Zwischen allen Stühlen

Verfolgte Christen mit jüdischen Wurzeln während der Nazi-Zeit

Fast 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges sollen Christen und ihre Nachkommen eine Stimme erhalten, die wegen ihrer jüdischen Herkunft damals verfolgt wurden.
Aussiedlung der polnischen Bevölkerung während dem 2. Weltkrieg.

«Es ist indiskutabel, Christen mit jüdischen Wurzeln als 'Mischlinge' zu bezeichnen», sagt Christiane Faschon. Während der Zeit des Nationalsozialismus sei dies nach den Nürnberger Rassegesetzen passiert. Vielen Menschen sei der Umstand gar nicht bekannt, dass Mitglieder katholischer und reformierter Kirchen mit einer jüdischen Herkunft während des Zweiten Weltkrieges (1939-1945) aus Rassegründen verfolgt wurden.

Über die langen Jahrzehnte nach dem Krieg habe sich bei den Überlebenden, die teilweise schwer traumatisiert seien, eine Mauer des Schweigens aufgebaut. Einerseits durch die mangelnde oder gar nicht vorhandene Unterstützung der Kirchen damals und heute, und anderseits wegen der eigenen Familie, oftmals auch aus Scham. Nicht selten führte die Entdeckung der jüdischen Herkunft in den christlichen Familien zu Unstimmigkeiten oder gar einem Riss, erzählt die Schweizer Religionspädagogin. «Ich möchte nach all diesen Jahren jenen Christen jüdischer Herkunft eine Stimme geben, die bis heute noch keine erhalten haben», fasst sie ihre Motivation zusammen und verschweigt nicht, dass sie selbst auch familiär davon betroffen ist.

Vertrauen und Anonymität

Dieser Umstand erleichtere ihr die Arbeit am Projekt, welche sie auf drei Jahre anberaumt hat. Ihre Interviewpartner hätten mehr Vertrauen, wenn sie erfahren, dass auch sie ihre Situation kennt. Vertrauen sei für diese Menschen und auch für sie sehr wichtig, betont Christiane Faschon.

Rund zwanzig Interviews möchte sie mit Zeitzeugen, deren Kindern oder Enkelkindern führen. An gesprächsbereiten Personen mangle es ihr nicht, sagt sie und erzählt weiter, dass die Mundpropaganda über ihr Projekt bereits zu vielen positiven Reaktionen geführt habe und zu den ersten zehn Interviews. «Die Interviews werden anonymisiert, denn auch heute noch haben diese Menschen Angst vor einem Antisemitismus in Gesellschaft und Kirche oder möchten, dass ihre Familien nicht darüber informiert werden.» Faschon verschweigt nicht, dass diese Gespräche für die Betroffenen meist sehr emotional und aufwühlend sind.

«Diese Menschen sassen damals zwischen den Stühlen, sie haben sich nicht als Juden verstanden und waren teilweise überrascht von ihrer zugeschriebenen Identität», sagt Faschon. Eine Erkenntnis habe sie aus den Interviews schon gewonnen: Bei der dritten Generation gebe es vermehrt Impulse, sich der jüdischen Gemeinde zuzuwenden.

Datum: 22.08.2013
Quelle: Kipa

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