Empörungskultur

Wer ohne Schuld ist, stürze die erste Statue

Eine Schlinge um den Hals, dann wird mit lautem Getöse die Statue vom Sockel gerissen. Die Bilder häuften sich und Fragen rund um Sinn und Zweck dieser Aktionen befeuerten die Rassismus- und «Black Lives Matter»-Debatte zusätzlich.
Denkmalstürze häufen sich immer mehr, wie hier nach dem Tod von George Floyd in den USA (Bild: Screenshot Tagesschau)

Doch wo ist die Grenze zwischen Widerstand gegen Ungerechtigkeit und respektloser Empörungskultur, gerade auch in den digitalen Kanälen?Es ist berechtigt einzuschreiten, wenn Menschen anderer Volksgruppen diskriminiert oder Reiche auf Kosten der Armen zu reich werden. Und wenn sich auf Gesprächsebene nichts bewegt, ist eine Demo oder andere Handlung durchaus ein Werkzeug dazu. Und in den heutigen Tagen sehen wir, es liegt einiges im Argen – die Schöpfung seufzt. Aber besonders mit Äusserungen auf «Social Media» ist die Grenze dünn zwischen berechtigtem Anprangern und dem Hochmut, der Besserwisserei. Ein guter Umgang ist gefragt.

Ehre, wem Ehre gebührt

Am kommenden Wochenende sind die europäischen Tage des Denkmals. Bereits im Alten Testament begegnen uns vergleichbare Ereignisse, wie die Zerstörung des «Goldenen Kalbes», also eines Götzenbildes. Oder auch bei Paulus, welcher der griechischen Statue des «Unbekannten Gottes» eine neue, genauere Bedeutung gab.

Beim aktuellen Denkmal-Sturz trifft die alte Geschichte mit ihren Figuren auf das heutige Verständnis von Gleichberechtigung aller Ethnien und Gruppen. Oft waren es Berühmtheiten, die auf dem Buckel anderer, beispielsweise von Sklaven, ihre Erfolge feierten. Gewiss ist dies anzuprangern und haben sich Gründe der Ungerechtigkeit teilweise sogar gehäuft. Da ist es geradezu paradox, wenn solche Personen auf einem Sockel erscheinen – denn jeder Mensch ist es wert geehrt, respektiert zu werden; und dann gerade solche – das provoziert.

Der Online-Boost

So ist der Gedanke naheliegend einer solch ausgezeichneten Person, diese Ehrung zu entziehen. Berühmtes Beispiel aus der Neuzeit ist die Zerstörung des Saddam-Hussein-Denkmals in Bagdad.

Ein Problem liegt darin, dass die Empörungskultur durch das Internet einen enormen Boost erfährt, dort wo es schön anonym und ungefiltert abgehen kann. Wie es für Positives genutzt werden kann, wird es hier leider zum Verstärker von negativer Kritik und Stimmungsmache. Und dann fehlt eine differenzierte Auseinandersetzung im persönlichen Kontakt. Es kann schnell überborden.

Gesprächs- statt Empörungskultur

Beides tut not. Dieser «No Go-Kultur», wo schnell mal etwas «total daneben» ist, würde ein persönlicher Dialog mit Betroffenen, beziehungsweise Kontrahenten wohl tun. Oft können so falsche Vorurteile abgebaut und Verständnis aufgebaut werden. Hilfreich kann die Frage sein: «Weshalb siehst du das so?» Das kann helfen, nicht zu schnell und zu unreflektiert zu reagieren. Und wem dieser Schritt zu gross ist, für den ist immerhin das unvoreingenommene Lesen der Gegenseite mal ein erster Schritt. Doch der Grund einer heftigen, emotionalen Reaktion liegt oft tiefer und dem wäre mit einem tiefgründigen Gespräch auf die Spur zu kommen. Dahinter steckt oft die Frage «Weshalb provoziert mich dies so?»

Und dennoch geht es nicht darum, Fehlverhalten zu tolerieren oder sogar grobe Ungerechtigkeit unter den Teppich zu kehren. Ziel muss sein, eine möglichst faire Lösung oder Berichtigung zu finden.

Denk mal! Und Mahnmal

Aber wer ist berechtigt, den berühmten ersten Stein zu werfen, die Statue zu stürzen? Wenn wir Diskriminierung erleben, sind wir alle angehalten etwas dagegen zu tun. Es ist immer die Frage, welche Form und Heftigkeit man wählt; besonders im grossen Kontext, wenn es um Gruppen, Städte, Länder geht.

Trotzdem wird heutzutags schnell mit dem Finger auf jemanden gezeigt, sobald einem etwas nicht passt. Besonders, wenn man anonym oder halbanonym seine Giftpfeile abschiessen kann, wie zum Beispiel im Internet.

Zuerst reflektieren

Die Anthro­po­login Kathe­rine Verdery hat in ihrer Unter­su­chung «The Poli­tical Life of Dead Bodies» bei der Entfer­nung von Statuen von einer «symbo­li­schen Körper­po­litik» gesprochen, mit der Räume neu «kodiert», mit neuen Aussagen versehen werden. So wäre wohl nicht nur ein Vernichten von alten Zeitzeugen das Ziel, sondern vielmehr ein Überschreiben des Ortes mit einer neuen Botschaft. Beispielsweise könnte eine rassistisch motivierte Berühmtheit durch eine Person, die sich für eine gute Völkerverständigung engagierte, ersetzt werden (wie Billy Graham, Livenet berichtete). Auch das Umbenennen von Strassen gehört in diesen Bereich.

Zwei Schritte können als persönliche Richtschnur helfen:

  • Vor einem Urteil, gut reflektieren und mehrere Gründe abwägen, das Gespräch suchen.

  • Nach reiflichen Überlegungen und Austausch mit Anderen, tätig werden und Ungerechtigkeit anprangern und wo möglich beseitigen (mit passenden Massnahmen).

Demut, statt Denkmal

Für eine gute innere Pole-Position vor dem Startschuss, hilft auch folgende Haltung im täglichen Umgang: Jesus, der jeden Menschen ehrt, sagte: «Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.» (Mätthäus-Evangelium, Kapitel 23, Vers 12)

Weiterführendes:
«Koloniales Erbe: Brauchen wir einen Denkmalsturz?» sehen Sie hier im Video.

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Datum: 11.09.2020
Autor: Roland Streit
Quelle: Livenet

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