat sich Gott sei Dank geändert. Dafür geht vielen Frauen die Geburt als wichtige Grenzerfahrung abhanden», meint Susanna Diemling. «Natürlich muss die Frau grosses Vertrauen in sich selbst, in ihren Körper und ihre Kräfte haben. Doch unter einer natürlich verlaufenden Geburt erlebt sich jede Frau verankert in etwas Gütigem. Dieses trägt durch den anspruchsvollen Prozess.»

Lieber im Spital

Umso erstaunlicher, dass religiös geprägte Frauen nicht unbedingt zur Klientel von Susanna Diemling gehören und in den meisten Fällen eine Geburt im Spital vorziehen. «Da frage ich mich schon manchmal, wie es denn da um das Gottvertrauen bestellt ist», meint die 52-Jährige. Gottvertrauen? Ja, genau auf das wird Maria sich vor zweitausend Jahren im Stall zu Bethlehem gestützt haben. Etwas anderes blieb ihr auch nicht übrig. Wie erwähnt, den Kreissaal mit den Göttern in Weiss gab es noch nicht.

Datum: 20.12.2011
Quelle: Kipa

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