Lehrplan 21

Wenn Mütter politisch werden...

Am 4. März wird in den Kantonen Zürich und Bern über eine demokratische Mitsprache zum Einsetzen von Lehrplänen abgestimmt. Für die Initiantin Rahel Gafner kam das politische Engagement überraschend.
Rahel Gafner

Rahel Gafner (45) lebt in Beatenberg. Sie ist verheiratet und Mutter von einer Tochter und vier Söhnen. Sie ist leidenschaftliche Vollzeitmutter, pflegt ihren Garten, zwei Esel und Hühner.

Erfahrungen mit der Volksschule

Rahel Gafner schickte ihre Kinder immer gerne in die Schule auf dem Beatenberg. Mit den Lehrpersonen steht sie in gutem Verhältnis und konnte ihre Fragen immer offen stellen. Beunruhigt war sie jedoch über die Entwicklung der Lernweise beim Französischunterricht. Die Schülerinnen und Schüler wurden mit viel weniger Anleitung unterrichtet. Sie wurden angeleitet, selbständig grammatikalische Regeln herauszufinden. «Für viele Kinder ist das schlicht eine Überforderung», hält Rahel Gafner fest. «Und letztlich sind es vor allem schwächere und unsichere Kinder, die auf der Strecke bleiben». Dass selbständiges Lernen ohne Erweis eines Erfolgs auch in anderen Fächern angewandt werden soll, ist beunruhigend.

Lehrplan 21 kommt zur Sprache

Oft tauschte sich die fünffache Mutter mit Freundinnen über die Schulsituation ihrer Kinder aus. Dabei kamen die Veränderungen im Schulbetrieb und irgendwann auch das Thema Lehrplan 21 zur Sprache. Es dauerte nicht lange, bis sie Negatives über den geplanten Lehrplan zu Ohren bekamen. In der Folge begannen sich die Mütter vertieft mit dem Lehrplan 21 auseinanderzusetzen. Sie erfuhren, dass in anderen Kantonen Initiativen lanciert wurden, um über den umstrittenen Lehrplan abstimmen zu können. Schon bald konnten auch im Kanton Bern engagierte Personen für eine Berner Initiative gewonnen werden.

Ein Lehrplan betrifft das ganze Volk

Als Mutter ging es Rahel nicht primär darum, den Lehrplan 21 zu bekämpfen. Sie und andere Mütter begannen sich aber Gedanken darüber zu machen, in welche Richtung sich die Schweizer Volkschule entwickelt. Sie kamen zum Schluss, dass sie einen Beitrag leisten wollten, diesen Trend aufzuhalten. Eine Sache störte sie in besonderer Weise: Der alleinige Entscheid des kantonalen Erziehungsdirektors, einen Lehrplan einzusetzen. «Ein Lehrplan betrifft alle Schüler und damit die ganze Gesellschaft», hält Rahel Gafner fest. «Deshalb sollte ein Lehrplan durch den Grossen Rat, welcher das Volk repräsentiert, genehmigt werden.» Bildung ist ein Auftrag der Gesellschaft an die Schule. Die Gesellschaft finanziert und soll auch mitbestimmen.

Rund um den Lehrplan 21 wurde viel Kritik geäussert – und dies gerade auch von Erziehungswissenschaftlern, Professoren und Lehrern. Im Gegensatz zur verbreiteten Volksmeinung sind auch viele dieser Kritiker politisch links ausgerichtet. Deshalb soll der Lehrplan 21 rückwirkend durch den Grossen Rat eingesetzt oder zurückgezogen werden.

Warum Initiantin?

«Ein politisches Engagement habe ich nie gesucht», gibt Rahel Gafner an. Viele Personen, die sie kontaktierten, signalisierten gleich auch Bereitschaft zur Mitarbeit für eine Initiative. «Alle Türen standen einfach offen!» Und so nahm die Sache ihren Lauf. «Für mich war es interessant zu sehen, wie einfache Bürger eine Initiative starten können.» Als bekannt wurde, dass im Kanton Bern eine Initiative zur Mitbestimmung bei Lehrplanfragen lanciert wird, wurde in den Medien vor dem «christlich konservativen Hintergrund» der Initianten gewarnt. Dabei sind nicht alle Mitglieder des Komitees bekennende Christen. Rahel Gafner: «Auch jetzt, während dem Abstimmungskampf, wird meine Glaubenseinstellung oft negativ erwähnt. Mitglieder unseres Komitees wurden schon auf die Gefahren des christlichen Hintergrunds angesprochen. Das gibt mir zu denken.»

Familienanliegen

In der Familie Gafner wurde rege über das politische Engagement ihrer Mutter diskutiert. Bald wurde ihr Anliegen von allen geteilt. «Es motivierte mich, dass die Initiative zu einer Familienangelegenheit wurde.» Die Kinder sind zwischen 14 und 21 Jahren alt. Alle fieberten mit und packten nach persönlichen Möglichkeiten an. «Für meine Kinder ist dieser Prozess so etwas wie 'Staatskundeunterricht live'. In den letzten Jahren des Engagements haben sie dadurch sehr viel gelernt.»

Zeitgleiche Initiativen in den Kantonen Zürich und Bern

Zeitgleich zum Kanton Bern wurde auch im Kanton Zürich eine ähnliche Initiative lanciert. Im Laufe der Zeit entstand ein guter Austausch zwischen den verschiedenen Komitees. Der Verein «Eltern für eine gute Volksschule» bringt Menschen aus verschiedenen Kantonen zusammen. Über diese Plattform geschieht ein wichtiger Informationsaustausch. Für Rahel und ihre Mitstreiterinnen war es auch immer wieder motivierend zu sehen, dass sie in ihrem Anliegen nicht alleine waren.

Erhalt guter Beziehungen

Rahel Gafner betont: «Ich glaube, dass eine gute Beziehung zwischen Lehrperson und Schülern wichtig ist. Wenn die Lehrperson zu jüngeren Kindern sagt: 'Du musst das selbst herausfinden!' fühlen sich viele Kinder im Stich gelassen.»

Besonders in den unteren Schuljahren ist die Beziehung zu einer erwachsenen Lehrperson zentral wichtig. «Die Klassengemeinschaft soll unbedingt erhalten werden. Junge Menschen brauchen Beziehung für ihre Reifung und ein erfolgreiches Lernen.» Und genau diese Werte sieht Rahel in der Entwicklung der Volksschule bedroht.

 

Weitere Infos

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Datum: 16.02.2018
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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