Wie viele Verbote braucht der Mensch?

Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne. (I.Kant)
Rauchverbot
Werden die Gebote der Bibel als gültige Wegweiser für einen Lebensstil, der sich vom Verderblichen bewusst fernhält, ernst genommen?

Verbote schränken ein – aber sinnvolle Verbote schützen Leben, wo Gebote wenig ausrichten. Das legt die Debatte ums Passivrauchen nahe. Steht sie als Indiz für eine Ernüchterung in unserer Gesellschaft, die dazu führt, dass sie dem Individuum mehr Schranken setzt?

Die Sorge um die Gesundheit der vom Rauch Betroffenen ist höher zu gewichten als die Freiheit der RaucherInnen, ihrem Vergnügen zu frönen. Der Ständerat hat am Dienstag den Schutz vor dem Passivrauchen verstärkt: Betreiber von Bars und Restaurants, auch Besenbeizen, erhalten keine Ausnahmebewilligungen. Wollen sie Gäste mit Glimmstengel verköstigen, müssen sie abgetrennte Räume schaffen.

Bessere Luft für alle

Damit wird es nicht mehr vorkommen, dass Paffer am Nachbartisch das Festmahl verderben und der beissende Rauch sich auch bei wiederholtem Fensteröffnen nicht verzieht. Zehntausende von Serviceangestellten können künftig ihrem stressigen Beruf nachgehen, ohne ihre Atemwege und Lunge zu gefährden. Der gesunde Menschenverstand hat sich durchgesetzt; nachdem die Wissenschaft die Schädlichkeit der inhalierten Substanzen vor Jahrzehnten belegt hatte, haben letzthin eindeutig verlaufene kantonale Volksabstimmungen die eidgenössischen Räte in Zugzwang gebracht. So schafft die Schweiz den Sprung vom raucherpolitischen „Entwicklungsland“ (der Glarner Ständerat This Jenny) zu den Staaten, die den neuen europäischen Standard gesetzt haben.

Verbot statt Vernunft?

Aufgrund ihrer liberalen Ausrichtung bewertet die „Neue Zürcher Zeitung“ dies anders. „Verbot statt Vernunft“ ist ihr Kommentar überschrieben. Er beklagt einen Trend: „Statt Toleranz, Rücksichtnahme und Respekt werden immer mehr Verbote das gesellschaftliche Zusammen- beziehungsweise Nebeneinanderleben regieren.“ Dass Raucher alle Zeit der Welt hatten, Rücksichtnahme zu beweisen, und sie verstreichen liessen, wird hier ausgeblendet. Tatsächlich hat der gesunde Menschenverstand, der Suchtverhalten als solches wahrnimmt, diesmal obsiegt (was allerdings kaum jemand zu hoffen wagte, als die WHO-Direktorin Brundtland in den Neunzigerjahren ihre Kampagne für rauchfreie öffentliche Räume lancierte).

Wenn Rücksichtnahme ein Fremdwort wird…

Der NZZ-Kommentator meint, mit der rigorosen Gesetzgebung würden die Raucher vor sich selbst geschützt, „was dem Prinzip der Eigenverantwortung widerspricht“. Entmündigt ein solches Gesetz den Einzelnen? Die Frage ist falsch gestellt. Denn die Erwartung, dass Menschen, wenn sie Freiheit geniessen, verantwortungsbewusst und rücksichtsvoll handeln, erfüllt sich nicht. Und dies nicht nur beim Nikotin, sondern in vielen allen Bereichen. Man denke an HIV-Positive, die um der Lust willen andere gefährden, an Profiteure, die mit Killerspielen und traumatisierenden Horrorfilmen das grosse Geld machen. Der Explosion des Alcopops-Konsum bei Jugendlichen war vor Jahren nur mit Preiserhöhungen und Verboten beizukommen.

Ist das grosse Experiment gescheitert?

Jugendschutz allein genügt nicht; auch Erwachsenen ist verantwortliches, rücksichtsvolles Verhalten nur bedingt zuzutrauen. Insgesamt stellt sich die Frage, ob das grosse liberale Experiment, das in der Aufklärung begann, als gescheitert bezeichnet werden muss, trotz vielen eindrücklichen Erfolgen. Es suchte den Menschen von Verboten zu befreien und gab ihm stattdessen den kategorischen Imperativ des Philosophen Immanuel Kant mit auf den Weg: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“

Die FDP und das Pendel

Heute hat die Grundfrage, welche Grenzen wir brauchen, um uns human zu entwickeln, neue, bedrängende Aspekte: Forscher und Fortschrittsgläubige meinen, dass die Aussicht, künftig schwere Krankheiten heilen zu können, fast alle biotechnischen Forschungswege rechtfertigt – und fordern, die Gesetze entsprechend umzuschreiben. Mit Verboten kämen wir in Rückstand gegenüber anderen Forschungsstandorten jenseits des Ärmelkanals und in Übersee, heisst es. (In Deutschland werden neue Stammzellenlinien für die Forschung gefordert.)

Die anhaltend bröckelnde Wählerbasis der Freisinnigen in der Schweiz, einem der liberalen Länder der Welt, zeigt an, dass wir uns des Erfolgsrezepts ‚mehr Freiheit ist Fortschritt‘ unsicher werden. Das Pendel schwingt zurück. Auch wenn Hunderttausende in der Schweiz kiffen, bleibt Kiffen ungesund – je länger, je drastischer dokumentiert die Wissenschaft Gesundheitsschäden. Ist der Kiffer vor sich selbst zu schützen? Der Ständerat wird dies nächstens diskutieren.

Ist ein Gebieter im Himmel gut für die Menschheit?

Hinter alledem steht eine religiöse Frage: Anerkennen die Menschen Gott, den Schöpfer, auch als Gebieter – oder halten sie sich selbst für klug genug, wagen sie es, auf eigene Faust zu leben? Werden die Gebote der Bibel als bleibend gültige Wegweiser für einen Lebensstil, der sich vom Verderblichen bewusst fernhält, ernst genommen – oder als entmündigend abgelehnt? Leider haben liberale Theologen und Ethiker, von aufklärerischer Rhetorik benebelt, gemeint, sie könnten die Zehn Gebote (da sie nicht aus der Welt zu schaffen sind) neu schreiben oder uminterpretieren. Der verunsicherten Gesellschaft erweisen sie damit keinen Dienst.

Eine Kernaussage des Alten Testaments ist: Gott befreit die Menschen, denen er seine Gebote schenkt und die er dabei als Bundespartner annimmt, zu einem humanen Miteinander und zu gedeihlicher Entwicklung. Der Prophet Micha (6,8) blickte auf die einzigartige Geschichte von Gott mit den Israeliten zurück mit den Worten: „Er hat dir kundgetan, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert: Nichts anderes, als Recht zu üben und Güte zu lieben und in Einsicht mit deinem Gott zu gehen.“

So einfach. – Zu einfach? Zweihundert Jahre nach Immanuel Kant steht die Frage vor uns, ob wir den Kompass für unser Handeln in uns selbst finden und evolutionär fortwährend neu definieren – oder in Gottes Worten.

Links zum Thema:
Die Ständeratsdebatte zum Passivrauchen im vorläufigen Wortprotokoll
Webseite der Lungenliga

Datum: 06.03.2008
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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