Mehr Nicht-Juden als Juden zwischen Jordan und Mittelmeer? – Israel vor einem „demographischen Wirbelsturm“

Int. Gerichtshof Den Haag
Mauer in Israel
hamas
Bashar Assad

Die UNO-Vollversammlung hat den Internationalen Gerichtshof in Den Haag um eine Meinung zum Bau der Sicherheitsmauer durch Israel gebeten. Den Haag soll prüfen, ob der Bau mit dem Völkerrecht vereinbar sei. Die EU-Länder und die Schweiz enthielten sich der Stimme, als über den Antrag der arabischen Staaten und der palästinensischen Delegation abgestimmt wurde. Er wurde mit 90 Ja und 8 Nein bei 74 Enthaltungen angenommen.

Sicherheitsmauer vor dem Internationalen Gerichtshof?

Der Schweizer Vertreter Pierre Helg sagte, die Eidgenossenschaft sehe die Mauer als Hindernis für einen Ausgleich an, aber ein derart hochpolitisches Thema solle nicht dem Gerichtshof vorgelegt werden. Israel will mit der bisher 144 Kilometer langen Absperrung verhindern, dass weitere palästinensische Selbstmordattentäter einsickern. In den Augen der Palästinenser kommt der Wall, der teilweise weit in das Westjordanland hineinreicht, dagegen einer Beschlagnahmung des Landes gleich.

Bereits nichtjüdische Mehrheit?

Auf dem gesamten Gebiet Israels, die Westbank und den Gazastreifen eingeschlossen, sind die Nicht-Juden bereits heute in der Mehrheit. Mit dieser Einschätzung alarmierte Amnon Sofer, Demograph an der Universität Haifa, am Dienstag die israelische Öffentlichkeit. Sofer bezog in seine Rechnung offenbar auch die hohe Zahl ausländischer Arbeiter in Israel und die nichtjüdischen Einwanderer ein.

Wieviele Palästinenser westlich der Sicherheitsmauer?

Die Behauptung, dass die Sicherheitsmauer bis zu 400'000 Palästinenser auf der israelischen Seite ‚einschliessen’ werde, wies Sofer als stark übertrieben zurück. Es würden höchstens 30'000 sein, sagte er Israel Radio. Aber eines sei klar: Wie immer die Einwanderung von Juden bis zum Jahr 2020 verlaufen werde (der zunehmende Antisemitismus in Westeuropa bewirkt in Israel, dass höhere Zahlen erwartet werden), würden „etwa sechs Millionen Menschen zur Bevölkerung hinzukommen – die meisten arme Palästinenser“. Sofer spricht in diesem Zusammenhang von einem „demographisch-ökologischen Wirbelsturm“, in den das Land eintrete.

Mehr Elend zu erwarten

Es macht den Anschein, dass die radikal-islamischen Kräfte unter den Palästinensern mit der demographischen Karte spielen und für ihre zum Teil auf engstem Raum lebenden Einwohner weitere Jahre des Leids und der Verelendung vorhaben. Sie tun dies im Wissen, dass die Armut die Geburtenrate hochhalten wird und die Perspektivlosigkeit der schlecht informierten und Gewalt gewohnten Bevölkerung ihnen ein grosses Reservoir an Kämpfern beschert. Der islamische Anspruch auf den Tempelberg in Ost-Jerusalem (den die von der Schweizer Diplomatie gelobte inoffizielle Genfer Vereinbarung unterstützt) erscheint als unlösbarer Kern des blutigen Konflikts.

Gefangen in der Gewaltspirale

Welche Macht die Gewalt über die Führer der Palästinenser hat, zeigte sich am Montag zum Abschluss fünftägiger Verhandlungen in Kairo: Die extremistische Hamas-Bewegung lehnte die ägyptische, von Arafats Fatah unterstützte Initiative einer Feuerpause ab. Dies war auch ein Schlag ins Gesicht von Arafats Regierungschef Ahmed Korei. Ein Hamas-Vertreter sagte, seine Organisation und vier weitere Palästinenser-Gruppen seien zu einer bedingungslosen Feuerpause nicht bereit. Ein Waffenstillstand ohne die Garantie Israels, ebenfalls Zivilisten zu schonen, sei inakzeptabel.

