Motivation zur Entschlüsselung des Menschen

DNA
Dr. rer. nat. Harald Binder

Das Projekt zur Aufklärung der Struktur der menschlichen DNA hat seit Mitte der 1980er Jahre viel Aufmerksamkeit erregt, enorme Investitionen ausgelöst, viele in der Wissenschaft engagierte Menschen in einem Großprojekt vereinigt, aber auch Anlass für kontroverse Diskussionen geliefert. Einige Beweggründe, die zur Initiierung und Durchführung eines so umfangreichen Projekts geführt haben, sollen hier nachgezeichnet sowie vom gegenwärtigen Stand der Resultate und Erkenntnisse reflektiert und eingeschätzt werden.

Momentaufnahmen aus der Vorgeschichte

In der Ausgabe der Zeitschrift ‘Nature’ vom 25.4.1953 veröffentlichten James D. Watson und Francis H.C. Crick ein Modell für die DNA, den Stoff, der mit der Übermittlung der Erbinformation in Verbindung gebracht worden war. Eine schematische Darstellung der inzwischen sehr bekannten Doppelhelix (siehe Abbildung) illustriert den etwas mehr als eine Seite umfassenden Beitrag. Dieses DNA-Modell hat sich als sehr fruchtbar erwiesen – nicht nur für die beiden Autoren, die dafür 1962 mit dem Nobelpreis für Physiologie und Medizin ausgezeichnet wurden. Die DNA-Doppelhelix wurde zum Türöffner für neue Fragestellungen: Wie könnte der Kopiermechanismus aussehen? Auf welche Weise die Information kodiert sein? … Für viele daraus hervorgegangene Forschungsprojekte wurde ebenfalls der Nobelpreis verliehen. Nachdem der genetische Code aufgeklärt und Methoden zur Sequenzierung der DANN etabliert waren, konnten manche biologischen Phänomene auch auf genetischer Ebene untersucht werden. Zunächst wurde vor allem an Viren und Mikroorganismen geforscht, aber auch bei einzelnen Krankheitsbildern konnte eine genetische Spurensuche aufgenommen werden.

Durch Erkenntnisse, die 1980 bekannt wurden, ergab sich erstmals eine konkrete Perspektive, die Abfolge der über drei Milliarden Bausteine der menschlichen DNA zu erforschen. Es war jetzt möglich, eine Art Übersichtskarte zu erstellen, die es später erlauben würde, die Details entsprechend korrekt in das Gesamtgebilde einzuordnen. Renato Dulbecco (Nobelpreis 1975) war einer der ersten, der öffentlich ein Projekt vorstellte, in dem die menschliche Erbinformation ermittelt würde. Er erhoffte sich von den Ergebnissen weitreichende Impulse für die Krebsforschung.

Was die Finanzierbarkeit eines solchen Großprojekts betrifft, so stellte Walter Gilbert 1986 in Cold Spring Harbor die Behauptung auf, die Kosten würden sich auf einen Dollar pro Basenpaar, also ca. drei Milliarden Dollar belaufen. Die Organisation eines Projekts in dieser Größenordnung war für die Biologie ein Novum, und es erforderte umfangreiche und intensive Anstrengungen, bis am 1.10.1990 der offizielle Startschuss für das Projekt zur Erforschung des menschlichen Genoms fallen konnte. James Watson wurde zum Direktor des National Center of Human Genome Research berufen und 1993 von Francis Collins abgelöst. Das Ziel des Projekts war es, innerhalb von fünfzehn Jahren das menschliche Genom komplett zu sequenzieren.

Beweggründe für die Sequenzierung des menschlichen Genoms

Als ein erster Aspekt der Motivation ist die menschliche Neugierde im Allgemeinen und das ausgeprägte Suchen nach Erkenntnis in wissenschaftlichen Berufen im Besonderen in Betracht zu ziehen. Manche Autoren haben das Genom- Projekt mit der Erstbesteigung des Mount Everest verglichen. Die Herausforderung und die Rechtfertigung für alle Investitionen und Opfer besteht einfach, «weil er da ist».

Eine weitere Facette kann an Nancy Wexler verdeutlicht werden. Sie hat sich aufgrund persönlicher Erfahrungen mit der neurodegenerativen Krankheit Chorea Huntington (erblicher Veitstanz) in ihrer Familie der Erforschung dieser Krankheit verschrieben. Heute stehen etablierte Gentests zur Verfügung, die eine Diagnose mit 99% Wahrscheinlichkeit ermöglichen. Eine Erfolg versprechende Therapie ist bisher bei allen Anstrengungen nicht in greifbarer Nähe; entsprechend unterschiedlich wird der Nutzen der verfügbaren Diagnostik von Betroffenen bewertet. Die Hoffnung, durch Forschung Ursachen und Zusammenhänge bestimmter humaner Krankheitsbilder besser zu verstehen und damit die Grundlage zur Entwicklung von Therapien zu legen, war schon immer ein wichtiges Element in der Begründung von Forschungsanträgen (Krebs, AIDS, oder auch die Liste von Krankheitsbildern im Zusammenhang mit der Diskussion um Forschung mit embryonalen Stammzellen).

