Evo-Devo

Wenn Darwin das wüsste ...

Vor 50 Jahren war für viele Wissenschaftler klar: die Entstehung der Arten geschah durch Evolution in kleinen Schritten. Heute scheint es, als müsse der Fall neu aufgerollt werden. Die neue Forschungsrichtung nennt sich "Evo Devo", die von einer wachsenden Minderheit kluger Köpfe vertreten wird.
«Evo Devo» bemerkt, dass selbst ein sogenannter Vorfahre aller Arten bereits sehr komplex hätte sein müssen. Die Frage ist, wo dieser dann hergekommen wäre (Foto: Dori).
Reinhard Junker, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Studiengemeinschaft «Wort und Wissen»
Die unterschiedlichsten Tiere haben gleiche Steuergene (Foto: Nick Hobgood).
Auch die Giraffen haben komplexe Körperbauteile (Foto Luca Galuzzi).

Der Evolutionsbiologe Ernst Mayr schrieb 1959 zum 100-Jahre-Jubiläum von Darwins Buch "Die Entstehung der Arten": "Kein Phänomen wurde je in der Natur entdeckt, das nicht in der modernen, synthetischen Theorie der Evolution interpretiert werden kann." Jahre später hat sich das Blatt gewendet. So schilderte etwa der Evolutionsbiologe Arthur Wallace: "Wie kann eine Evolutionstheorie ernst genommen werden, die vorgibt die Entstehung der Lebewesen zu erklären, wenn alles, was sie uns erzählt, darin besteht, dass verschiedenen Zerstörungsraten die Zusammensetzung des Erbgutes der Populationen verändern? Wie sind die neuen Varianten, die die natürliche Selektion in den Populationen vertreten, erstmals erschaffen worden?"

Heute werden einige Aspekte der Evolutionstheorie kritischer beleuchtet als noch vor 50 Jahren. Gerade auch durch eine Disziplin, die sich "Evo Devo" nennt, was für "Evolutionary Developmental Biology" steht. Kennzeichnend für Evo-Devo-Forscher ist die Auffassung, dass die bisherigen Evolutionstheorien den evolutionären Wandel nicht vollständig erklären können. Manche Evo-Devo-Forscher formulieren die Defizite des Neodarwinismus schärfer und halten wesentliche Fragen der Entstehung evolutionärer Neuheiten für ungeklärt.

Wesentliches unbeantwortet

Wissenschaftler, die Evo Devo vertreten, seien eine wachsende Minderheit; bilanziert der Biologe Reinhard Junker, Mitarbeiter der Studiengruppe Wort und Wissen. Evo-Devo-Forscher würden den Ursprung der Bauteile (zum Beispiel Einzelteile des Auges) als Innovation oder Neuheit betrachten. Die Entstehungsweise sei immer noch unbekannt. Die Mechanismen der Makroevolution seien noch nicht aufgeklärt. "Oft wurde gesagt, dass über lange Zeit aus Mikroevolution Makroevolution wird, dass Evolution in kleinen Schritten geschieht. Mehr und mehr scheint sich aber herauszustellen, dass Selektion nicht die Möglichkeit hat, etwas Neues zu schaffen; dass Mikroevolution nicht Neues hervorbringt, sondern lediglich neue Varianten sichtbar werden lässt, die im Erbgut angelegt war."

In Forscherkreisen sei erkannt worden, dass die Makroevolution wesentliche Fragen unbeantwortet lasse. Ebenso, dass Mikroevolution selbst über grosse Zeiträume nicht zu Makroevolution führt, wie auch, dass zufällige Mutation und Auslese nicht zum Formwandel ausreichen. Daher wird eine Evolution in Sprüngen diskutiert, zumal Übergangsformen oft fehlen.

Kurz: Makroevolution galt als gelöst. Nun scheint das Thema neu aufgerollt zu werden. Dies aus der Einsicht, dass Selektion nicht reicht. Wichtig war in diesem Zusammenhang die Entdeckung von Regulationsgenen; wie etwa der Homeobox-Gene, die andere Gene ein- und ausschalten, die zum Beispiel für das Wachstum eines Beines benötigt werden. Reinhard Junker: "Ein hochkomplizierter Apparat mit einem äusserst diffizilen Zusammenspiel. " Auch die kambrische Explosion - das plötzliche Auftauchen vieler verschiedener Typen - widerspricht die einer langsamen Evolution: Über lange Zeit wurden keine Fossilien von Grundtypen gefunden und plötzlich stehen verschiedenste, abgrenzbare Arten nebeneinander.

