Interview

Energiepolitik ist Klimapolitik

Walter Ernst, Umweltingenieur mit 30-jähriger Erfahrung, ruft dazu auf, sich im Energie- und Klimabereich zu engagieren. Nach einem durch Krankheit erzwungenen Abbruch seiner Dozententätigkeit für Energie- und Umweltfragen plädiert er für ein Umdenken. Er ist überzeugt: Jeder kann durch seinen persönlichen Energiekonsum die Zukunft des Klimas und damit unser Überleben mitbeeinflussen. Er ist auch an der Projektidee, die „2000 Watt-Gesellschaft“ an die Schulen zu vermitteln, beteiligt.
Immer mehr Verkehr wird durch immer schwerere Privatautos verursacht, die viel Treibstoff verbrauchen und dazu viel graue Energie enthalten.

Walter Ernst, die westlichen Industrieländer haben sich vom aktuell hohen und vermutlich weiterhin steigenden Ölpreis überraschen lassen. Weshalb?
Walter Ernst: Amerika und Europa haben sich der Illusion hingegeben, der tiefe Ölpreis halte noch relativ lange an, und ein Handlungsbedarf sei daher nicht gegeben. Sie haben nicht mit einer so starken Nachfrageerhöhung durch asiatische Länder, insbesondere China und Indien, gerechnet. Zu bedenken ist, dass auch die Nachfrage in Europa und den USA weiter gestiegen ist, wenn auch nicht so stark wie in Asien. Doch wenn fast alle Menschen in Zukunft einen ähnlichen Lebensstandard anstreben, werden die asiatischen Länder bald mehr Energie verbrauchen als Europa und die USA.

Welche Konsequenzen sind aus Ihrer Sicht daraus zu ziehen?
Die aktuelle Lage macht uns deutlich, dass es ohne eine Drosselung des Verbrauchs nicht weiter gehen kann. Die durch die Nachfrageverknappung steigenden Preise sind für die Industrieländer tragbar. Leidtragende sind aber vor allem die armen und sozial schwachen Menschen, insbesondere in der Dritten Welt. Der Energiepreis ist somit auch ein soziales Problem und müsste Menschen mobilisieren, die eine soziale Verantwortung wahrnehmen oder spüren. Andererseits geht es um unser Klima.

Das Klimaziel von Kyoto, den Ausstoss von Treibhausgasen auf das Niveau von 1990 zurückzufahren, ist leider wieder in die Ferne gerückt, sogar in unserem eigenen Land. Schon heute spüren wir die Folgen der Luftverschmutzung und des Treibhauseffekts. Ohne Gegensteuern werden sich diese Probleme weiter verschärfen. Sozialpolitik und Klimapolitik hängen eng miteinander zusammen. Wiederum sind die armen Leute in Entwicklungsländern die ersten Betroffenen von Klimaveränderungen.

Wir werden also mit einer weiteren Verschlechterung des Weltklimas fertig werden müssen?
Ja. Die Klimaveränderung bedroht schon heute das Leben von Millionen Menschen. So hat zum Beispiel das Ausbleiben des Monsunregens, vermutlich ausgelöst durch eine globale Abnahme der Sonneneinstrahlung, zu den bekannten Hungerkatastrophen in der Sahelzone Afrikas geführt. Wir erinnern uns an die Bilder aus Äthiopien. Wir sehen nun auch, dass der Luftverkehr sich viel stärker auf das Klima auswirkt, als wir ursprünglich dachten. Er hat neben der Schädigung der Ozonschicht den Treibhauseffekt massiv verstärkt. Es wäre höchste Zeit, dem Luftverkehr die externen Kosten zu verrechnen. Es ist unverständlich, dass weltweit das Flugbenzin steuerlich nicht belastet wird.

Das scheint sehr schwierig zu sein.
Ja, ich unterstütze deshalb die Initiative „myclimate“, die eine Möglichkeit anbietet, durch einen freiwilligen Zuschlag auf Flugtickets Geld zu spenden, mit dem der Flug durch Kompensationsprojekte klimaneutral gestaltet werden kann. Die Initiative ist ein Projekt von ETH-Wissenschaftlern und Ingenieuren und wird u.a. vom prominenten deutschen Physiker Ernst-Ulrich von Weizsäcker unterstützt.

Wie viel Energie verbraucht ein Schweizer? Welche Rolle spielen neben dem Verkehr zum Beispiel Industrie und Haushalt?
Ernährung, Mobilität, Heizung und privater Konsum sind die grossen Energieverbraucher, an denen wir alle beteiligt sind. Nicht vergessen dürfen wir den Anteil der „grauen Energie“ in Lebensmitteln, Fahrzeugen, Geräten etc. Der Energieverbrauch für die industrielle Herstellung von Lebensmitteln und Haushaltgeräten (zum Beispiel Handy, Fernseher, PC) ist sehr hoch, fällt aber oft nicht bei uns an, sondern in den USA, Europa, China und dem übrigen Asien. Ein PC verbraucht etwa zehn Mal mehr Energie für die Herstellung als für den Betrieb. Ähnliches gilt für die Flachbildschirme und die Speicher. Die Verlagerung der Produktion in die Billigländer vermittelt uns aber die Illusion, dass wir relativ wenig Energie verbrauchen.

