Wer findet Abraham?

So stellt man sich etwa Abraham vor.
Peter van der Veen.

Existierte Abraham wirklich? Der Irak gilt als die «Wiege der Menschheit» – der Patriarch Abraham stammte aus dem Irak. Zumindest in der Bibel kommt man nicht an ihm vorbei. Doch gibt es auch ausserbiblische Belege von ihm? Eine Bestandesaufnahme mit dem Althistoriker Peter van der Veen*.

Daniel Gerber: Gibt es archäologische Hinweise auf Abraham?
Peter van der Veen: Von ausserhalb der Bibel kennen wir leider keine direkten Hinweise auf Abraham. Mehrere Kritiker halten ihn für eine legendäre Gestalt. Sie haben immer wieder hingewiesen auf ‚Anachronismen’ in den Geschichten über Abraham im ersten Buch der Bibel, also im 1. Buch Moses. Das heisst, Sachen und Zusammenhänge, die man erst aus späterer Zeit kennt, z.B. aus dem 1. Jahrtausend vor Christus, während nach biblischer Überlieferung Abraham um 2000 vor Christus gelebt haben muss. Nehmen wir das klassische Beispiel der Kamele Abrahams. Lange Zeit – und für viele Wissenschaftler gilt das heute noch – meinte man, dass das Kamel nicht vor dem 1. Jahrtausend vor Christus domestiziert wurde. Neuere Entdeckungen zeigen jedoch, dass das domestizierte Kamel bereits im 2. und 3. Jahrtausend vorkam. Meines Erachtens gibt es so viele Sachen im Text, die gut zu dem passen, was wir über die Zeit am Anfang des 2. Jahrtausends v. Chr. wissen. Zum Beispiel gibt es

a) im ägyptischen Tell ed-Daba (Ostdelta) aus dieser Periode tatsächlich Spuren einer westsemitischen Halbnomadenbevölkerung, die dort über mehrere Jahrhunderte sesshaft war. Um im 1. Buch Moses heisst es ja, dass Abrahams Enkel Jakob mit seiner Sippe nach Ägypten kam und dort gesiedelt hat, bevor dann seine Nachkommen als Sklaven für den Pharao arbeiten mussten.

b) Papyrustexte aus dieser Zeit belegen, dass dort Menschen mit frühisraelitischen Namen wie Jakob, Issachar und Asser als Sklaven gearbeitet haben.

c) Vor Jahren hat bereits der britische Althistoriker Dr. John Bimson argumentiert, dass die Städte und Völker Kanaans, wie die Abrahams-Geschichten sie beschreiben, am ehesten zur der archäologischen Lage um 2000 v. Chr. passen, also an den Anfang der Mittleren Bronzezeit.

Dies alles beweist natürlich nicht, dass Abraham tatsächlich existiert hat, sondern nur, dass Zusammenhänge aus der Bibel archäologisch gut zu dem passen, was wir heute über das frühe 2. Jahrtausend v. Chr. wissen.

Ein Tonprisma soll gefunden worden sein, welches Abrahams Existenz bestätigt?
Tatsächlich wurde vor sieben Jahren in der renomierten «Biblical Archaeology Review» argumentiert, dass ein Tonprisma aus Nordost-Mesopotamien den Namen Abraham und die seiner biblischen Verwandten erwähnt. Dieses wunderbare, sehr guterhaltene Stück befindet sich heute in einer berühmten Privatsammlung in England. Ich bin damals der Sache nachgegangen, und da ich den Privatsammler persönlich kenne, konnte ich das Stück selbst begutachten. Ich habe auch mit dem Herausgeber des Prisma, Professor Mirjo Salvini, gesprochen und besitze sein Buch über dieses Artefakt. Leider ist in der ganzen Inschrift keinen Hinweis auf Abraham zu finden. Wir finden nicht einmal einen ähnlich klingenden Namen. In Wirklichkeit handelt es sich bei diesem Tonprisma um eine Namensliste von Habiru-Soldaten, der Armee des Stadtkönigs Tunip-Teschub aus Tikunani (östlich des Tigris) um 1600 v. Chr. Leider. Von einer anderen Inschrift mit dem Namen Abraham weiss ich nichts.

Zumindest scheinen Orte mit den Namen von Abrahams Vorfahren dessen Existenz zu untermauern.
Ja, interessanterweise tragen alte Städte in der Nähe von Harran, einem der Heimatorte Abrahams in Nord-Mesopotamien, die Namen der Vorfahren Abrahams. Eine Stadt Sarugi trägt den Namen des Urgrossvaters von Abrahams (Serug – 1. Mose 11,21). Eine andere Stadt trägt den Namen seines Vaters Terah. Bereits im 9. Jh. v. Chr. erwähnt König Salmanasser III. von Assyrien diese damals bereits verfallene Stadt Til-Turahi – «Ruinenhügel des Terah». Den Namen seines Onkels Nahor erkennen wir im Städtenamen Nahur (Til Nahiri), der bereits in Texten aus der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. erwähnt wird. Ein Krieger auf dem oben erwähnten Tonprisma trägt zum Beispiel den Namen Mut-Nahur – das heisst «Mann aus Nahor».

Es gibt auch noch andere archäologische Anhaltspunkte für den biblischen Bezug zwischen der Region um Haran und Abrahams Sippe. Um 2000 v. Chr. wohnten dort die Amoriter. Sie dienten einem Gott Il-Amurru, und das war der Gott El jener Amoriter in der Gegend um Harran und Balih. El ist auch der Gott Abrahams in der Bibel. In 1. Mose trägt El den Zusatznamen El-Schaddai – wortwörtlich «El des Berges» –, und Il-Amurru hiess ebenfalls «Bel Schade», «Herr der Bergregionen». Il-Amurru war eng mit der Verehrung des Mondgottes von Harran verknüpft. In Josua 24,2 steht nun, dass die Vorfahren Abrahams jenseits des Euphrat anderen Göttern dienten, und deren Namen zeigen ebenfalls, dass sie Anbeter eines Mondgottes waren. Sowohl Ur, die Heimatstadt Abrahams im Süden des Irak, wie auch Harran waren Zentren der Mondgottverehrung. Dies alles macht die Existenz Abrahams sehr wahrscheinlich.

Abraham lebte ursprünglich im Irak, also wurde und wird dort nach ihm geforscht. Wie gestaltete sich diese Arbeit unter Saddam Hussein?
Das weiss ich nicht. Ich weiss nur, dass es dort im allgemeinen schwer war, für Ausgrabungen eine Bewilligung zu bekommen.

Mit welchen Arbeiten beschäftigen Sie sich zur Zeit?
Ich stehe in der Abschlussphase meiner Promotion für die Universität von Bristol in England. In meiner Doktorarbeit beschäftige ich mich mit beschrifteten Siegeln und Tonbullen aus der späten judäischen Königszeit. Auch befasse ich mich mit der Suche nach Anhaltspunkten zu den Israeliten in Ägypten und zur Landnahme Kanaans.

* Peter van der Veen ist Theologe und Althistoriker. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Studiengemeinschaft «Wort+Wissen» und Leiter einer deutschen Fachgruppe für biblische Archäologie.

Datum: 18.02.2004
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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