Weltwirtschaftsforum

Bei Schulden von Joseph lernen

Der Ökonom Tomáš Sedláček stellte am Rande des Weltwirtschaftsforums WEF in Davos klar, dass die Weltwirtschaftskrise noch lange nicht überwunden ist. Immer noch favorisierte Wirtschaftsmotoren wie Wachstum stellt er vehement infrage. Stattdessen favorisiert er einen disziplinierten Umgang mit der Krise wie beim alttestamentlichen Joseph in Ägypten und eine Entpolitisierung der Geldpolitik.
Der tschechische Ökonom und Lehrer Tomáš Sedláček ist besonders durch sein Buch «Die Ökonomie von Gut und Böse» bekannt.

Während viele von einer überwundenen Wirtschaftskrise sprechen, stellt der Ökonom Sedláček in einem Interview mit dem Zürcher «Tagesanzeiger» fest: «Für mich ist die Krise erst zu Ende, wenn die Staaten ihren Schuldenstand auf das Vorkrisenniveau reduzieren können. Wachstumsraten wie zu Vorkrisenzeiten zu erzielen, genügt nicht. Wir sollten zurückzahlen, was die Krise uns gekostet hat. Das ist wie bei einem Autounfall mit einem geborgten Wagen: Man kann zu Fuss weitergehen oder den Zug nehmen – aber man ist die Sorgen erst los, wenn man den Schaden bezahlt hat.»

Sedláček vergleicht die wirtschaftlich labile Situation Europas mit der Geschichte von Joseph in Ägypten und den sieben fetten bzw. mageren Jahren. Er stellt heraus, dass einfaches Sparen ohne ausgefeilte Wirtschaftswissenschaften damals den Unterschied machte. Als Problem sieht er, «dass wir in einem Schuldenzeitalter leben» und Wachstum durch Schulden für normal halten. Ein diszipliniertes Verhalten wie bei Joseph würde im Gegensatz dazu dafür sorgen, dass «Staaten nicht mehr von den Banken Geld ausleihen, sondern die Banken … umgekehrt vom Staat borgen» würden.

Blick in die Geschichte

Seit Aristoteles sei praktisch jede Gesellschaft misstrauisch gegenüber der Zins- und Schuldenwirtschaft gewesen, denn deren Dynamik liess sich weder vollständig verstehen noch kontrollieren. Schulden seien nicht abzulehnen, aber Vorsicht sei angebracht. Und Sedláček ergänzt: «Es gibt noch immer keine Methode, um die richtige Risikoprämie für Staaten und Unternehmen beim Zins zuverlässig zu berechnen.»

Wachstum hat nicht die höchste Priorität

Der tschechische Ökonom verweigert sich der Priorität des Wachstums und weist Erwartungen, dass sich in ein paar Jahren alles normalisieren werde, zurück. «Wir sitzen gewissermassen in einem aufgemotzten Sportwagen mit viel zu starkem Motor. Dieser Wagen braucht nicht nur ein Gaspedal, sondern auch Bremsen.» Er unterstreicht dabei, dass seine Kapitalismuskritik nicht aus der Ablehnung komme, sondern nur Verbesserungen suche und empfindet das WEF in Davos als den richtigen Ort dafür: «Wenn jemand eine gute Idee hat, wie man die Welt verändern kann, dann ist hier sicher der Ort, um sie vorzustellen.»

Entpolitisierte Fiskalpolitik

Ein konkreter Vorschlag Sedláčeks ist es, «die Fiskalpolitik zu entpolitisieren und an eine unabhängige Institution zu delegieren». Damit solle nicht weniger, sondern mehr Demokratie und Kontrolle ermöglicht werden. Die Bürger sollten grundlegende Entscheidungen über die Höhe ihrer Steuern fällen können. Regierungen sollten so daran gehindert werden, weitere Schulden zu machen. «Die Selbstregulierung durch die unsichtbare Hand des Marktes funktioniert hier nicht. Wenn die Zinsen für ein bestimmtes Land steigen, ist es praktisch immer schon zu spät.» 

Sedláček resümiert, dass es Europa insgesamt besser gehe als den USA und Japan. «Themen wie der Naturschutz oder die Bankenregulierung verlangen nach globalen Regeln, über andere Dinge wie die lokale Infrastruktur entscheidet man besser in so kleinen Gebietskörperschaften wie möglich. Die Bedeutung der Europäischen Nationalstaaten wird dahinschwinden, ob wir dies wollen oder nicht. Ich bin ein grosser Fan der Europäischen Einigung: Dieser Prozess verläuft langsam aber stetig und ist in seiner Bedeutung vergleichbar mit der industriellen Revolution.»

Datum: 23.01.2018
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet / Tagesanzeiger

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