Zu den Lösungsmöglichkeiten: Wie können wir auf den zu hohen Energieverbrauch sinnvoll reagieren?
Wir müssen zur 2000-Watt-Gesellschaft zurückkehren. 2000 Watt verbraucht der Mensch im weltweiten Durchschnitt. Noch 1960 war die Schweiz eine 2000-Watt-Gesellschaft! So rasch als möglich sollte sie es wieder werden, und dies ist bei gleichzeitig höherer Lebensqualität als damals möglich. Notwendig dafür ist eine Vielzahl von Entscheidungen in Politik und Wirtschaft, in Gesellschaft und Wissenschaft. Heute verbrauchen wir drei- bis viermal mehr, rund 6000 Watt, wenn man nur den direkten Verbrauch rechnet, aber bis zu 8000 Watt, wenn man zum Beispiel einen Langstreckenflug in die USA mitberücksichtigt.

Besonders wichtig wäre nun die Einführung einer CO2-Abgabe in der Schweiz, wie dies der Bundesrat plant. Da der Aufschlag auf der Energie der ganzen Bevölkerung rückerstattet wird, werden Menschen mit unterdurchschnittlichem Energieverbrauch davon profitieren. Und die Abgabe erhöht auch die „Staatsquote“ nicht. Die erneuerbaren Energieträger würden davon stark profitieren, da sie vergleichsweise günstiger werden.

Wie können wir diese Ziele mit unserem Verhalten unterstützen?
Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wenn wir daran denken, dass ein erheblicher Teil der in unserer Nahrung steckenden Energie durch Transporte verursacht wird, ist es nahe liegend, möglichst oft Produkte aus dem Dorf oder der Region einzukaufen. Damit können wir auch längere Einkaufswege vermeiden. Ebenso sollten wir nach Möglichkeit auf Nahrungsmittel aus andern Erdteilen verzichten, da schon ihr Transport viel Energie verbraucht. Weiter senken wir den Energieverbrauch, wenn wir Biofleisch aus der Region kaufen.

Zu empfehlen ist generell Nahrung aus biologischer Produktion, nicht nur weil sie gesünder ist, sondern weil sie wesentlich weniger graue Energie enthält (aus chemischen Düngern und Chemikalien). Dies trifft auch auf Käse und Milch aus biologischer Produktion zu, besonders aus der Region. Ausserdem macht es Sinn, mehr Frischwaren als Tiefkühlprodukte zu konsumieren. Es gilt daher, Nahrungsmittel möglichst intelligent einzukaufen und zu essen.

Wie wirkt sich unser Mobilitätsverhalten aus?
Immer mehr Verkehr wird durch immer schwerere Privatautos verursacht, die viel Treibstoff verbrauchen und dazu viel graue Energie enthalten (das gilt auch für die schweren Dieselfahrzeuge!). Dagegen verbraucht zum Beispiel der 3-Liter „VW Lupo“ nur etwa 3,5 Liter Treibstoff (Diesel) sowie 2–4 Liter zusätzliches Öl pro 100 Kilometer in Form von grauer (Herstellung-)Energie – je nach Fahrleistung und Lebensdauer. Bei einem SUV kann die graue Energie bis zu 15 Liter pro 100 Kilometer ausmachen! Auch Hybridfahrzeuge brauchen real etwa doppelt soviel Energie für Herstellung, Unterhalt und Rückbau wie für den Betrieb.

Ausserdem sollten wir auf Autobahnen eine vernünftige Geschwindigkeit einhalten. In den USA ist auf vielen Autobahnen noch Tempo 90 (55 Miles pro Stunde) signalisiert – um Unfallgefahr und Energie zu reduzieren.

Je höher jedoch die durchschnittliche Geschwindigkeit ist, desto stärker steigt der Verbrauch. Auch das sogenannte Dreiliterauto „VW Lupo“ verbraucht gegen fünf Liter bei Tempo 130. Weil wir heute zwar effizientere Motoren, aber schwerere Autos haben, sind die durchschnittlichen Verbrauchswerte pro Kilometer inklusive graue Energie angestiegen. Man bedenke zudem: Auch das Verschrotten und Recyclen benötigt Energie. Der Bedarf an schwereren und grösseren Autos hat die bisherigen Treibstoff-Sparbemühungen weitgehend zunichte gemacht. Ausserdem konsumieren wir viel indirekte Energie für den Neubau und den Unterhalt der Strassen.

Aber auch die Lastwagen produzieren zusätzliche „graue Energie“, weil sie mehr Strassenunterhalt verursachen. Schliesslich erhöht der Trend zu Ferien in touristischen Billigdestinationen den Energiekonsum. Eine Stunde Flug verbraucht ca. 30 – 80 Liter Treibstoff pro Person. Vor allem der Aufstieg auf die Flughöhe braucht sehr viel Energie. Dazu kommt, dass ausgerechnet der energieintensive Kurzstrecken-Billig-Flugverkehr boomt. Wieso nicht einmal mit den Zug oder Bus reisen und so die Reise intensiver erleben?

Wenn man jedoch fliegen will oder muss, gibt es eine Möglichkeit, den Klimaeinfluss zu reduzieren und Energieprojekte in der Dritten Welt zu unterstützen (siehe www.myclimate.org ).

Wieviel können wir zum Beispiel mit der Senkung der Wohnungstemperatur erreichen?
Einiges: Zum Beispiel nicht genutzte Räume oder den Schlafbereich auf ca. 18 Grad oder tiefer beheizen. Wenn wir Türen und Fenster abdichten und die Fenster im Winter nachts schliessen, erreichen wir eine zusätzliche Energieersparnis. Den Dachbereich können wir mit einfachen Mitteln abdichten. Anlagen wie ältere Boiler sollten wir gut isolieren. Viel bewirken wir, wenn wir die Wassermenge beim Duschen reduzieren. Dies kann durch Verringerung der Zeitdauer und feinere Brausen erreicht werden. Wir verbrauchen einen Grossteil der Energie in den Haushalten für das Warmwasser.

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Datum: 30.01.2007
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Bausteine/VBG

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