"Die Reform des Kapitalismus - Zwischen Bin Laden und der Antiglobalisierung"

Ist Bin Laden ein Handlanger von Bush?

London. Die in London erscheinende Tageszeitung al-Hayat veröffentlichte kürzlich einen Artikel von Hazem Saghiyeh über die Auseinandersetzungen um die Folgen der Globalisierung und die Anschläge vom 11. September. Saghiyeh geht darin auch auf die Widersprüche der Antiglobalisierungsbewegung ein:

„Der Kapitalismus hat eine Reform nötig“, dies ist seit den jüngsten Skandalen um amerikanische Firmen eine gängige Forderung. Aber wer wird ihn reformieren? Oder besser gesagt, wer zwingt ihm die Reform auf?

Alle anderen Themen verdrängt

Die britische Financial Times schrieb vor kurzem: ‚Es gab in der letzten Zeit niemanden, der der Liberalisierung des Handels mehr diente als Usama Bin Laden.' Stimmt, und warum? Weil er es George Bush, dem schlechtesten Vertreter dieses schlechten Kapitalismus, ermöglichte, mit seiner Sicherheitsagenda alle anderen Themen zu verdrängen.

Vor einem Jahr, in dem viel geschehen ist, demonstrierten während des Gipfels der G-8 Staaten 250 000 Menschen in Genua. Es gab Zusammenstösse mit der Polizei, Gewalt und Unruhen. Im vergangenen März demonstrierte während des EU-Gipfels die gleiche Anzahl in Barcelona, diesmal jedoch friedlich. Dies war nicht der einzige Unterschied (zwischen den Demonstrationen), und auch nicht der wichtigste: Der wichtigste Unterschied bestand darin, dass die Medien die letzte Demonstration ignorierten. Nach dem 11. September war es mit der Mobilisierung und der regen Beteilung bei Aktionen auf der Strasse vorbei. Selbst wenn diese stattfanden, erregten sie nicht mehr soviel Aufsehen wie zuvor.

Selbst für diejenigen, die behaupten, dass sie durch Gewalt die Aufmerksamkeit erneut auf sich ziehen könnten, war der 11. September eine Ohrfeige. Die einzige Gewalt, die heute die Vorstellungen der Menschen beherrscht, steht mit dem Terrorismus oder mit den Reaktionen auf den Terror in Verbindung.

Fäden im Hintergrund in Ruhe ziehen

Noch etwas: Mit oder ohne Gewalt, es ist schwer, ohne die amerikanischen (Globalisierungs-) Gegner, die durch die Schläge gegen die beiden Türme (des WTC) und das Pentagon gelähmt wurden, irgendeinen Widerstand aufrecht zu erhalten. Zudem wählen die Vertreter des Kapitalismus ihre Versammlungsorte mittlerweile weit ab vom Zorn, oder dort, wo sie für ihn uneinnehmbar sind. Die letzten Gespräche der Welthandelsorganisation fanden in Doha, Qatar, statt. Das letzte Treffen der G-8-Staaten war im abgelegenen Kananaskis in Kanada.

Denjenigen, die sich auf die Massenbewegung der Sechziger Jahre berufen, die ihren Höhepunkt während der Protestaktionen gegen den Vietnamkrieg hatte, entgeht, dass die derzeitige Bewegung mit ihrer Kampagne gegen den Afghanistan-Krieg nur Niederlagen erleben wird. Das ist nicht nur auf die - bisher zumindest - unterschiedlichen Konsequenzen (der Kriege in den eigenen Ländern) zurückzuführen, sondern ist auch Folge einer anderen Wahrnehmung der Gerechtigkeit dieser beiden Kriege.

Daher: Angesichts der jetzigen Krise, die die Frage nach einem ‚New Deals' aufwirft und in der einige - mit etwas Übertreibung - einen Zusammenhang zur derzeitigen Krise in Argentinien und den möglichen Krisen in Brasilien und Japan ausmachen, sehen wir die Rechte im Westen erstarken. Es gibt nur drei sozialistische und sozialdemokratische Regierungen in Europa: In Deutschland, wo sie wahrscheinlich abtreten muss, in Schweden und in Grossbritannien! Und George Bush ist trotz der Rückschläge immer noch populär und in den Umfragen weit vorn.

Das andere Problem ist, dass eine Reform des Kapitalismus verlässliche Kapitalisten erfordert: Die Bewegung der Globalisierungsgegner, deren Beginn mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Blockes zusammenfiel, hat die Chance verpasst, (solche Kapitalisten zu gewinnen). Statt aus dem Zerfall des sozialistischen Lagers eine Lehre zu ziehen und herauszustellen, dass eine ‚Reform des Kapitalismus' notwendig ist, anstatt eine ausgewogene Haltung einzunehmen, ähnelt sie im Ergebnis letztlich der globalisierungsfreundlichen Haltung Europas (Kyoto, Schulden). Der Geist der Bewegung wird auf ihre Anfänge zurückgeworfen.

