Er rettete 800 Juden

«Gino der Schreckliche» wurde zum «Gerechten unter den Völkern»

Die Auftakt-Etappe des diesjährigen «Giro d'Italia» führt durch die Strassen Jerusalems. An der Route liegt auch die Holocaust-Gedenkstätte
Gino Bartali
Gedenkstätte Yad Vashem

«Yad Vashem». Darin wird u. a. dem dreifachen«Giro»-Sieger Gino Bartali gedacht. Mit seinem Rennrad rettete er 800 Juden indem er im Fahrzeugrahmen Dokumente schmuggelte. Dafür wurde Bartali als «Gerechter unter den Völkern» gewürdigt.

Am 4. Mai 2018 startet der Giro d’Italia erstmals in seiner 101-jährigen Geschichte ausserhalb Europas: Die erste Etappe, ein Zeitfahren, findet in Jerusalem statt und ist der italienischen Radsportlegende Gino Bartali (1914-2000) gewidmet.

«Ginettaccio» wurde er genannt. «Gino der Schreckliche», wegen seiner Zermürbungstaktik in den Bergetappen. Bartali gewann dreimal den «Giro d'Italia» und zweimal die «Tour de France». Und wäre das sportliche Europa während des Zweiten Weltkriegs nicht für etliche Jahre zum Stillstand gekommen, so würde sich sein Palmarès weit üppiger lesen. Auch nach dem Unterbruch riss sein Erfolg nicht ab. So entschied Bartali etwa die «Tour de Suisse»-Rennen von 1946 und 1947 für sich.

 Einer von 30'000

Die Strecke in Jerusalem führt an der Holcaust-Gedenkstätte «Yad Vashem» vorbei. 2013 wurde Gino Bartali hier posthum als «Gerechter unter den Völkern» geehrt. In dem Museum wird der sechs Millionen Juden gedacht, die unter den Nationalsozialisten ermordet wurden. Zudem wird an Nicht-Juden erinnert, die versuchten jüdische Mitmenschen vor den Faschisten zu retten. Bis heute wurden rund 30'000 «Gerechte» gewürdigt.

800 Juden gerettet

1914 in Florenz geboren, war der tiefgläubige Katholik Gino Baratli auch als «Il Pio», «der Fromme» bekannt. Er war Laienbruder im Karmeliterorden. 1943 bat ihn der florentinische Erzbischof Elia Dalla Costa, sich dem katholisch-jüdischen Wiederstand anzuschliessen, dem «Assisi-Untergrund», der 1985 durch einen gleichnamigen Spielfilm bekannt wurde.

Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen wurden auch in Italien Juden systematisch gesucht und deportiert. Bartali schmuggelte Dokumente und Passbilder oft mehrere hundert Kilometer zwischen Assisi, Florenz, Genua und Rom. Immer wieder fuhr er die 180 Kilometer zwischen Assisi und Florenz.

Durch Druckerpressen wurden aus Juden plötzlich Christen. Die neue Identität rettete sie davor, entdeckt zu werden. Da Bartali als Rad-Held täglich trainieren musste, schöpften die Kontrolleure an den zahlreichen Posten kaum Verdacht.

Schlauer Fuchs

Verschiedentlich wurde Gino Bartali angehalten. Die Schergen wollten Sattel oder Lenkergabel abmontieren – dort in den Rohren des Velo-Rahmens waren die Dokumente versteckt. Doch Bartali erklärte, dass das Rad äusserst ausgeklügelt eingestellt sei und dass daran auf keinen Fall etwas verstellt werden dürfe. Es sei perfekt justiert und minime Änderungen würden eine Katastrophe bedeuten. Angesichts seiner beiden «Giro»-Siege trug seine Argumentation. Jeder kannte Gino.

Bis zum Ende des Krieges rettete Gino Bartali auf diese Weise 800 Juden vor dem sicheren Tod. Zudem kundschaftete er mögliche Fluchtrouten aus. Weil er nicht immer anhielt, wurde auch auf ihn geschossen.

Daneben versteckte Bartali bei sich daheim im Keller eine jüdische Familie – und einmal soll er gar mehrere Flüchtlinge in einem Anhänger über die Grenze in die Schweizer Alpen transportiert haben. Mit dem Rad. Die Begründung: «Trainingszwecke», das Zusatzgewicht sollte seine Leistung in den Bergen verbessern – wer hätte da «Gino dem Schrecklichen» wiedersprechen können?

Bescheidener Ehrenbürger

Von seinen Aktionen erzählte er nur seinem Sohn Andrea Bartali. Dieser musste versprechen, dass er bis zum Tod seines Vaters schweigen würde. Gino starb im Jahr 2000 im Alter von 85 Jahren. Er beteuerte stets, nicht als Held gefeiert werden zu wollen.

«Wirkliche Helden sind andere», habe er jeweils gesagt. Jene die für ihre Lieben im Herzen, im Geist und den Gedanken gelitten hätten. «Ich bin nur ein Radfahrer.»

Einer der jedoch unvergessen bleibt. Am 22. April 2018, kurz vor dem Tour-Start wurde Gino Bartali auch noch zum Ehrenbürger Israels ernannt. 

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Datum: 03.05.2018
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet / Blick / Der Standard / Jüdische Allgemeine

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