Finanzielle Aspekte der Motivation kann man im Zusammenhang mit dem Engagement von Craig Venter in der Erforschung des menschlichen Genoms aufzeigen. Er war ursprünglich als Angestellter der Amerikanischen Gesundheitsbehörde (NIH), die von der amerikanischen Regierung die forschungspolitische Federführung für das Großprojekt übertragen bekommen hatte, an der Entschlüsselung des menschlichen Genoms beteiligt. Venter griff den Gedanken auf, markierte Gene patentieren zu lassen und damit wirtschaftlich zu nutzen. Damit stellte er das ursprüngliche – vor allem durch Watson etablierte – Konzept in Frage, dass die Erkenntnisse aus dem Projekt (weltweit koordiniert, jeweils aus Steuergeldern finanziert) allen Interessierten frei zugänglich sein sollten. Als auch noch eine von ihm etablierte Methode nicht die erhoffte Akzeptanz fand, trennte er sich vom NIH und gründete 1992 mit 70 Millionen Dollar eines Investors eine Firma. Diese hat umfangreiche und Aufsehen erregende Beiträge in verschiedenen Genomprojekten geleistet und so mit dazu beigetragen, dass sich Craig Venter bei den mehrfach medienwirksam inszenierten Veranstaltungen zum erfolgreichen Abschluss des Genomprojekts in Szene setzen konnte.

Bei den Beweggründen sind sicher auch solche in Erwägung zu ziehen, die eher grundsätzlicher Natur sind. So ist für viele mit dem Genomprojekt die Hoffnung verknüpft, den Menschen – also uns selbst – besser zu verstehen. Die Vorstellung, dass irgendwo in unseren Genen die Antworten auf die Fragen nach dem, was uns Menschen eigentlich ausmacht, liegen könnten, ist ein nicht zu unterschätzendes Antriebsmoment.

Persönliche Einschätzungen

Die unbegrenzte Suche nach Erkenntnis scheint zu den menschlichen Grundzügen zu gehören. In der biblischen Überlieferung wird unmittelbar nach dem Bericht von der Erschaffung von Himmel, Erde und allen Geschöpfen einschließlich des Menschen davon berichtet, dass dem ersten Menschenpaar der Verzehr der Früchte vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse bei Strafe verwehrt ist. Diese Grenze, so berichtet die Bibel, wurde von Adam und Eva bewusst überschritten – mit einschneidenden Konsequenzen für sie und alle nachfolgenden Generationen. Sind wir auf der Suche nach Erkenntnis nicht auch Getriebene und immer wieder aufs Neue versucht, Grenzen nicht zu akzeptieren, sondern zu überschreiten?

Die vielfältigen Bemühungen in Erforschung und Entwicklung von neuen Therapieansätzen von Krankheiten in der Vergangenheit haben zu zahlreichen Möglichkeiten geführt, die eine Linderung von Leiden ermöglichen; das kommt heute vielen Menschen zugute, und dafür dürfen wir dankbar sein. Aber haben wir wirklich – wenigstens die schlimmsten – Krankheiten eliminiert? Welche neuen Probleme haben wir durch Therapieverfahren hervorgerufen, und sind diese wirklich kleiner als die ursprünglich in Angriff genommenen?

Die Frage, wer ich als Mensch eigentlich bin, ist durch die bisherigen Beiträge der Genforschung nicht erhellt worden, eher im Gegenteil. Die sonst so erfolgreiche Strategie der Analyse scheint hier nicht hilfreich zu sein.

Denn hier liegt die Frage letztlich auf einer anderen, immateriellen Ebene, nicht auf der materiellen Ebene der Moleküle und Gene. Schließlich kann keine noch so weit reichende chemische Analyse der Druckerschwärze in einem Buchexemplar von Goethes ‘Faust’ herausfinden, welchen Sinn der Autor in dieses Werk hineingelegt hat. Der ‘Autor’ des Menschen aber ist Gott, dessen geistreiche Spuren die naturwissenschaftliche Forschung gerade jetzt mehr und mehr staunend entdeckt. Um zu verstehen, was der Mensch ist, brauchen wir daher Informationen über Gott und seine schöpferischen Absichten.

Die Bibel als Informationsquelle bietet die Perspektive, uns als von Gott geliebte und wertgeschätzte Geschöpfe ins Blickfeld zu bekommen. Vielleicht liegt hier ein Ansatzpunkt, dass wir uns den verschiedenen Aspekten unserer Motivation differenziert und ehrlich stellen können.

Dr. rer. nat. Harald Binder, D-Konstanz verheiratet mit Elisabeth Binder, vier Kinder Chemiker, seit 1996 vollzeitlicher Mitarbeiter für Öffentlichkeitsarbeit und Forschung der Studiengemeinschaft Wort und Wissen

Autor: Dr. rer. nat. Harald Binder

Datum: 23.06.2005
Quelle: Reflexionen

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