Es ist richtig, dass sich die Aktionsformen (der Globalisierungsgegner) ebenso wie deren Gesichter und ‚Stars' unterscheiden. Zum Beispiel waren die Globalisierungsgegner in Grossbritannien Produkt der trotzkistischen sozialistischen Arbeiterpartei. Susan George, die Initiatorin der europäischen antikapitalistischen Organisation Attak spricht viel von der alten Linken. Einige politische und intellektuelle Patriarchen wie Tony Bin (?) in Grossbritannien und Noam Chomsky in den USA erteilten ihr ihren Segen und wurden zu Vorreiter der Bewegung.

Die Zersplitterung und die Rückschläge, die die Linke seit dem Zerfall des sowjetischen Kommunismus und seit dem Aufstieg Reagans und Thatchers erlitten hat, regt eine eingehende Revision an. Es würde dem Verhalten von Stämmen ähneln, würde man sich nach der Zersplitterung gleich wieder um einen Zusammenschluss bemühen.

Doch nicht nur das. Anstatt Druck auszuüben, um den Ungehorsam des Marktes im Kapitalismus zu kontrollieren, herrscht ein ökonomischer Ungehorsam der neuen Art. Die Demokratien sind für ihre Kritiker nur noch ‚Totalitarismen zur Unterweisung der Massen'. Alles wird anhand dieser behaupteten ökonomischen Totalitarismen interpretiert. Die (gesellschaftlichen) Strukturen und die politischen und kulturellen Traditionen werden (in diesen Interpretationen) erneut verkürzt erklärt.

Die (intellektuellen ?) Anforderungen sind gross, besonders für jene, von denen man immer noch verlangt, dass sie über die untergegangen realen Totalitarismen nachsinnen und zu ihnen Position beziehen. Gross sind die Anforderungen auch für diejenigen, die bis zur Inhaftierung des Italieners Antonio Gramsci über keine politische Theorie verfügten. In der Konfrontation zwischen dem finanziellen Fundamentalismus des McWorld und dem religiösen Fundamentalismus des Jihads (dem barbarischen Doppel) verschwand der Platz für den ruhigen und vernünftigen Austausch von Interessen.

Es muss aber auch darauf hingewiesen werden: Die Antiglobalisierungsbewegung wurde als Gefangene ihrer Widersprüche geboren, was ihre Entscheidungsfähigkeit erschwerte. Konflikte liegen in der Natur der Bewegung selbst; Konflikte, die unter dem Dach der Antiglobalisierung immer möglich sind. Denn was ist der gemeinsame Nenner zwischen den seriösen Themen und den modischen der Bewegung? Zwischen jenen Anhängern, die den Kapitalismus reformieren möchten und jenen die seine Zerstörung propagieren? Zwischen jenen, die nach einer nationalen und rassistischen Vergangenheit suchen und solchen, die eine Zukunft mit undeutlichen Konturen verkünden? Zwischen den gewalttätigen Chaoten und den nicht gewalttätigen? Wie wäre es möglich, so wie es einige fordern, ein Bündnis mit den Gewerkschaften einzugehen, trotz der vielen Differenzen bezüglich der Arbeit und der Einwanderung, oder über die Industrialisierung und die Protektion?

Dilemma der Interessen

Hinter diesen Konflikten steckt ein tieferes Problem: Die Globalisierung als Bewegung des Kapitals (und der Ideen) überschreitet die Grenzen der Nationalstaaten, (womit sie diese schwächt). Der Widerstand gegen die Globalisierung ist jedoch auch eine Bewegung von Menschen, die mit dem Nationalstaat frontal zusammenstösst. Dieser Konflikt beschränkt sich nicht auf die Konfrontation mit der Repression seitens der Behörden. Er bedeutet auch das Entstehen und Auftauchen von Interessenskonflikten in der grossen Anhängerschaft der Globalisierungsgegner.

Im Sicherheitsklima nach dem 11. September sind diese Konflikte besonders leicht hervorzurufen. Eine verschwörungstheoretische Analyse könnte jetzt zu dem Ergebnis kommen, hinter Bin Laden verberge sich ein Handlager George Bushs."

Zur Diskussion zum Thema

Quelle: The Middle East Media Research Institute (MEMRI) - www.memri.de

Datum: 12.08.2002

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