Die Hamas will weiterhin Siedler in der Westbank und im Gazastreifen terrrorisieren. Die erste ‚Hudna’ (befristete Kampfeinstellung) im vergangenen Frühjahr habe nicht die erwarteten Ergebnisse gebracht. Israel, das bei seinen Raketenangriffen auf Autos auch den Tod von Zivilisten in Kauf nahm, um führende Extremisten auszuschalten, hat eine derart begrenzte Waffenruhe abgelehnt.

Hamas-Führer: Weg mit Israel!

Die Hamas hat auch die palästinensischen Beteiligten an der Genfer Initiative scharf kritisiert. Ihr geistlicher Führer Scheich Ahmed Jassin sagte dem ‚Spiegel’, der Plan sei noch schlimmer als Oslo, weil er das Rückkehrrecht der geflüchteten Palästinenser fallen lasse.

Jassin hält eine Zwei-Staaten-Lösung nicht für umsetzbar. Ein Rückzug Israels auf die Grenzen von 1967 werde nicht funktionieren und sei nur eine Übergangslösung. Der Scheich bestreitet weiterhin das Recht der Juden auf einen jüdischen Staat im Land der Väter. "Sie können ja einen Staat in Europa gründen", sagte er dem deutschen Nachrichtenmagazin.

Muskelspiel der Hamas…

Mit dem Muskelspiel der Hamas gegenüber Arafat und seinem Regierungschef in Kairo könnten die Palästinensergebiete weiter Richtung Chaos abdriften, meint der Kommentator der Jerusalemer Zeitung ‚Haaretz’, Danny Rubinstein. Die fruchtlosen Gespräche in Kairo stärkten bei der israelischen Regierung den Verdacht, dass eine zweite ‚Hudna’ den Terror-Organisationen Vorteile bringen könnte.

…und ein überhörtes syrisches Gesprächsangebot

Dieselbe Zeitung wundert sich anderseits, dass Premierminister Sharon mit keinem Wort auf den Vorschlag des syrischen Präsident Assad einging, die abgebrochenen Gespräche wieder aufzunehmen: „Ist Israel wirklich interessiert, mit seinem Nachbarn im Norden zu einem Frieden zu gelangen?“ In der Vergangenheit habe man immer auf solche Angebote gehofft. „Die Palästinenser müssen einsehen, dass sie nicht der einzige Player im nahöstlichen Spiel mit Israel sind.“

Olmert ändert seine Meinung: „Besser spät als nie“

Derweil hat sich der frühere Jerusalemer Stadtpräsident und heutige Minister Ehud Olmert zu einer neuen Einschätzung der Siedlerfrage durchgerungen. Eine Reihe von Erklärungen gipfelte letzte Woche in einem Interview mit der Zeitung ‚Jedioth Achronoth’, in dem der Likud-Politiker sich dafür aussprach, auf den Grossteil der Territorien im Westjordanland zu verzichten. Israel solle diesen Weg „besser spät als nie“ gehen.

Die Zeitung ‚Haaretz’ führt Olmerts Gesinnungswandel auf seine Erkenntnis zurück, dass Israels Festhalten an den Gebieten die jüdische Bevölkerungsmehrheit bedroht. Doch, so der Kommentar, könne der jüdische Charakter des Staats mit einer Rückgabe von 70-80 Prozent der Gebiete nicht auf Dauer gesichert werden; dazu brauche es einen völligen Rückzug.

Auch innerhalb der palästinensischen – wie der jüdischen – Bevölkerung zeigen sich Verschiebungen und Entwicklungen, die keine stabilere Zukunft verheissen. Darüber mehr in einem Folge-Artikel.

Datum: 10.12.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

Publireportage
Werbung
Livenet Service
Werbung