Kinderbuch über Integration

«Angekommen!» – über das Leben nach der Flucht

«Vier Kinder erzählen von ihrem ersten Jahr in Deutschland». Auf 124 Seiten begleitet Hanna Schott Kinder, die aus unterschiedlichen Regionen der Welt nach Deutschland gekommen sind. Zahlreiche liebevolle Illustrationen von Volker Konrad ergänzen das Buch und machen es zu einem lesenswerten und kindgerechten Beitrag zum Thema Integration.
Flüchtlingskinder beim Deutschen-Kinderhilfswerk
Buchcover «Angekommen!» von Hanna Schott
Drei unbegleite minderjährige Flüchtlinge aus Syrien
Hanna Schott

Fernsehbilder von Flüchtlingsströmen sind die eine Seite der Zuwanderung und Asylsuche. Direkter und persönlicher erleben die meisten Kinder die Situation: Plötzlich sind da Neue in ihrer Schule, im Sportverein oder auf der Strasse. Wo kommen sie eigentlich her? Weshalb wohnen sie jetzt hier? Was spielen, denken, glauben sie? Und wie fühlen sie sich in ihrer neuen Umgebung? Einfühlsam macht sich Hanna Schott auf die Suche nach Antworten. Vier Kinder begleitet sie durch ihr erstes Jahr in Deutschland und schaut ihnen über die Schulter. Dabei notiert sie aus der Perspektive der Kinder, was ihnen gefällt, was sie vermissen und was sie sich wünschen.

Kinder, für die alles neu ist

Das Buch enthält vier Kapitel. In jedem stellt Hanna Schott ein Kind vor. Eine bestimmte Reihenfolge brauchen die Leserinnen und Leser ab dem Grundschulalter nicht einzuhalten. So lernen sie Amir aus Syrien kennen, der mit Eltern und Geschwistern als Asylbewerber in einem Dorf in Bayern landet und dort seine Liebe für die Landwirtschaft entdeckt. Sie hören von der elternlosen Kidist aus Äthiopien, die als Kindersklavin bei einer reichen arabischen Familie arbeiten musste und fliehen konnte. Sie begleiten Yuna aus Japan, die mit ihren Eltern nach dem Unglück in Fukushima nach Düsseldorf ging, um dort neu anzufangen. Und sie lernen Boss kennen, einen Jungen aus dem Kosovo, der am liebsten geheim halten möchte, dass er ein Roma ist.

Im Anhang des Buches erklärt die Autorin, dass die Protagonisten nicht genau so existieren, wie sie sie beschreibt. Schon um sie zu schützen, hat sie Namen und Verhältnisse leicht angepasst. Doch «echt» sind sie allemal und Schott unterstreicht: «Solche Geschichten hätte ich mir gar nicht ausdenken können.»

Kultur, die greifbar wird

Auf eine sehr alltägliche und nahe Weise lernen Kinder beim Lesen, dass unsere westeuropäische Kultur nicht das Mass aller Dinge ist. Und wie fremd sich unser Alltag «von aussen» anfühlen kann. Dabei sind es die Kleinigkeiten, die das Ganze so schwierig oder auch liebenswert machen. Das gilt für das japanische Mädchen, das nicht verstehen kann, dass man in Deutschland nicht nur laut niest, sondern sich anschliessend auch noch vor anderen ausschnupft und dann das Taschentuch für jeden sichtbar wegsteckt. Und das gilt für den Roma-Jungen, dessen Eltern eine andere Auffassung von regelmässigem Schulbesuch haben als seine Lehrerin. Und die sich als Analphabeten mit dem anschliessenden Schreiben von Entschuldigungen sehr schwer tun. 

Andere geniessen es, in der Schule nicht mehr geschlagen zu werden. Oder freuen sich, dass Polizisten keine Bedrohung sind, sondern man sie freundlich begrüssen kann. Ja, hier wird Integration beschrieben, doch dieses grosse Wort wird den vielen kleinen Begebenheiten rund ums Essen, die Schule und das Einrichten der neuen Wohnung irgendwie nicht gerecht. Dabei ist das Buch realistisch genug, dass es bleibendes Heimweh und auch Unverständnis gegenüber manchen Bräuchen nicht ausblendet.

Glaube, der dazugehört

«Angekommen!» ist kein explizit christliches Buch. Weder ruft es zur Mission der Neuankömmlinge auf, noch endet es mit deren Bekehrung. Wer das Buch als Christ liest, kommt aber automatisch an den Punkt, wo er sich fragt: «Was erwartet Gott von mir? Wie soll ich mich verhalten? Wo kann ich mich engagieren?» Ausserdem unterstreichen die vier Geschichten einen Aspekt, der uns in Westeuropa selten so bewusst ist: Religion ist etwas Selbstverständliches. Die Christin Kidist sucht gern Kontakt zu anderen Gläubigen, um mit ihnen Gottesdienst zu feiern – und die eigene Sprache zu hören. Amir als Muslim tut sich mit der Bedeutung von Ostern schwer: Geht es dabei nun um Jesus oder um diese Schokoladenhasen, die es in jedem Geschäft gibt? Und die japanische Yuna wundert sich, dass wochenlang alle von Weihnachten reden, aber am 24. Dezember alle in ihren Häusern verschwinden und das Fest dann plötzlich vorbei ist. Ob es ein geheimes Fest ist?

«Angekommen» ist leicht zu lesen und gut verständlich. Es wird dem Denken und Empfinden von 8-12-Jährigen voll gerecht. Leichte Unterhaltung ist es trotzdem nicht, dafür gehen die (zurückhaltend erzählten) Hintergründe von Krieg, Versklavung und Ausgrenzung zu sehr unter die Haut. Doch überwiegen tun lustige Begebenheiten und die positive Perspektive der vier Hauptdarsteller. Das Beste am Buch ist aber, dass es trotz vieler Informationen so viele Fragen offen lässt und gleichzeitig neugierig macht auf andere Menschen und Kulturen.

Zum Buch:
Hanna Schott: Angekommen! Vier Kinder erzählen von ihrem ersten Jahr in Deutschland (Schweiz / Deutschland)

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Datum: 28.07.2016
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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