Verschiedene Baupläne

Entfernt verwandte Tiergruppen besitzen oft dieselben Regulationsgene wie zum Beispiel "Pax6", das für die korrekte Ausbildung der Augen notwendig ist. Es ist zu finden ebenso bei Insekten wie auch bei Menschen. "Das ist sozusagen der grosse Hauptschalter", sagt Junker. "Wenn er kaputt ist, gibt es kein Auge. Alles wäre gut gebaut, wie beim Fernseher. Wenn aber der Einlassschalter kaputt ist, gibt es kein Bild." Die verschiedenen Tierstämme haben zum Teil völlig unterschiedliche Augen-Baupläne. "Keiner kommt auf die Idee, dass da der gleiche Vorfahre war, dennoch haben sie zum Beispiel die gleichen Augengene." Erstaunlich also, dass in den unterschiedlichsten Bauplänen die gleichen Regulationsgene verbreitet sind. So etwa das Linsenkristallin, ein Protein, das dafür sorgt, dass die Linse durchsichtig ist.

Steuergene, der Aufwind für Evo Devo

Generelle Mechanismen liegen sehr verschiedenen Körperbauten gegenüber. Diese Erkenntnis war der Startschuss für Evo-Devo", erklärt Junker. "Man erkannte, dass ein gemeinsamer Vorfahre bereits Pax6 und andere Steuergene gehabt haben müsste." Somit fand auf der Ebene der Gene oftmals keine Höherentwicklung statt, selbst wenn man von Evolution ausgeht. "Nun stehen wir vor einer paradoxen Situation: Woher kommt die Vielfalt, trotz insgesamt etwa gleichviel Genen und vielfach gleicher Steuergene? Denn früher dachte man Evolution sei schrittweiser Erwerb neuer Gene und Abänderung vorhandener Gene." Immer mehr Wissenschaftler schwenken ein auf Evo Devo, weil zum Beispiel festgestellt wurde, dass grundlegende Steuergene in verschiedensten Tierstämmen vorkommen und sich nicht wesentlich verändert haben.

"Lösung" und neue Fragen

So entstehe nun die Theorie, dass per Evolution von der Natur erfundene Bauteile, die sich bewähren, immer wieder zu unterschiedlichem Nutzen eingesetzt werden. Elemente und Steuergene werden vielfach genutzt und wo nötig anders zusammengeschaltet.

Reinhard Junker: "Heute besteht dieser Konsens: Bereits der Vorfahre aller Vielzeller war genetisch komplex und besass viele Steuergene. Nun stellt sich aber die Frage: woher kommt jetzt dieser komplexe Vorfahre? Denn schon der war mit anspruchsvollen Schaltungen und zahlreichen Genen ausgestattet."

Gemeinsamer Vorfahre "hinkt"

Dass die Steuergene unabhängig voneinander entstanden sind, ist praktisch auszuschliessen. Also muss sie der gemeinsame Vorfahre gehabt haben. Die Frage ist aber wozu er zum Beispiel Steuergene für Gliedmassen brauchte, wenn er noch gar keine Gliedmassen hatte. Bei den verschiedenen Tierstämmen sind die Gliedmassen zu verschieden, als dass sie auf eine gemeinsame Vorläuferstruktur zurückgeführt werden könnten.

Reinhard Junker: "Eine Theorie ist, dass es einen gemeinsamen Vorfahre gab, der schon ganz einfache Körperanhänge hatte und daraus die sehr verschiedenen Gliedmassentypen entstanden. Dabei soll sogenanntes "Gen-Tinkering", eine "Flickenschusterei", eine grosse Rolle gespielt haben. Aber auch ein Bastler hat ein Ziel. Die Evolution dagegen ist nicht zielorientiert. Wer ziellos einfach viele Blechteile zusammenbaut hat am Schluss nicht ein Auto mit einem komplexen Antrieb, der ausgeklügelten Motorsteuerung und so weiter." Zudem würde der angebliche, gemeinsame Vorfahre nicht etwas Halbes "erfinden" und das dann weiterentwickeln. Das halbe wäre noch nichts wert und würde durch die Auslese als unnötig verworfen.

Reinhard Junker ist Autor des Buches "Spuren Gottes in der Schöpfung!"

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Datum: 30.07.2009
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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